Gelbwesten-Proteste in Frankreich: Für tot erklärt, aber immer noch da

Bald gibt es die „Gilets jaunes“ ein Jahr lang. Wie geht es weiter? In Montpellier trafen sich 450 Delegierte, um über die Zukunft zu sprechen.

Demonstrant mit gelber Weste in Tränengasschwaden

Paris, 1. Dezember 2018: Protest gegen Dieselbesteuerung am Place de l'Etoile Foto: Stephane Mahe/reuters

PARIS taz | Die Protestbewegung „Gilets jaunes“ in Frankreich mag von den Medien seit Wochen für tot und beerdigt erklärt werden. Doch die 450 Delegierten, die am Wochenende für ein landesweites Treffen nach Montpellier gekommen sind, trugen immer noch ihre gelben Warnwesten – das Emblem des Protests. Ihr Kampf gegen Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Erniedrigung und staatliche Willkür begann am 17. November 2018. Die Versammlung hat am Sonntag dafür gestimmt, sich am 5. Dezember dem Streik gegen die Rentenreform im öffentlichen Verkehr in Frankreich anzuschließen, zu dem mehrere Gewerkschaften gemeinsam aufgerufen haben.

Die Teilnehmer repräsentieren mehr als 200 lokale Vollversammlungen und wollten in Montpellier über das weitere Vorgehen und vor allem eine bessere Koordination ihrer bisher auf nationaler Ebene kaum strukturierten Bewegung diskutieren.

Passend zur Vorgeschichte der Gelbwesten mit spontanen Blockaden von Kreiseln, Autobahn-Mautschranken, den samstäglichen Demonstrationen und den gewaltsamen Zusammenstößen mit Ordnungskräften, wundert es nicht, dass auch diese vierte nationale „Versammlung der (lokalen) Versammlungen“ (ADA) in einem eigens für den Anlass besetzten Gebäude über die Bühne geht.

Das seit 2010 geschlossene Landwirtschaftsmuseum „Agropolis“ wurde kurzerhand besetzt und von Gelbwesten-Freiwilligen aus dem Südwesten geputzt und als „Kongresszentrum“ in Stand gesetzt. Andere Gruppen organisierten die Logistik, die Verpflegung und Unterkunft der Angereisten. Allein schon diese Vorbereitung dürfte die gängige Ansicht widerlegen, wonach die Bewegung völlig abgeflaut sei.

Immer wieder gewalttätige Zusammenstöße

Ein ADA-Mediensprecher will vor voreiligen Schlüssen warnen: „Es wäre falsch, einzig und allein aus der Perspektive der Demos an den Samstagen von einer Schwäche zu reden. Die Bewegung besteht aus den Leuten, die sie bilden, und diese sind in der gesamten Gesellschaft überall in Frankreich verstreut.“ Sehr viele Gelbwesten sind sehr im Lokalen aktiv, sagte er. „Das taucht auf dem Radarschirm der Medien nicht auf.“

Aber auch die staatliche Repression bei den Demonstrationen blieb nicht ohne Wirkung auf die Mobilisierungskraft. Immer wieder kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten mit zahlreichen Verletzten. Der Polizei wird der Einsatz von Hartgummigeschossen vorgeworfen, die schwere Verletzungen verursachen können.

Um eine neue Schlagkraft und Sichtbarkeit zu erlangen, diskutierten die Gelbwesten in Montpellier über Aktionsformen und das Verhalten angesichts der Repression, die Organisation auf überregionaler Ebene, die mögliche Zusammenarbeit mit anderen Bewegungen und die Frage potenzieller Bündnispartner. Die gemeinsamen Erkenntnisse sollen danach zurück an die Basis gebracht werden.

Die Bewegung will aber auf keinen Fall so etwas wie eine Partei werden, sondern den basisdemokratischen und föderalistischen Charakter beibehalten, der auch die heterogene Zusammensetzung der Beteiligten ermöglicht hat. Deutlich wird eine „antikapitalistische“ Stoßrichtung und die Absicht, sich noch stärker als bisher an umweltpolitischen und gewerkschaftlichen Mobilisierungen zu beteiligen und so eine „Konvergenz“ des Widerstands zu fördern – als Exempel soll die Teilnahme am Streik vom 5. Dezember dienen.

Am 17. November jährt sich der Protestbeginn der „Gilets jaunes“. Eine der bekanntesten Sprecherinnen der Bewegung, Priscillia Ludosky, verriet in einem Interview mit der Financial Times, es werde eine Überraschung von „großem Ausmaß“ geben. Ihre Zwischenbilanz ist durchwachsen: „Ich würde nicht sagen, dass es ein Erfolg ist, aber wir haben bereits Vieles verändert.“ Sie erwähnt dabei vor allem den Elan der Solidarität an der Basis und bisher verdrängte Alltagsprobleme, die dank der Protestierenden in der Öffentlichkeit diskutiert werden.

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