Generaldebatte im Bundestag: Auf der Suche nach dem richtigen Ton
Bei der Generaldebatte kann man das volle Spektrum des politischen Auftritts bewundern. Während die einen pöbeln, üben sich andere in Sachpolitik.
In diesen Wochen, da die Unionsparteien neue Vorsitzende küren, die Koalitionspartei SPD ausgelaugt wirkt und die AfD als stärkste Oppositionspartei von einem schweren Spendenskandal erschüttert wird, sollte es – hofft man jedenfalls – etwas demütiger, sachpolitischer zugehen. „Die Menschen“, von denen so gern geredet wird, würden schließlich gern verstehen, was mit den von ihnen brav gezahlten Steuermilliarden passiert. 356,4 Milliarden Euro stehen zu Buche. Die „schwarze Null“ von Finanzminister Olaf Scholz „steht“, wie es so bildmächtig wie abstrakt heißt. Aber das Land, es ist unruhig. Das sind die Gedanken, die einem durch den Kopf gehen können, während es zum Beginn der Sitzung im Reichstagsgebäude still wird. Es spricht zuerst Alice Weidel.
Die Fraktionsvorsitzende der AfD beginnt mit ihren üblichen Schmähungen und Bezichtigungen. Ausgabenwahn, Ausverkauf, derlei. Doch Weidel kann nicht ignorieren, wie unruhig das Plenum ist. Aktuell steht sie wegen einer verbotenen Parteispende aus dem Ausland hart in der Kritik, die Atmosphäre zwischen ihr und ihrem Covorsitzenden Alexander Gauland ist mies. Man konnte das vor Beginn der Sitzung sehen, die beiden in der ersten Reihe würdigten sich keines Blickes. Nachdem aber Weidel sich den Bundestag zur Beute gemacht hat, um über die Spenden für andere Parteien – ausgenommen übrigens die Linke – abzuhassen, schließt er sie fest in die Arme. Bilderpolitik.
Bundeskanzlerin Angela Merkel
Nach Weidels sachpolitischem Komplettausfall tritt Angela Merkel ans Rednerpult. „Das Schöne an freiheitlichen Debatten ist, dass jeder über das redet, was er für das Land für wichtig hält.“ Gelächter und Applaus. Es folgt eine Rede, die so, in dieser Dringlichkeit, selten zu hören war von Angela Merkel. Sie spricht über die Arbeit der Großen Koalition, erwähnt die Arbeitserfolge der Regierung, geht auf Digitalpakt und Brexit ein. Eindringlich appelliert sie aber vor allem an die Abgeordneten, den UN-Migrationspakt nicht zu gefährden. „Entweder man gehört zu denen, die glauben, sie können alles alleine lösen und müssen nur an sich denken. Das ist Nationalismus in reinster Form. Patriotismus ist, wenn man im deutschen Interesse auch andere mit einbezieht und Win-Win-Situationen akzeptiert.“
Auf den Bänken der AfD flippt Beatrix von Storch regelrecht aus, als Merkel erklärt: „Deutsches Interesse heißt, immer auch die anderen mitzudenken.“ Die Pöbeljungs aus der AfD-Fraktion veranstalten einen Lärm, der anders als entlarvend kaum zu nennen ist. Hier spüren Demokratiefeinde ihre Unterlegenheit. Um so irritierender, dass sich nach Merkels Rede in der ersten Reihe der SPD-Fraktion keine Hand zum Applaus rührt.
FDP-Fraktionschef Christian Lindner ist an der Reihe. Der Liberale spricht von einem verlorenen politischen Jahr, das hinter der Bundesregierung liege. Gleich zu Beginn kommt er auf die immer stärker spürbare Distanz der Unionsparteien zu ihren scheidenden Vorsitzenden Merkel und Seehofer zu sprechen. Gerade versucht Kandidat Jens Spahn unter tatkräftiger Hilfe der CSU-Landesgruppe, Merkel die Debatte über den UN-Migrationspakt reinzudrücken. Lindner sagt nun, die Antwort auf offene gesellschaftliche Fragen sei sicher nicht, „dass wir uns im Nationalstaat verschanzen“. Die Bundesregierung rede anders, als sie handele. „Aber wer den Mund spitzt, muss auch irgendwann pfeifen“, wendet er sich an die Kanzlerin. Lindner war als Rhetoriker schon mal besser.
Andrea Nahles als Topact der Debatte geplant
Die Rede von Andrea Nahles war als eine Art Topact dieser Debatte angekündigt. Die SPD-Fraktionsvorsitzende lobt dann aber doch nur die Arbeit der Bundesregierung und spricht sich für eine bessere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene aus. „Dieser Haushalt investiert in die richtigen Fragen, nämlich in Chancengleichheit, in Bildung“, sagt Nahles. Er sorge aber auch für Sicherheit – für soziale Sicherheit etwa bei Renten und in der Pflege, aber auch für einen handlungsfähigen Staat und neue Stellen bei der Bundespolizei. Angesichts der harschen innerparteilichen Kritik wirkt Nahles erschöpft. Nicht einmal aus ihrer eigenen Fraktion kommt nennenswerter Applaus.
Um viertel nach zehn tritt Sahra Wagenknecht ans Podium. Sie hat Ahnung von Wirtschaft und schwingt sich auf das erwartbare fachpolitische Niveau hinauf. Spekulationen am Finanzmarkt, Sicherung der Spareinlagen, Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer – Wagenknecht spricht versiert. Sie kritisiert die digitale Wende als Angstthema der Erwerbstätigen. Merkel tippt auf ihrem Handy, hört aber zu, während Wagenkecht über europäische Friedenspolitik, Willy Brandts selige Entspannungspolitik spricht und die deutschen Rüstungsexporte geißelt. „Wir haben uns viel zu sehr an die Unfähigkeit von Regierungen gewöhnt“, moniert die Linke. Zufriedene Rüstungslobbyisten seien ihr wichtiger als zufriedene Wähler. Die Politik habe den sozialen Zusammenhalt im Lande zerstört. Wie sehr, zeigten die Erfahrungen, die im Netz unter dem Stichwort #unten geschildert würde. Sich das mal anzuschauen, täte nebenbei bemerkt auch der FDP gut. Lindner schwatzt derweil mit seinem Parlamentarischen Geschäftsführer Marco Buschmann.
Anton Hofreiter spricht als Fraktionsvorsitzender der Grünen. Er kommt sofort auf die Europäische Union als verbindende Institution. Streit, Sommerpause, wieder Streit, so umreißt er das zurückliegende Regierungsjahr. „Und die SPD sitzt da wie das Kaninchen vor der Schlange“, wendet er sich an Nahles. „Was für ein Unfug“, holzt die zurück. Unter dem Hohngelächter von AfD-Jungs spricht Hofreiter über die europäische Klimaabgabe als Instrument gegen Sozialdumping. An die Kanzlerin gewandt, sagt er, sie habe „eine ganz bemerkenswerte Rede gehalten“. Aber ihre Regierung arbeite holprig, ihr Innenminister „tölpelhaft“.
Zum Schluss kommt der neue Unionsfraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus. Er findet einen verbindenden Ton. „Die Menschen“, um die es hier ja gehen soll, seien „unruhig“. Der gesellschaftliche Konsens bröckele. „Wir müssen die Gesellschaft wieder mehr von der Mitte her denken“, sagt Brinkhaus, „indem wir konkret was tun und ohne die Ränder zu vernachlässigen.“ Kita, Pflege, Bildung, Rente, das seien die Themen im Land. Womöglich ist es das, womit „die Menschen“ etwas anfangen können: weniger eitles Gepöbel, dafür mehr lebensweltliche Sachpolitik. Am Mittwoch im Bundestag war von derlei gerade mal in Ansätzen etwas spürbar.
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