Gemäldegalerie Berlin: Angriff der Gegenwart

Die Gemäldegalerie soll aus ihrem Haus am Potsdamer Platz in das viel zu enge Bodemuseum. Es gehört Chuzpe dazu, diese Rochade eine „historische Chance“ zu nennen.

Noch ist die Kirche im Dorf bzw. die Gemäldegalerie in der Gemäldegalerie. Bild: dapd

BERLIN taz | 100.000 Besucher. Stolz vermeldete das Germanische Nationalmuseum vor Kurzem seinen Erfolg. So viele Menschen hatten die Ausstellung „Der frühe Dürer“ besucht, die seit Ende Mai dort zu sehen ist. Kein Wunder: Seit 60 Jahren gab es keine vergleichbare Schau in Deutschland. Sie belegt aber auch eine aufschlussreiche Begeisterung, die sich die Berliner Museumspolitiker dieser Tage vielleicht vor Augen führen sollten: „Alte Meister“ gehen schon.

Genau daran glaubt man in Berlin offenbar nicht. Sonst würde man die 1998 eröffnete Gemäldegalerie nicht aus ihrem maßgeschneiderten Haus am Potsdamer Platz in das viel zu enge Bodemuseum auf der Museumsinsel vertreiben. Sondern mit dem gleichen Aufwand für Rogier van der Weyden, Caravaggio und Diego Velázquez werben wie einst für den Blockbuster „Das MoMA in Berlin“.

Es gehört schon Chuzpe dazu, diese Rochade eine „historische Chance“ zu nennen, wie jetzt Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz. Er muss ja nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass 2023 tatsächlich der Ersatzbau gegenüber dem Bodemuseum stehen wird. Und dass es bei den geschätzten Baukosten von mehr als 150 Millionen bleibt. Ganz zu schweigen von der hässlichen Tatsache, dass die Sammlung am Ende dieser endlosen Hängepartie auch noch auf zwei Häuser aufgeteilt wird. Dann wird Schmitz nämlich längst nicht mehr im Amt sein.

Nach nur 14 Jahren wird die Sammlung wieder getrennt

Gerade mal vierzehn Jahre ist die Gemäldegalerie wieder zusammengeführt – nach Jahrzehnten der Teilung. Eine Sammlung von dieser Bedeutung sehenden Auges in eine Zwangsverbannung von wenigstens einer Dekade zu schicken, erfüllt den Tatbestand der Verhinderung der Aneignung des kulturellen Erbes. Was an sich schon inakzeptabel ist.

Bedenklich ist aber auch die Geringschätzung der Geschichte, die der Vorgang offenbart. Nichts gegen ein „Forum der Moderne“ in der Avantgardestadt Berlin. Nur warum sollen dafür die Jahre 1200 bis 1800 auf einen Schnelldurchlauf schrumpfen? Im Bodemuseum könnten immer nur 500 der 1.200 Exponate aus der Gemäldegalerie gezeigt werden. Der Rest verschwände im Depot. Währenddessen hundert Surrealisten der Sammlung Pietzsch am Potsdamer Platz der rote Teppich ausgerollt werden soll.

Mehr als Querelen irgendeines wurmstichigen Kunstbürgertums

Da stimmen die Maßverhältnisse nicht. Nur weil die FAZ die Gemäldegalerie als „Kronjuwel des preußischen Erbes“ bejubelt, besteht übrigens kein Grund, die ganze Chose als Querelen irgendeines wurmstichigen Kunstbürgertums abzutun. Hier findet ein veritabler Angriff der Gegenwart auf die Vergangenheit statt, um einen Filmtitel Alexander Kluges abzuwandeln.

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