Geflüchtete in Serbien: Ungarn umgehen

Vor der ungarischen Grenze stecken Tausende fest. Die alternative Route nach Schengen führt über den EU-Staat Kroatien nach Slowenien.

Geflüchtetes Mädchen blickt durch ein Tuch in die Kamera

Ein geflüchtetes Mädchen liegt nahe der serbisch-ungarischen Grenze unter einem Tuch auf dem Boden. Foto: reuters

BELGRAD/BERLIN taz | „Ein kilometerlanger Stacheldrahtzaun, schwer bewaffnete Polizisten, Soldaten in Kampffahrzeugen, Militärhubschrauber“ – die Beschreibung eines serbischen Reporters zur Lage an der serbisch-ungarischen Grenze erinnert eher an Szenen zwischen dem Gazastreifen und Ägypten als an das Grenzgebiet zwischen einem Land, das Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union begonnen hat und einem EU-Mitgliedstaat.

Die Situation dort spitzte sich am Dienstag zu: Im serbischen Grenzort Horgoš forderten Tausende Flüchtlinge mit „Open, Open“-Rufen Einlass nach Ungarn. Am Nachmittag traten rund Hundert im Niemandsland zwischen beiden Staaten in den Hungerstreik.

„Flüchtlinge, die zwischen beiden Staatsgrenzen stecken bleiben, dürfen wieder zurück nach Serbien“, erklärte derweil in Belgrad Serbiens Arbeits- und Sozialminister Aleksandar Vulin. Diejenigen Migranten aber, die die ungarische Grenze passiert haben, werde Serbien nicht wieder aufnehmen.

Flüchtlinge, die nun in Serbien feststecken, erwägen derweil alternative Wege nach Europa. Den einen – entlang der serbisch-ungarischen Grenze ostwärts nach Rumänien – will die Regierung in Budapest schon bald mit einer Verlängerung des Grenzzauns dichtmachen. Der andere führt westwärts über den neusten EU-Mitgliedstaat Kroatien ins benachbarte Schengenland Slowenien.

Tatsächlich führt die naheliegendste Route in den Norden der EU entlang der kroatisch- und slowenisch-ungarischen Grenze nach Österreich. Die slowenischen Behörden bereiten sich bereits vorsorglich auf die Ankunft einer größeren Anzahl Flüchtlinge vor. Die Auffanglager in Grad und Lendava gelten als die wahrscheinlichsten ersten Anlaufpunkte für die erwarteten Migranten.

Slowenien mit seinen gut 2 Millionen Einwohnern hält 600 reguläre Asylplätze vor. Daneben geht die für die Organisation der Flüchtlingsversorgung gebildete „operative Gruppe“ des Innenministeriums davon aus, dass zusätzlich 2.000 Menschen dezentral und in vier weiteren Auffanglagern untergebracht werden können. Hinzu kommen 3.000 Übernachtungsplätze, die kurzfristig in Zelten zur Verfügung gestellt würden. Armee und Zivilschutz sind an den Vorbereitungen beteiligt.

Eine Verschärfung der Kontrollen oder gar die Schließung der Grenzen zu Ungarn und Kroatien werden derzeit in Slowenien nicht diskutiert. Laut Umfragen tendiert die große Mehrheit der Bürger dazu, die Flüchtlinge aufzunehmen und gegebenenfalls bei der Weiterreise zu unterstützen.

Noch keine sichtbare Bewegung

Beobachter an der serbisch-ungarischen Grenze berichten zwar, bisher gäbe es weder sichtbare Bewegungen von Flüchtlingen in Richtung Rumänien noch in Richtung Kroatien. Die Behörden in der kroatischen Hauptstadt Zagreb befürchten jedoch, dass sich das in Kürze ändern könnte. Dazu passt ein Twitter-Posting vom späten Dienstagnachmittag: „#Serbian police already taking #refugees to the #croatian border by buses. They can go through slovenia or enter near Pécs.“

Derweil berichtet das kroatische Webportal dnevnik.hr, unter Flüchtlingen herrsche Angst, auf der neuen Balkanroute auf Minenfelder aus dem serbisch-kroatischen Krieg zu stoßen. Zugleich verkündete die ungarische Regierung, sie werde wenn notwendig auch entlang der Grenze zu Kroatien einen Stacheldrahtzaun erreichten.

Foto: infotext

Experten in Serbien sind sich sicher, dass die Flüchtlinge weder durch Stacheldraht und verschärfte Grenzkontrollen noch durch Minenfelder aufgehalten, sondern bestenfalls verlangsamt werden können. Falls es Budapest tatsächlich schafft, seine Grenzen dichtzumachen, würden die Flüchtlinge Ungarn in Zukunft wohl ganz umgehen.

Eine dritte mögliche Route könnte dabei aus Mazedonien an die Küsten Albaniens, Montenegros und Kroatiens führen – und von dort aus per Fähre, Schiff oder Schlepperboot weiter nach Italien. Kroatien ist auf einen solchen Ansturm nicht vorbereitet – und Albanien, Bosnien und Montenegro sind es erst recht nicht.

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