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Geflüchtetenunterkunft in HamburgWar der Rausschmiss illegal?

Ein Security-Mann setzte Bewohner einer Geflüchtetenunterkunft in Hamburg über Nacht vor die Tür. Die Stadt sieht immer noch kein Fehlverhalten.

Berufung aufs Grundgesetz: Protest vor der Flüchtlingsunterkunft Foto: Janis Trausch

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Amira Klute aus Hamburg

Es war eine ungemütliche Nacht: Vom 12. auf den 13. Oktober verbrachten 15 Bewohner einer Erstaufnahmeeinrichtung in Hamburg-Harburg die Nacht auf dem Gehweg. Der Grund: Ein Securitymitarbeiter hatte ihnen ein Hausverbot erteilt.

Jetzt hat sich der Hamburger Senat zum Fall geäußert. Er widerspricht der Darstellung der Bewohner*innen, übernimmt die Argumente des Trägers, der städtischen Einrichtung Fördern & Wohnen (F&W), und erkennt immer noch „kein Fehlverhalten“ des Securitymitarbeiters, der mittlerweile versetzt wurde. Das hat eine Anfrage der Linksfraktion ergeben. Dabei ist eine Frage weiter offen: Durfte der Sicherheitsdienst die Be­woh­ne­r*in­nen über Nacht überhaupt auf die Straße setzen?

Am Tag vor den nächtlichen Hausverboten hatten rund 200 Be­woh­ne­r*in­nen vor der Notunterkunft in einem ehemaligen Großmarkt in der Schlachthofstraße gegen die Zustände im Camp demonstriert. Darunter waren auch Männer, die später am Abend rausgeschmissen wurden. Die Betroffenen, ihre Un­ter­stüt­ze­r*in­nen und andere Be­woh­ne­r*in­nen sagen, die Hausverbote seien wegen der Proteste verhängt worden. Das wäre rechtlich eindeutig problematisch, sagte der Jurist Joschka Selinger von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) der taz.

Dem widerspricht der städtische Träger der Unterkunft Fördern & Wohnen. Es habe „temporäre Wegweisungen“ für vier Stunden gegeben, sagte eine Sprecherin zur taz. Diese seien gegenüber acht Bewohnern ausgesprochen worden, die zuvor erheblich gestört hätten. Es sei darum gegangen, „die Nachtruhe der über 500 Bewohnenden, darunter viele Familien mit Kindern, zu schützen“.

Polizei rückt mit 17 Streifenwagen an

Ganz ähnlich stellt es der Senat dar, wenn auch aus dessen Antwort immer noch nicht hervorgeht, dass es fünfzehn Menschen waren, die Nacht draußen verbrachten, wie Betroffene berichten.

Der Senat ergänzt die Darstellung von F&W damit, dass neben den acht Männern eine weitere Person für acht Stunden „wegen erheblicher Störung des Betriebs“ der Unterkunft verwiesen worden sei. Dazu komme eine andere Person, die für acht Stunden „wegen erheblicher Störung des Betriebs“ sowie für weitere zwei Stunden „wegen Beleidigung und Bedrohung“ vor die Tür musste.

Der Securitymitarbeiter hatte am betreffenden Abend zur Unterstützung die Polizei gerufen, die mit 17 Streifenwagen kam, und zwar keine polizeilichen Maßnahmen ergriff, aber die „Wegweisungen“ mit durchsetzte.

Der Mitarbeiter, dem Be­woh­ne­r*in­nen schon lange vor dem Vorfall Willkür und Rassismus vorwarfen, habe nichts falsch gemacht, findet der Senat: „Es gibt kein Fehlverhalten“, teilte er mit. Dass der Sicherheitsmann versetzt wurde, habe „personalfürsorgerische Gründe“. Auch weist die Stadt die Kritik zurück, dass die Betroffenen durch sein Verhalten über Nacht obdachlos wurden: „Es wurde weder ein Hausverbot erlassen, noch gab es Obdachlosigkeit. Der zugewiesene Bettplatz hatte weiterhin Bestand.“

Auf die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage der Rausschmiss geschah, liefert der Senat keine eindeutige Antwort

Weiter offen bleibt die Frage, ob es erlaubt ist, Menschen, die verpflichtet sind in einer Unterkunft zu wohnen, über Nacht rauszuschmeißen. Die Juristin Lena Frerichs von der GFF weist darauf hin, dass es bisher nur sehr wenige Gerichtsurteile über vergleichbare Fälle gibt. Eins haben sie gemein: „Es wird deutlich, dass jeder Mensch den Anspruch auf Unterbringung in der Nacht hat“, sagt Frerichs.

Auf die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage der Rausschmiss geschah, liefert der Senat keine eindeutige Antwort. Er beruft sich vordergründig auf die Hausordnung der Unterkunft: Sogenannte „temporäre Wegweisungen“, die der Senat von „unbefristeten Hausverboten“ abgrenzt, würden „auf der Grundlage der Einhaltung der Hausordnung sowie der Wahrung des sozialen Friedens innerhalb der Einrichtung ausgesprochen“.

Das Problem mit der Hausordnung: Die Bewohnenden kannten sie bisher nicht. Sie müssen bei Ankunft nur sechs Regeln, darunter ein Rauchverbot für Innenräume, unterschreiben. Erst einen Tag nach dem Vorfall wurde ein Zettel in der Unterkunft ausgehängt mit einem QR-Code, der auf die digitale Hausordnung verweist.

Darin steht, dass im Falle von Konflikten „die Verlegung einzelner oder aller Konfliktparteien in eine andere Unterkunft“ veranlasst werden kann. Von „Wegweisungen“ über Nacht steht da nichts.

Die Linke übt scharfe Kritik an der Antwort des Senats und nennt sie befremdlich. „In der fraglichen Nacht wurde willkürlich gehandelt“, sagt Carola Ensslen, fluchtpolitische Sprecherin der Fraktion in der Bürgerschaft. Sie weist darauf hin, dass der Begriff Wegweisungen in der Regel polizeiliche Maßnahmen bei häuslicher Gewalt meint. Ensslen kritisiert die Polizei, die die Maßnahme mit durchgesetzt hat, sieht aber die Stadt in der Verantwortung: „Der Senat muss endlich die Menschenrechte der Be­woh­ne­r*in­nen achten.“

Die Be­woh­ne­r*in­nen der Unterkunft fordern weiter Aufklärung und wollen in den kommenden Wochen wieder demonstrieren, dafür, dass das Camp geschlossen wird.

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