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GeflügelindustrieKampf der Eier-Titanen

Hinter den schönen bunten Ostereiern steht eine milliardenschwere Industrie. Sie bestimmt über Zucht und Preise.

Farbige Ostereier lagern in einem Geflügelhof und warten auf Ostern Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

A m Ostersonntag blickte ich, wie jedes Jahr, gebannt auf einen Korb mit farbigen Eiern. Ich prüfte jedes der Eier hinsichtlich seines Potenzials, ob es sich als Prellbock (die Spitze) oder als Festung (der hintere Teil) zum Kampf eignete. Kaum hatte ich mich für meinen Favoriten entschieden, begann die Schlacht, Ei gegen Ei. Beim Eierdotzen werden eifrig Sprüche geklopft, bis ein Ei unversehrt zurückbleibt und die Unterlegenen zur Strafe verspeist werden.

Die Wurzeln des Eierfärbens reichen weit zurück. Bereits im Altertum galten Eier als Symbol für Fruchtbarkeit, neues Leben und Wiedergeburt. Im frühen Christentum wurde das Ei als Zeichen der Auferstehung Jesu interpretiert. Da zur Fastenzeit der Verzehr von Eiern untersagt war, wurden sie zur längeren Haltbarkeit hartgekocht und zur Unterscheidung von den frischen Eiern gefärbt.

Die vielen unterschiedlichen Namen und leicht abgewandelten Traditionen sind bemerkenswert. In Bayern heißt der Brauch Oabecka, Oiastoußn oder – besonders schön – Oiaboxn; in Kärnten Aalan tuatschn; in der Deutschschweiz Eiertätschen; in Luxemburg Técken. Und in Ostfriesland sowie in Norddeutschland werden die Eier beim Eiertrullern beziehungsweise Eiersmieten gerollt oder geworfen. Was für eine glorreiche Vielfalt des Brauchtums.

Die schönen bunten Eier lenken uns kurzzeitig ab von Käfighaltung, Kükenschreddern, Nitrofen- und Dioxinskandalen sowie der Katastrophe der Vogelgrippe. Ebenso von den enorm gestiegenen Preisen. Sie zelebrieren eine Mannigfaltigkeit, die nurmehr kulturell existiert. Denn hinter diesem uralten Fruchtbarkeitssymbol verbirgt sich bei genauer Betrachtung das faule Ei grenzenlosen Profitstrebens.

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Patente und Urheberrechte

In der niedersächsischen Gemeinde residiert die EW Group (EWG), der weltweit führende Konzern zur Züchtung von Legehennen, insbesondere für weiße Eier. Über ihre Tochtergesellschaft Lohmann Breeders kontrolliert die EWG rund 70 Prozent des Weltmarkts für weiße Legehennen, darunter an erster Stelle das eifrige „Lohmann-Huhn“, das bis zu 320 Eier pro Jahr legt. Jedes dritte Ei weltweit stammt mittlerweile von einem „Lohmann“.

Die EWG, geführt von Firmengründer Erich Wesjohann mit seinen Söhnen Dirk und Jan, umfasst als Familienunternehmen mehr als 250 Tochtergesellschaften in den Bereichen Geflügelgenetik, Impfstoffe, Tiergesundheit und -ernährung in über 45 Ländern und hält zudem Anteile an weiteren Unternehmen der Branche. Das Vermögen des Wesjohann-Clans wird auf 5,6 Milliarden Euro geschätzt. Der Hauptkonkurrent, das niederländische Hendrix-Unternehmen, ebenfalls in privat-dynastischer Hand, hat sein explosives Wachstum von einem kleinen Unternehmen zu einem globalen Giganten seit den 1990er Jahren vor allem den Investitionen einiger Private-Equity-Fonds zu verdanken.

Zudem haben Hendrix und EWG ihre Methoden, genetischen Marker und andere Aspekte der Zucht durch Patente, Urheberrechte und Geschäftsgeheimnisse schützen lassen. Übrigens bestimmen diese beiden Unternehmen, EWG und Hendrix Genetics, auch die gesamte industrielle Putengenetik weltweit sowie zusammen mit der englischen Firma Genus fast den gesamten Schweinebestand. Es gehört zu den Merkmalen eines Oligopols, dass es kein Entkommen vor ihm gibt!

Diese Marktkonzentration bedeutet, dass fast alle Legehennen weltweit auf Genetik dieser Konzerne zurückgehen. Die Folgen solcher Oligopolstruktur sind tiefgreifend: Die Auswahl an Zuchtlinien ist für Eierproduzenten stark eingeschränkt und der fehlende Innovationsdruck und Wettbewerb hat Auswirkungen auf das Tierwohl sowie die nötige genetische Vielfalt.

Gewiss, die Preissteigerungen der letzten Jahre sind auch auf externe Faktoren wie Vogelgrippe, Inflation und gestiegene Produktionskosten zurückzuführen, doch Experten sehen die ­Marktmacht der Großkonzerne als mitverantwortlich dafür, dass die Eierpreise ohne Wettbewerb ­stärker steigen, als es das reine Angebot-Nachfrage-Verhältnis rechtfertigen würde. In der Vergangenheit kam es bereits zu Vorwürfen der Preisabsprache und zu kartellrechtlichen Untersuchungen.

„Sie kapern den Staat“

In China beherrscht übrigens ein einziges halbstaatliches Unternehmen den heimischen Markt. Strukturell nähert sich somit das staatskapitalistische Monopol dem privatwirtschaftlichen Oligopol an, bis die Unterschiede für das Wohl der Gesellschaft irrelevant sind. Solche Oligarchisierung hat mit den Theorien des Kapitalismus nichts mehr gemein. Die Folgen werden gegenwärtig beunruhigend deutlich, nicht nur in den USA.

In den krisengeschüttelten Demokratien stellt eine kleine Wirtschaftselite mithilfe von Politikern mit Geschäftsinteressen – neuerdings „Poligarchen“ genannt – den Staat immer stärker in den Dienst ihrer eigenen Interessen. Diese Cliquen ändern die wirtschaftlichen und politischen Regeln nach Belieben, sie sind bemüht, jegliche Kritik zum Schweigen zu bringen.

Angesichts dieser extremen ökonomischen Machtkonzentration erkaufen sich Oligarchen nicht nur – wie bislang zum Teil – die Politik, sie „kapern den Staat“ (so der englische Namen für diesen Prozess, state capture). In Bangladesch, Ungarn, Südafrika, Sri Lanka, der Türkei und vielen anderen Ländern hat er schon längst stattgefunden, in den USA erleben wir gerade unter den Maskeraden von Elon Trump die Mechanismen einer raffgierigen Durchherrschung des Staates, zum Nachteil jeglichen Gemeinwohls.

Während die ökologischen und sozialen Aufgaben der Institutionen zurückgefahren werden, steigen die Eierpreise weiter. In den USA im Monat März laut dem Consumer Price Index auf mehr als einen halben Dollar pro Ei, in Deutschland sind sie laut Statista seit 2020 um 41,5 % teurer geworden. Höchste Zeit, an die Weisheit des alten Sprichworts zu erinnern: „Lege nicht alle deine Eier in einen Korb.“

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ist Schriftsteller und Autor mehrerer Bücher. 2023 ist sein aktueller Roman „Tausend und ein Morgen“ bei S. Fischer erschienen und druckfrisch im Handel: „Das Buch der Macht. Wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt“ im Verlag Andere Bibliothek.  
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