Geflüchtete protestieren gegen Unterkunft: Dauerhaft im Lager
In der Aufnahmestelle in Bremen-Vegesack leben Flüchtlinge teils monatelang in Sechsbettzimmern. Am Samstag demonstrieren sie für drei Forderungen.
taz |
Für den siebzehnjährigen Lamin aus Gambia ist die Unterkunft schon seit einem dreiviertel Jahr so etwas wie ein Zuhause. „It’s a very crazy situation for nine months“, erzählt er. Man lebt mit bis zu sechs Personen in einem Raum, es gebe „no respect for privacy“. Kochen ist nicht nur nicht vorgesehen, sondern auch nicht erlaubt – die Menschen sind auf das angebotene Kantinenessen angewiesen.
Mit der Demo wollen er und seine MitstreiterInnen nicht nur Öffentlichkeit für ihre Lage erreichen, sie haben auch konkrete Forderungen. Eine davon: „Wir wollen in Unterkünfte mit Privatsphäre, wir können nicht mehr in den Camps leben“, so Lamin auf Englisch.
Doch genau das ist nicht vorgesehen: „Es ist eine Auflage des Bundes, dass Menschen mit schlechter Bleibeperspektive nicht in kommunale Einrichtungen umziehen“, so Bernd Schneider, Sprecher der Sozialsenatorin. „Man will ihnen keine falschen Hoffnungen machen.“
Rassistischer Angriff
Simone Behrends, Unterstützerin von „Together we are Bremen“, kennt das Gesetz. Doch so wie in der Lindenstraße müsste die Zast ihrer Meinung nach nicht aussehen. In der Unterkunft waren im Mai Vorwürfe laut geworden, das Wachpersonal habe die BewohnerInnen rassistisch angegriffen. Klar ist, dass es zu tätlichen Übergriffen gekommen ist – ein Mitarbeiter des Security-Dienstes wurde abgezogen und für andere Aufgaben eingesetzt.
„Das Lager ist nur für Aufenthalte von wenigen Wochen ausgelegt. Jugendliche und Erwachsene bleiben aber teils über Monate dort“, kritisiert sie. Gemeinsam mit dem Bündnis fordert sie, Bremen möge leer stehende Übergangswohnheime zu Zasts umwandeln.
Tatsächlich will die rot-grün-rote Regierung laut Koalitionsvertrag zumindest prüfen, ob sich eine andere Erstaufnahme finden lässt. Doch Schneider hält die Hoffnung auf einen raschen Umzug klein: Es gebe keine überflüssigen Wohnheime, da viele alte bereits keine Nutzungserlaubnis mehr hätten. Der Umbau zum Zast sei noch dazu teuer. „Das muss die Bürgerschaft erst mal in den Haushalt schreiben.“
Verschärft wird das Problem dadurch, dass Minderjährige eigentlich gar nicht in der Gemeinschaftsunterkunft leben dürften. Doch wenn keine Ausweispapiere vorliegen, kann das Jugendamt das Alter der Geflüchteten anzweifeln. „Ausgeschlossen ist natürlich nicht, dass auch mal ein Minderjähriger falsch als Erwachsener eingestuft wird“, so Schneider.
Die Verantwortung dafür weist die Sozialbehörde von sich: Zum Einen hätte das Bundesland gar kein Interesse daran, Geflüchtete für volljährig zu erklären. „Jeder Erwachsene bedeutet für uns viel mehr Aufwand, Kosten und Personal“, so Schneider. Schließlich kann Bremen nach dem Verteilschlüssel einen Großteil seiner minderjährigen Flüchtlinge an andere Länder weitervermitteln: Von den 206 jugendlichen Unbegleiteten, die bis Mitte dieses Jahres in Bremen angekommen sind, durften nur 50 im Stadtstaat bleiben.
Lamin, Bewohner der ZASt
Zudem habe die Behörde auch keinen Einfluss auf die Einschätzung: Wenn keine Papiere vorlägen, würden Gerichte eine medizinische Altersuntersuchung vorschreiben. In Wirklichkeit hat das Jugendamt die Möglichkeit, jungen Menschen auch ohne Ausweis in ihren Altersangaben zu vertrauen – standardmäßig wird ihr Alter laut Paragraph 42f des SGB VIII mittels einer „qualifizierten Inaugenscheinnahme“, im persönlichen Gespräch, eingeschätzt, im Zweifel soll dabei für die Minderjährigkeit entschieden werden. „Natürlich hat die Behörde da einen Spielraum. Es ist alles eine Frage des Wollens“, glaubt Behrends.
Das Bündnis fordert noch mehr. Er wolle zur Schule gehen, sagt Lamin. Auch hier steht die Alterseinschätzung im Weg. „Das müsste nicht sein“, meint Behrends. „Es wäre überhaupt kein Problem, ein paar Volljährige zu beschulen – wenn dadurch nur sichergestellt würde, dass kein Minderjähriger auf seine Schulbildung verzichten muss. Denn das ist eine wahre Tragik.“ Die Bildungsbehörde schaffte es am Freitag nicht mehr, zu den Forderungen Stellung zu nehmen.
Das Ziel: Die humanitäre Aufenthaltserlaubnis
Ein weiteres großes Anliegen haben die DemonstrantInnen noch: humanitäre Aufenthaltserlaubnisse. Auch bei abgelehntem Asylantrag können Geflüchtete sich damit eine Perspektive aufbauen. Bis zum 31. August hatten 3.076 BremerInnen diesen Schutz vor Abschiebung erhalten, der stärker als eine immer wieder befristete Duldung ist.
Laut Innenbehörde können gesundheitliche Gründe für den Status sorgen, aber auch ein Ausbildungsplatz oder eine Einstiegsqualifizierung. Behrends glaubt, dass Bremen den Spielraum auch hier besser ausschöpfen könnte. Lamin hofft sehr darauf: „Ohne Bleibeerlaubnis weißt du nicht, wohin du gehörst“, sagt er.
Die Demo beginnt am Samstag, 19. Oktober, ab 14:30 Uhr am Anti-Kolonialdenkmal (Elefant) und führt von dort aus über Bahnhof und Domshof bis zum Ziegenmarkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“