„Generation F – Zeit für Sportler:innen“: Jedes Häkchen gesetzt
Ein WDR-Format will den Blick auf Sportler:innen schärfen. Mehr Sendezeit für die Sportarten selbst wäre aber auch angebracht.
Der Sport ist ein notorisch später Gast auf der Party des Fortschritts; ob Homosexualität oder Feminismus, Klimaschutz oder Diversität, der alte Mann fürchtet die Verweichlichung. Seit einigen Jahren aber rollt mit Verspätung und viel Gegenwehr die Welle des wirtschaftsfreundlichen Liberalismus hinein – und damit mehr Präsenz von Frauen in Sportmedien. „Equalate Sports“, „Flutlicht an“, „Mittag’s bei Henning“ oder „Frauen reden über Fußball“ heißen Podcasts, die Sexismus im Sport zum Thema machen.
Mit sportfrauen.net ist ein Portal nur über Sportlerinnen entstanden, Biopics über unangepasste Athletinnen wie Tennisikone Billie Jean King oder Eiskunstläuferin Tonya Harding laufen gut, und selbst der Kicker hat jetzt einen Podcast namens „FE:male“. Offenbar möchte nun auch der WDR mit von der Partie sein.
„Generation F – Zeit für Sportler:innen“ heißt die einmal monatlich erscheinende Serie, die „die Sichtbarkeit von Frauen im Leistungssport fördern“ soll. Die Folgen sollen von Instagram über YouTube bis zum linearen Fernsehen möglichst viele Plattformen nutzen; im TV ist die erste Folge allerdings nach 23 Uhr versteckt. Das Rezept von „Generation F“ ist nicht überraschend: In jeder Episode wird eine Sportlerin oder ein Team porträtiert.
Los geht es mit Weitspringerin Maryse Luzolo, die im vergangenen Jahr in Tokio nach langer Verletzung mit 26 Jahren ihr olympisches Debüt gab. Es ist ein Auftakt, der akkurat jedes Häkchen für Diversität setzt: eine Schwarze deutsche Athletin, eine Randsportart, eine Migrationsbiografie, eine Karriere der zweiten Reihe mit Brüchen, und mit Christiane Schwalm führt eine Frau Regie. Gut gemeint – aber auch gut gemacht?
Die Heldinnenreise als Standardplot
Damit Sportdokus Emotionen wecken, folgen sie einer vorhersehbaren Dramaturgie: aus dem tiefen Tal an die Spitze. Eine, der sich auch „Generation F“ nicht entziehen kann. Losgehen muss es am Tiefpunkt: Luzolo berichtet von ihrem schweren, fast mag man sagen traumatischen Knieunfall 2017, in dessen Folge der Arzt ihr sagte, sie werde vielleicht nie wieder Leistungssport treiben können. Und es folgt die obligatorische Heldinnenreise, bei der sie sich zurückkämpft, inklusive Bildcollagen vom Training und Fitnessstudio-Soundtrack.
Das Ganze kulminiert in den Olympischen Spielen, die die Protagonistin zum Glück für die Macher:innen und entgegen aller Wahrscheinlichkeit erreichte. Kritische Töne über Leistungssport – Luzolo räumt in einem Nebensatz ein, dass sie seit dem Unfall konstant unter Schmerzen Sport treibt – muss man hier nicht suchen.
Dass die Geschichte dennoch in Bann zieht, hat sie der ganz hervorragenden Protagonistin und ihrem Umfeld zu verdanken. Maryse Luzolo agiert natürlich, ehrlich, emotional, ansteckend gut gelaunt – und lässt es zu, dass andere sehr persönlich über sie sprechen. Partner David erzählt, was es mit ihrer damals sehr frischen Beziehung machte, als seine Freundin plötzlich nach dem Unfall nicht mal mehr allein auf die Toilette gehen konnte. Und wie eine psychische Belastung nach der Verletzung blieb: „Es gibt immer noch Tage, wo sie weinend zusammenbricht oder nachts Panikattacken bekommt. Wenn wir einen Film gucken, wo es eine Kampfszene gibt und man hört, wie der Knochen bricht, ist der Abend gelaufen.“
Deutscher Adler
Es ist ein Verdienst der Macher:innen, nahe genug herangekommen zu sein, um ein Kernthema zu erkennen, das die Geschichte über das übliche Zero-to-Hero heraushebt: Verletzung. Nicht nur durch den Unfall, sondern auch durch das Dasein als schwarzes Mädchen in Deutschland.
Maryse Luzolo selbst wird bisweilen sehr deutlich zum Thema Rassismus. Die Leichtathletik nennt sie „den Ausweg aus der blöden Realität, in der ich als schwarzes Mädchen gelebt hatte“. Sport als Weg zur Anerkennung in der rassistischen Mehrheitsgesellschaft. Und gleichzeitig als Institution, in der es, wie Luzolo anhand persönlicher Beispiele erzählt, ebenfalls Rassismus gibt. Ein großer Stolz, der deutsche Adler, aber ein Stolz, der nicht ohne Brüche ist.
Zum heimlichen Star der Geschichte avanciert derweil Maryse Luzolos Mutter Ambote, die mit Verve vom Kampfwillen ihrer Tochter erzählt, in der Wohnung nach ihrer Migration aus dem Kongo ein kleines Afrika schaffen möchte und grandiose Sätze über ihre Tochter sagen kann wie: „Sie ist für mich manchmal wie ein Ehemann.“
Ob so eine Serie der erfolgreichste Weg ist, Fans für Sportlerinnen zu gewinnen? Ob das überhaupt Aufgabe von Journalist:innen ist? Dafür bräuchte es schon eine regelmäßige Plattform. Für Maryse Luzolo wäre wohl vor allem eines hilfreich: Weitsprung mehr als einmal pro Jahr zu zeigen.
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