Gefühle statt Handlungen: Wir stellen die falschen Fragen

Auch Jour­na­lis­t:in­nen rennen so manchem Trend hinterher. Die Folge: Sie stellen dämliche Fragen. Eine entledigt gar Politiker ihrer Verantwortung.

Silhouette von Journalistinnen mit Mikrofonen in der Dämmerung

„Was macht das mit Ihnen?“, eine beliebte Frage derzeit im Journalimus Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

Stellen Sie sich vor, Sie hören, wie eine hochseriöse Journalistin in einem hochseriösen Programm eines hochseriösen Radiosenders zu einer hochseriösen Sendezeit einem hochseriösen Politiker eine Frage stellt, die eine Pros­ti­tuier­te ihrem Freier stellen könnte: „Was macht das mit Ihnen?“

Dem Anlass entsprechend würde die Prostituierte der Frage vielleicht noch die Worte „Na, Baby“ voranstellen: „Na Baby, was macht das mit dir?“, würde sie dann lauten. Der auf diese Weise Befragte würde die Frage zwar sehr genau verstehen, könnte aber trotzdem nicht sonderlich präzise darauf antworten. Denn, wer kann schon so genau sagen, was es mit einem macht, wenn man gerade mit jemandem rummacht? Der interviewte hochseriöse Politiker fand sich in genau dieser Lage wieder.

Wenn etwas frühmorgens im Deutschlandfunk behandelt wird, ist es allerdings todernst und kein lustiges Vergnügen mit ironischen Anspielungen. Politikerinnen und Auskenner (meist im Bereich Natur- oder Gesundheitskatastrophen) tätigen dort Aussagen zum Ernst der Lage, an denen sich alle anderen den Tag über abarbeiten können.

An besagtem Morgen (ein Oktobertag 2021) war es aber nicht der geladene Experte – es ging um EU-Zollfragen im Rahmen des Brexit –, der mir den Ernst der Lage erklärte. Es war die Inter­viewe­rin, die den Mann, der zu drohenden Vertragsverletzungsverfahren und einem Handelskrieg Auskunft geben sollte, allen Ernstes fragte: „Was macht das mit Ihnen?“

Was er ihr antwortete, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass diese Frage mit mir etwas machte, das sich ungefähr so beschreiben lässt: „Uuaaaaaaaahhhh!!!!!!“

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Handlungen sind wichtig, nicht innere Zustände

Talkmaster und Kamingesprächsführer im TV hatten diese „Was macht das mit?“-Frage kultiviert, mit der vorgetäuscht wurde, dass der Interviewer Politikern und VIPs so richtig auf die Pelle rücke, dass er so nah an sie rankomme wie sonst höchstens ihre Sexualpartner.

Mittlerweile trifft man diese Frage überall da, wo das Geschäft mit Fragen gemacht wird: „Impfgegner organisieren sich im Netz. Was macht das mit der Gesellschaft?“ (Das Erste) – „Weihnachten online – was macht das mit uns?“ (Der Tagesspiegel) – „Die Städter ziehen aufs Dorf. Aber was macht das mit dem Land?“ (FAZ) … Und auch die entsprechende Antwort wird inzwischen wie eine Nachricht behandelt: „Die taz-Fotografin Marily Stroux wurde 28 Jahre lang vom Hamburger Verfassungsschutz observiert. ‚Das macht was mit mir‘, sagt sie.“ (taz)

Sicher, man kann Politiker und andere so fra­gen, wie man Kassierer im Laden anspricht: „Was macht das?“ (Antwort: „3,50 Euro.“) Aber eigentlich nur dann, wenn man diese Menschen als Patienten oder Geschlechtspartner auf seiner Couch oder als Testpersonen für ein neues Schlafmittel befragt.

Werden Politiker als Menschen mit Gefühlsleben befragt, nimmt man sie aus ihrer Verantwortung

Politiker aber werden für das Preisgeben innerer Zustände weder gewählt noch bezahlt. Sondern dafür, dass sie ihren Job machen. Werden sie als Menschen mit Gefühlsleben befragt, nimmt man sie aus ihrer Verantwortung. Nicht, was etwas mit ihnen macht, sondern was sie selbst machen, ist das, was wir von ihnen wissen wollen sollten.

Zunehmend seelsorgerische Betrachtung der Gesellschaft

Alles überbewertet? Es ist doch nur eine Frage? Sicher, auch die Sprache von Journalisten folgt nur ganz gewöhnlichen Trends, die inzwischen seltener von „der Straße“ als von Twitter kommen. („Was macht das mit euch?“ wird dort gern über skurrile Fotos von Jan Josef Liefers in glitzerblauen Pluderhosen oder von Grünkohl mit Pinkel gestellt.)

Auch an verwandten Trendfragen des Journalismus wie „Dürfen wir noch Discount-Ware kaufen?“ oder „Müssen wir jetzt alle Flugscham haben?“ lässt sich der gesellschaftliche oder teilgesellschaftliche Trend erkennen, der sich in der „Was macht das mit?“-Frage spiegelt: eine zunehmend seelsorgerisch ausgerichtete Betrachtung von Gesellschaft. Die Rede von „toxischen Beziehungen“, die Anzahl an neuen Sachbüchern, in denen es um Sinn, Selbstsorge und Seelenheil geht, geben davon Kunde.

Wenn nun seriöse Journalisten die „Was macht das mit?-“Frage stellen, können sie keine seriösen Antworten erwarten.

Es könnte natürlich sein, dass die Frage eine Verzweiflungstat ist, weil Politiker mittlerweile so durchgecoacht sind, dass sie auf so gut wie alle Fragen mit „Ach wissen Sie …“ antworten und dann irgendwas erzählen, was keine Antwort auf die Frage ist. Olaf Scholz beispielsweise könnte auf jede Frage antworten: „Ach wissen Sie, heute gab es in der Bundestagskantine Grünkohl mit Pinkel, das hat mir ganz gut geschmeckt.“ Und niemandem würde es auffallen, da er sowieso nie irgendwas Fundamentales zur Sache sagt.

Das Kerngeschäft muss das Geschäft mit den Fragen bleiben

Es könnte aber auch sein, dass man die Inszenierung der Politik verinnerlicht hat und glaubt, die politischen Probleme (wer bezahlt für was wie viel?) kämen über uns wie die Apokalypse, das Pfingstwunder oder Feenstaub. Und Menschen, die dafür gewählt und bezahlt werden, Politisches zu erkennen, zu entscheiden, zu kontrollieren und zu lösen, würden von ihrem Berufsfeld auch bloß angeweht wie vom Duft des Grünkohls (mit Pinkel).

Die Pandemie bestärkt diesen Eindruck, und mit der relativen Unberechenbarkeit des Virus entschuldigen denn auch Politiker ihr Handeln. Und das fliegt ihnen nun heftig um die Ohren.

Aber nur, weil das „Establishment“, „die Schwatzbude“, „die da oben“ und „die Presse“ – traditionelle Feindbilder des Rechtsextremismus – im Fokus von Protesten (Stuttgart), Putschversuchen (Washington, D. C.) und populistischen Regierungen (Boris Johnson) liegt und man Politiker und demokratische Institutionen vor pauschalisierenden Anfeindungen in Schutz nehmen möchte, sollte der Journalismus sein Geschäft nicht aufgeben: das Geschäft mit den Fragen.

Zugegeben, die früher mal trendige Frageformulierung „Welche Auswirkungen hat (dieses und jenes) auf unsere Gesellschaft?“ war auch nicht präziser. Es wurde nur eine vulgärsoziologische (sagte man früher auch gern) Komponente hineingeheimst, während die derzeitige „Was macht das mit?“-Frage eine ist, auf die man eigentlich nur antworten kann: „Bauchschmerzen“. Oder: „Nichts“.

Vielleicht wird auch einfach viel zu viel gefragt: Tausend Talkshows, tausend Podcasts – ständig wird irgendwer zu irgendwas befragt, und man fragt sich schon, wann die Leute eigentlich was machen, wenn sie ständig darüber reden, was das mit ihnen macht.

Dabei ist die Frage als solche, also der Interrogativsatz, ein Gut von höchstem Wert. Man sollte sie auch so behandeln. Als ein Objekt mit Würde. Denn nur, weil es heißt, dass es keine dummen Fragen gäbe, ist nicht ausgemacht, dass diese Aussage einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten würde.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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