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Geheimdienst-Chef Bar muss gehenNetanjahu-Regierung gegen Geheimdienst

In Israel will Netanjahu mit Schin Bet-Chef Ronen Bar eine weitere kritische Stimme absetzen. Noch in dieser Woche soll das Kabinett entscheiden.

Ronen Bar, hier bei einem Gedenktag für gefallene Soldaten, soll nach dem Wunsch Netanjahus abgesetzt werden Foto: Gil Cohen-Magen/reuters

Jerusalem taz | Noch in dieser Woche soll Israels Kabinett über die Entlassung von Ronen Bar, dem Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, abstimmen. Am Sonntag dürfte ein Misstrauensvotum über die Zukunft von Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara folgen. Beide zählen nicht nur zu den wenigen verbliebenen kritischen Spitzen israelischer Behörden – ihre Institutionen leiten auch Ermittlungen gegen Regierungschef Benjamin Netanjahu und dessen Umfeld. Kritiker fürchten um die Unabhängigkeit dieser Behörden.

In den vergangenen Monaten hat sich der Konflikt zwischen Netanjahu und Bar, der Schin Bet seit 2021 führt, zugespitzt. Am Sonntag kündigte Netanjahu an, Bars Entlassung einzuleiten. Wie schon bei der Entlassung von Verteidigungsminister Joav Galant im November begründete der dabei nicht um Superlative verlegene Regierungschef dies mit fehlendem Vertrauen „inmitten unseres Kampfes ums Überleben“.

Bar antwortete ungewöhnlich deutlich: Netanjahus Erwartung eines „persönlichen Vertrauensverhältnisses“ stehe im Widerspruch zum Interesse der Öffentlichkeit. Er wolle erst abtreten, wenn alle im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln zurückgekehrt seien.

Der Geheimdienstchef hatte bereits die Leitung der Verhandlung zum Waffenstillstand im Gazakrieg an einen Vertrauten Netanjahus abgeben müssen. Jüngst veröffentlichte der Schin Bet einen Bericht zu Versäumnissen, die den Überraschungsangriff der Hamas am 7. Oktober ermöglicht hatten. Darin räumte die Behörde Versagen ein, gab aber der Regierung eine Mitschuld.

Netanjahu weist Schuld von sich

Zudem gilt Bar als Befürworter einer staatlichen Untersuchungskommission zum Hamas-Angriff. Netanjahu hat, anders als die Spitzen der Sicherheitsbehörden, bisher jede Verantwortung für den 7. Oktober zurückgewiesen und ist gegen eine solche Kommission. Kritiker werfen ihm unter anderem vor, jahrelang finanzielle Hilfe aus Katar für die Hamas zugelassen und so die rivalisierende Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland geschwächt zu haben.

Die Politikwissenschaftlerin Gayil Talshir sieht den Anlauf für Bars Entlassung politisch motiviert: „In Bars Fall gibt es einen klaren Interessenkonflikt, weil der Schin Bet aktuell gegen engste Vertraute Netanjahus in dessen Büro ermittelt.“ Mitarbeiter des Regierungschefs werden verdächtigt, im Auftrag Katars gearbeitet zu haben und vertrauliche Armee-Unterlagen an die Öffentlichkeit gegeben zu haben.

Laut Talshir droht eine Verfassungskrise, sollte sich Netanjahu über die Generalstaatsanwältin Baharav-Miara hinwegsetzen. Diese hatte erklärt, Netanjahu könne Bar nicht „ohne gründliche Prüfung der juristischen Umstände“ entlassen.

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6 Kommentare

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  • Ungute Entwicklung, wenn die Exekutive sich selbst ermächtigt.



    Bei anderem schwappte Ungutes aus Israel zum Westen über (faktische Folter, Besatzung, Abwertung von Muslimen, einfach mal militärische Attacken und Tötungen), jetzt schwappen Orbán und Co. Richtung Israel rüber. Armes Land.

    • @Janix:

      Ein Großteil der Gesellschaft bewegt sich seit Jahrzehnten nach rechts, Kinder werden in den Schulen schon für das Militär begeistert und Landraub wird religiös begründet. Und wir unterstützen das alles bedingungslos.

      • @Moritz Pierwoss:

        Das sehe ich ähnlich. Die Entwicklung ist schon lange da. Ich würde fast sagen, das es spätestens seit Oslo stetig zugenommen hat. Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat das in folgendem Artikel ganz gut dargelegt: www.swp-berlin.org...liberale-koalition



        Als Gründe werden hier hauptsächlich das Scheitern des Friedensprozesses aber auch demographische Entwicklungen gesehen: "Je jünger, desto politisch rechter. Das hängt mit den hohen Geburtenraten in den reli­giös-zionistischen und ultraorthodoxen Milieus zusammen. Insgesamt verorten sich heute mehr als 60 Prozent der jüdischen Israelis politisch rechts." Das sind keine Entwicklungen die über Nacht passiert sind und leider konsequent von Dtl./ Europa ignoriert wurden, genau wie Völkerrecht im Allgemeinen. Man kann immer wieder von einzigen Demokratie im Nahen Osten reden und an die Einhaltung von Völkerrecht appellieren, nur halten Worte eine Demokratie und Völkerrecht nicht am Leben, wenn den Worten keine Taten bzw. Konsequenzen folgen.

      • @Moritz Pierwoss:

        Israel hat auf solche Praktiken kein Monopol, aber eine mehr und mehr wuchernde Realität der Ungleichheit wirkt auf die Köpfe, die diese Ungleichheit "begründen", oft r#ssistisch.



        Universal genauso kritisieren wie anderswo auch.

        • @Janix:

          Ich glaube wir können uns alle darauf einigen, dass vieles was die derzeitige israelische Regierung macht, so ziemlich aus dem Standardhandbuch rechter bis rechtsextremer Regierungen ist. Als erstes versucht man immer die Justiz anzugreifen, weil diese oft das größte Hindernis bei der Umsetzung gewisser Vorhaben ist. Zeitgleich folgen dann die Polizei/ Geheimdienst, Medien, Universitäten etc.! Und ich geben ihnen definitiv Recht wenn es darum geht Völkerrecht und Menschenrechte universal anzuwenden, genau deshalb sehe ich es aber leider auch so, dass Israel schon einen Schritt weiter ist als Orban & co., schon allein wenn man sich anschaut was seit letztem Jahr in der Knesset verabschiedet wurde und so gemacht wurde, mehrere Sachen direkte Verstöße des Völkerrechts: neue Landnahme + neuer Siedlungsbau, Besetzung Südsyriens + Angriffe, Blockade von Hilfslieferungen, es unter Strafe zu stellen das man Verbrechen an den ICC meldet oder das hier: verfassungsblog.de...-the-enemy-within/



          Und ich glaube womit der ein oder andere hier mittlerweile ein Problem hat, ist die rechte/ rechtsextreme Regierung Netanjahu zu unterstützen statt die Demokratie Israels und Völkerrecht.

          • @Momo Bar:

            Ja.



            Orbán war dabei früher, Netanyahu hat jedoch - unbehindert durch eine EU und gefördert von viel zu vielen - das Überholmanöver vollzogen