Gegenwind für Jugendhilfe-Reform: Weniger individuelle Hilfen
Verbände protestieren gegen Entwurf für Jugendhilfegesetz des Familienministeriums. Es drohe die Verstaatlichung der Jugendhilfe. Auch CDU-Politiker Weinberg äußert Kritik
Auch aus der Fachszene rollt eine Protestwelle, schon über 60 Unterzeichner soll eine „Hamburger Erklärung“ haben, die der alternative Wohlfahrtsverband Soal initiierte und die am Donnerstag die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) erreichen soll, wo das Thema Jugendhilfefinanzierung auf der Tagesordnung steht. Der Appell: Schwesig möge „die Reißleine ziehen“. Statt wie geplant ein Gesetz noch vor der Wahl 2017 durchzudrücken, benötige man „mehr Zeit, echte Beteiligung und Dialog“.
Noch gibt es keinen offiziellen Entwurf. Die Aufregung entzündet sich an dem „Arbeitsentwurf“, den Schwesig am 23. August der Fachwelt vorlegte. Es sei der Hamburger Senat, der hier „maßgeblich“ seine Ideen durchsetzte, heißt es in dem Aufruf. Deswegen bezögen nun die Vertreter der Hamburger Jugendhilfe Stellung.
Zum Beispiel sollen Eltern oder Jugendliche, die zur Alltagsbewältigung eine sozialpädagogische Einzelhilfe brauchen, vorrangig an Gruppenangebote verwiesen werden. Das können zum Beispiel Mütter-Kind-Treffs in der Nähe sein. Und über die Form der Unterstützung – bisher eine Aushandlungsfrage – soll künftig das Jugendamt bestimmen. Auch die Rechte der freien Trägersollen eingeschränkt werden. Künftig könnte eine Kommune einem Anbieter die Kostenerstattung verweigern, wenn der nicht zum Angebot passt. Auch über die Finanzierungsform der Angebote entscheidet der Staat allein.
„Für uns ist wichtig, dass es weiterhin individuelle Ansprüche auf Hilfen zur Erziehung gibt und diese nicht durch allgemeine Leistungs- und Strukturangebote ersetzt werden“, sagt Weinberg. Und für seine Partei sei der „kooperative Gedanke“ im Zusammenwirken von Eltern, Kindern, Trägern und Jugendamt „zentral“.
Statt vom Kind her zu denken, werde „vom Staat aus gelenkt“, kritisieren auch die Unterzeichner der Erklärung. Dieser Staat sei ein „allmächtiger“, dem es darum gehe, Kosten in den Griff zu kriegen.
Was nicht ganz stimmt. Die Stadt Hamburg betreibt seit Jahren eine Reform der „Hilfen zur Erziehung“, basierend auf der Idee, dass nebenher erbrachte Unterstützung in Sozialräumen wie Bauspielplätzen oder Müttercafés wirkungsvoller sein kann als spezialisierte Problemdienste. Doch gegen ein entsprechendes Zwölf-Millionen-Euro-Programm hat ein privater freier Träger erfolgreich geklagt. Auch deshalb hat der Senat ein Interesse daran, die Rechtsverhältnisse zu ändern.
Die Idee der Sozialraumorientierung „ist richtig“, schreibt zum Beispiel der Sozialwissenschaftler Christian Schrapper von der Universität Koblenz-Landau in einer Stellungnahme. Doch Schwesig habe diese Infrastrukturangebote nicht verbindlich im Gesetz verankert. Sollten individuelle Hilfebedarfe so befriedigt werden, müsste eine langfristig gesicherte Finanzstruktur vereinbart sein. Sonst drohe der Spardruck.
Aber der droht sowieso. Denn die Finanzminister liebäugeln seit Längerem mit einer „Regionalisierung“ der Sozialgesetzgebung, was heißt, dass die Rechte der Bürger von Land zu Land variieren – je nach Kassenlage. Doch als sich Bund und Länder Mitte Oktober auf neue Finanzbeziehungen einigten, fehlte dieser Punkt auf der Beschlussliste. „Die Länder wollten das nicht. Das ist vom Tisch“, sagt ein Sprecher des Finanzministers.
Nur passt das nicht zu der Botschaft, mit der CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt am 6. Oktober vor die Presse trat: Junge Volljährige und unbegleitete Flüchtlinge sollten Hilfen „nur noch in begründeten Ausnahmefällen“ erhalten. Und für diesen Kreis sollten die Länder die „Kompetenz“ erhalten, über „Inhalt und Umfang der Leistung selber zu bestimmen“.
Auf Nachfrage der taz erklärt die CSU-Landesgruppe, es sei in der Großen Koalition vereinbart worden, „dass Bundesministerin Schwesig hierzu zeitnah einen Gesetzentwurf erarbeiten soll“. Noch mehr Wasser auf die Mühlen der Kritiker.
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