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Generaldebatte im BundestagDer Ankündigungskanzler

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Friedrich Merz verspricht zu oft, was er nicht halten kann. Im Bundestag lässt er Fragen offen, auch, wie er sich die Sozialreform vorstellt.

Auf dem Weg zur Generaldebatte: Lars Klingbeil und Friedrich Merz am Mittwoch im Bundestag Foto: Liesa Johannssen/reuters

D er Kanzler hat die ungute Neigung, Erwartungen zu wecken, die er nicht erfüllt. Da war zuerst die Ansage, es werde schon bald allen besser gehen, weil er ja im Kanzleramt sitzt. Danach verkündete Friedrich Merz den Herbst der Reformen, bei dem niemand so recht weiß, was gemeint ist. Dann beerdigte er den Sozialstaat, um sich seitdem wortreich zu ihm zu bekennen. Die einzige Konstante bei Merz scheint zu sein, dass er Produktenttäuschungen in immer höherer Frequenz liefert. Wäre Merz Kaufmann, der Bankrott wäre nah.

Schwarz-Rot hat die Unternehmensteuern gesenkt, die Grenzen fast dichtgemacht, Investitionen für die Infrastruktur beschlossen, Unsummen für Rüstung mobilisiert. Wer bei der Generaldebatte im Bundestag erfahren wollte, was noch ansteht, wurde enttäuscht. Offen ist, wie Schwarz-Rot das 30-Milliarden-Loch für 2027 füllen will. Offen ist, wie die Reformen des Sozialstaats aussehen sollen. Fragt man den Kanzler, ist die Antwort entweder wolkig oder tagesformabhängig.

Der Wankelmut des Kanzlers erhellt schlaglichtartig, dass die Union programmatisch blank ist. Bis jetzt funktioniert nur die radikale Begrenzung der Migration. Umso größer ist die Aufgabe der SPD, die mausgrau mitregiert. Ihr Job ist es, wie schon zu Merkels Zeiten, im Hintergrund die Linien zu ziehen. Die gute Nachricht ist, dass SPD-Chef Lars Klingbeil offenbar strategisch denkt. Kürzungen beim Sozialen werde es nur geben, wenn Reiche mehr Steuern zahlen – so Klingbeil in der SPD-Fraktion.

Auch wenn man Kürzungen beim Sozialen generell ablehnt – realpolitisch ist das richtig. Schwarz-Rot kann es sich nicht erlauben, sich bei der Reform des Sozialstaates komplett zu blockieren. Schwarz-Rot kann sich auch nicht erlauben, den Ärmsten Geld wegzunehmen, derweil das obere eine Prozent viel Geld verdient, ohne einen Finger krumm zu machen. Die Frage lautet, ob Merz das versteht. Und ob er der Öffentlichkeit höhere Steuern für Reiche verkaufen kann. Ohne Produktenttäuschung.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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