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Generaldebatte im BundestagStreit und Einigkeit

Merz und Scholz fallen in der letzten Bundestagssitzung der Legislaturperiode noch mal übereinander her. Doch es gibt auch Szenen der Übereinkunft.

„Schockierender Umgangston“: Friedrich Merz und Olaf Scholz arbeiten sich vor dem Deutschen Bundestag aneinander ab Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Während die Abgeordneten ihre letzten Reden in dieser Legislaturperiode halten, betritt am Dienstag eine 18-jährige Schülerin mit ihrer Klasse die Besuchertribüne im Bundestag. „Ich will endlich Heidi hören“, sagt sie. Doch sie hat Pech: Statt der Gruppenchefin der Linken, Heidi Reichinnek, erlebt sie die Rede von Alexander Dobrindt. Der CSU-Landesgruppenchef wirft Bundeskanzler Olaf Scholz vor, albern zu sein. „Sie haben wie im Comic gesprochen, sie haben wie im Comic regiert“, so Dobrindt in Richtung des SPD-Spitzenkandidaten.

Es ist die vorerst letzte Debatte im Plenum, bevor in anderthalb Wochen ein neuer Bundestag gewählt wird. Die Schülerin, die ihren Namen nicht nennt, sagt, sie finde den rauen Umgangston im Parlament „schockierend“. Dabei ist die Sitzung neben den harten Angriffen, die alle Parteien im Wahlkampf gegeneinander fahren, auch durch Momente von großer Übereinkunft geprägt: Po­li­ti­ke­r*in­nen wie die Vizepräsidentin des Bundestags, Yvonne Magwas (CDU), und der ehemalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert halten emotionale Reden über die Bedrohung der parlamentarischen Demokratie.

Scholz arbeitet sich in seiner 25-minütigen Rede an CDU-Chef Friedrich Merz ab. Er wirft seinem Herausforderer vor, in zentralen Fragen unseriös zu handeln: vom Umgang mit der Ukraine bis zur Wirtschaftspolitik. „Wer in Fragen von Krieg und Frieden so kopflos daherredet, wer so orientierungslos ist, der sollte keine Verantwortung tragen für Deutschlands Sicherheit“, ruft er. Scholz wirft Merz dabei vor, etwa in der Frage der Lieferung des Taurus-Marschflugkörpers eine uneindeutige Linie zu fahren.

Distanzierter Kanzler

Der Kanzler bleibt in seiner Rede, die er wie gewöhnlich abliest, betont distanziert: Obwohl der Oppositionschef seine ständige Referenz ist, adressiert Scholz ihn nur indirekt. „Der Oppositionsführer“ lege mit seiner Migrationspolitik die Axt an den europäischen Zusammenhalt. „Glauben Sie, Solidarität entsteht, wenn Deutschland mutwillig europäisches Recht bricht“, fragt Scholz mit Blick auf den Zusammenhalt in der EU angesichts von Strafzöllen aus den USA. „Das ist doch naiv, das schadet deutschen Interessen“, so Scholz.

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In seiner Replik gibt sich Merz betont gelassen und spottet über die Rhetorik des Kanzlers. „Was war das denn für eine überhebliche und kleinkarierte Rede“, sagt der CDU-Chef unter Gelächter aus der Unionsfraktion. Er bezeichnet Scholz’ Auftritt als „25-minütige abgelesene Empörung über den Oppositionsführer“. Merz hält dem Kanzler den Frust an der Ampelregierung vor. „Wir hatten einen täglichen ununterbrochenen Streit in Ihrer Koalition“, sagt er. Die letzten zwölf Monate seien „ein verlorenes Jahr für Deutschland“ gewesen.

Ähnlich wie Scholz nutzt auch Merz seine Redezeit ausschließlich, um sich an dem jeweils anderen abzuarbeiten, dazu holt er sogar die Sozialistenkeule gegen Scholz raus und bezeichnet seine Steuerpläne als „Klassenkampf“. Eigene Angebote, was er künftig konkret anders zu machen gedenkt, liefert der CDU-Chef keine. Am Ende versucht Merz dennoch eine kleine Brücke zu bauen: „Es gibt den 23. Februar, bis dahin werden hart kämpfen.“ Doch nach den Wahlen sollte die „breite politische Mitte“ in der Lage sein, die Probleme im Land zu lösen, sagt der CDU-Chef.

Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck wirft sowohl Merz als auch Scholz vor, in ihren Reden nur in die Vergangenheit geguckt zu haben. „Das Zukunftsthema, das hier wieder fehlte, war der Kampf gegen die globale Erderwärmung“, sagt Habeck. Das laute Johlen, das er von den Klimawandelleugnern aus der AfD-Fraktion erntet, bezeichnet der Vizekanzler als „animalisches Grunzen“. Habeck wirft CDU und SPD vor, die Augen zu verschließen vor der Arbeit, die nötig sei, um die Klimaneutralität zu erreichen.

Weidel will Merz Hand ausstrecken

AfD-Chefin Alice Weidel nutzt ihren Auftritt noch mal, um ihre inhaltliche Nähe zur Union zum Ausdruck zu bringen. „Unsere Hand ist ausgestreckt“, sagt sie in Richtung von Merz – obwohl dieser eine Zusammenarbeit mit den extrem Rechten erneut ausgeschlossen sehen wollte.

Reichinnek betritt am Ende der Debatte das Pult. Sie bemängelt, dass Politik für Kinder und Jugendliche im Wahlkampf nicht stattfände – da ist die Schülerin schon nicht mehr im Saal.

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1 Kommentar

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  • Grüne sollten verstehen, dass ein Kanzler der Grünen nicht so richtig grün sein kann, nur perspektivisch.



    Was ist besser als eine gute Partei - wie die Linke - , die gesellschaftlich Einfluss hat. nA? Doppelpunkt: Eine gute Partei mit einem Kanzler, der nicht mehr die Basis zu hundert Prozent vertreten kann, weil zum Einfluss haben eben Mehrheiten mit den schlechten Parteien notwendig sind.