Genossenschaften und Neubau: Wo dein Platz, Genosse, ist
Berlin braucht neue Wohnungen, die Genossenschaften stehen bereit. Doch der Senat behandelt sie wie private Investoren. Ist das gerecht?
Dennoch spielen sie in der Baupolitik des rot-rot-grünen Senats bislang kaum eine Rolle. „Das muss sich ändern“, fordert der Pankower Bundestagsabgeordnete Klaus Mindrup. „Wir müssen endlich in die Praxis umsetzen, was im Koalitionsvertrag steht“, so der Sozialdemokrat zur taz.
Im Dezember 2016 hatte sich Rot-Rot-Grün darauf verständigt, Genossenschaften stärker als bisher zu fördern. „Die Koalition sieht in den Genossenschaften wichtige Partner für eine soziale Wohnungspolitik“, steht im Koalitionsvertrag von SPD, Linken und Grünen. Deshalb sollen sie „durch Wohnraumförderung, die Bereitstellung von Grundstücken und Kooperationen beim kommunalen Vorkaufsrecht stärker unterstützt werden“.
Bislang aber hat Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) den Berliner Genossenschaften, die derzeit etwa 190.000 Wohnungen verwalten, lediglich zwanzig Grundstücke für den Neubau zur Verfügung gestellt. Für Ulf Heitmann, Vorstand der Genossenschaft „Bremer Höhe“, ist das bei Weitem nicht ausreichend. „Keines dieser Grundstücke ist für den Bau von Genossenschaftswohnungen geeignet, auf einem stehen sogar noch Garagen“, so Heitmann gegenüber der taz, „das war Rudis Resterampe, die uns der Senat hier gegeben hat.“
Bestand Insgesamt 190.000 Genossenschaftswohnungen gibt es in Berlin. Die ersten wurden noch im 19. Jahrhundert gegründet, die jüngsten nach der Wende, etwa die Bremer Höhe.
Neubau Bekanntestes Beispiel für eine Neubau-Genossenschaft ist der Möckernkiez. Inzwischen sind dort 471 Wohnungen entstanden.
Sozial Genossenschaften gehören ihren Mitgliedern. Bei Versammlungen wird etwa über Mieterhöhungen gemeinsam entschieden. Mitbestimmung ist Pflicht, Rendite nicht. (wera)
Anstelle der Landeseigenen
Heitmann verbindet seine Kritik an der Grundstücksvergabe des Senats mit der Forderung, die Genossenschaften sollten dort einspringen, wo die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. „Die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen sind offenbar nicht in der Lage, die 6.000 Wohnungen zu bauen, die sie jährlich verwirklichen sollen“, erklärte Heitmann Ende der Woche in einem Interview mit dem Tagesspiegel. „Dazu reichen deren Baukapazitäten nicht aus. Sie schaffen aktuell nur 3.000 Wohnungen“, so Heitmann. „Wir dagegen stehen bereit, können preiswert bauen und sozial vermieten, bekommen aber keine Unterstützung.“
Für Neubauten brauchen die Genossenschaften nicht nur passende Grundstücke, sondern auch Fördergelder. Im Haushalt von Rot-Rot-Grün stehen dafür 20 Millionen Euro bereit. Die Hälfte davon ist für die Neugründung von Genossenschaften vorgesehen, die andere für Wohnungsbauförderung.
Doch die ist bislang an Bedingungen geknüpft. Wer Fördergelder in Anspruch nimmt, so sieht es das Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung vor, muss ein Drittel der neu gebauten Wohnungen zu einer Nettokaltmiete von 6,50 Euro den Quadratmeter bereitstellen. „Das kann eine Genossenschaft nicht machen“, meint Heitmann. „Dazu müssen wir die anderen für etwa 14 Euro anbieten.“ Heitmann argumentiert, dass Genossenschaften ihren Wohnungsbestand langfristig bewirtschaften. „Andere Bauträger wandeln die Wohnungen nach Ablauf der Bindungsfrist um und verkaufen sie als Eigentumswohnungen“, betont er.
In der Tat funktioniert das Geschäftsmodell einer Wohnungsgenossenschaft anders als bei privaten Investoren oder landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Bei der Bremer Höhe beträgt der Eintritt in die Genossenschaft 100 Euro. Wer eine Wohnung bekommt, muss zudem Pflichtanteile in Höhe von 5.112,90 Euro zeichnen. Dafür ist das Nutzungsentgeld, wie die Miete der Genossinnen und Genossen heißt, günstig. Bei den 700 Wohnungen in der Bremer Höhe beträgt es 5,50 Euro pro Quadratmeter kalt.
Kein billiger Wohnraum
Anders dagegen verhält es sich bei den Neubau-Genossenschaften. Um gegenüber den Banken einen Eigenkapitalanteil nachzuweisen, ist der Eintritt sehr hoch. Nicht selten beträgt er über 600 Euro pro Quadratmeter. Dazu kommen dann noch einmal Nutzungsentgelte, die mit 8 bis 14 Euro weit über dem Mietspiegel liegen.
Kein billiger Wohnraum also, auch wenn er genossenschaftlich ist und keinem privaten Eigentümer gehört, der damit spekulieren kann. Soll das der Senat auch noch mit Fördergeldern unterstützen? Nein, meint zum Beispiel Katalin Genburg von der Linksfraktion. Ja, meinen Grüne und auch der Sozialdemokrat Mindrup. „Anders als beim Berliner Modell, das eine begrenzte Laufzeit hat, ist der Schutz der Genossenschaftswohnungen vor Spekulation dauerhaft.“
Mindrup verweist auf München, wo nicht nur je nach Lage 20 bis 40 Prozent aller kommunalen Grundstücke an Genossenschaften gehen, sondern der Neubau auch kräftig gefördert wird. „Da gibt es keine bürokratischen Monster“, so der SPD-Politiker, der auch im Aufsichtsrat der Bremer Höhe sitzt.
Zu den Unterstützern der Genossenschaften gehört auch der Verband Berlin Brandenburgischer Wohnungsunternehmen BBU. BBU-Sprecher David Eberhart ist der Meinung, dass die Genossenschaften weit mehr als bisher zum Wohnungsneubau beitragen könnten. „Das hängt aber weniger von der Förderung und den Kriterien ab“, ist er überzeugt. „Entscheidend sind die Grundstücke.“ Die zwanzig Grundstücke hält Eberhart nicht für ausreichend. „Die sind klein, es gibt hohe Auflagen, und oft ist unklar, ob es da überhaupt Baurecht gibt.“
Eine Argumentation, die die Sprecherin von Bausenatorin Katrin Lompscher nicht nachvollziehen kann. „Als wir die Grundstücke vorgestellt haben, waren alle begeistert“, so Katrin Dietl zur taz. David Eberhard meint dagegen: „Wenn es der Senat ernst meint mit dem genossenschaftlichen Bauen, muss eine ganz andere Liste her.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern