piwik no script img

Geflüchtete in BosnienWeihnachten der Unmenschlichkeit

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Sarajevo ist endlich bereit, die von widrigsten Verhältnissen geplagten Menschen von Lipa aufzunehmen. Eine grundsätzliche Lösung ist das nicht.

Ein unbekannter Migrant im Lager Lipa als der erste Schneefall einsetzt Foto: Dado Ruvic/reuters

N a immerhin. Am Dienstagvormittag wurden einige Busse geschickt, um die Migranten aus dem Lager Lipa an der bosnisch-kroatischen Grenze zu retten. Nur 600 Kilometer von den Weihnachten feiernden Münchnern entfernt steckten 1.300 Menschen aus dem Lager im Schnee. Als am Montag ein Schneesturm mit Orkanstärke einsetzte, erschütterte auch noch ein Erdbeben die Region. Auch aus der sicheren Distanz fragte man sich, was Menschen alles auszuhalten in der Lage sind.

Welch ein unmenschliches und erbärmliches Schauspiel spielt sich da mitten in Europa ab. Dabei war das alles vorhersehbar. Und es gibt viele Schuldige – man kann sie genau benennen. Das EU-Mitglied Kroatien treibt die Migranten mit Gewalt unter Ignorierung des europäischen Rechts hinter die Grenze zur EU zurück. Vonseiten Brüssels gibt es daran nur laue Kritik, man ist ja froh, dass Kroatien die Drecksarbeit übernommen hat. Kein Land will die Migranten noch aufnehmen.

Schuld ist auch das Kompetenzwirrwarr auf bosnischer Seite. Der serbische Teilstaat innerhalb Bosnien-Herzegowinas verweigert sich, schiebt Migranten Richtung des mehrheitlich muslimischen Bihać ab. Auch die kroatischen Kantone im Südwesten des kleinen Vielvölkerstaates handeln so. Im Ministerrat blockierten Serben und Kroaten monatelang Maßnahmen, feste Unterkünfte in Lipa zu bauen. Das Geld dazu war da. Ausgerechnet am 21. Dezember, drei Tage vor Weihnachten, beschloss man nach langem Zögern, das Zeltlager Lipa endlich winterfest zu machen. Die Migranten wurden wegen der Bauarbeiten (!) in den Schneesturm geschickt. Sie zündeten aus Protest die Zelte an.

Erbärmlich ist auch das Verhalten der International Organisation for Migration, die den Aufbau von winterfesten Lagern den Bosniern überließ. Die UN-Organisation IOM verhielt sich hier wie ein bürokratischer Apparat, der die Verantwortung lieber auf andere schiebt, statt selbst die Initiative zu ergreifen.

Schuld an der aktuellen Situation trägt auch die Stadt Bihać. Jahrelang war man mit Migranten und Hilfsorganisationen solidarisch, selbst als alle anderen Gemeinden sich schon verweigerten. Schließlich fühlte man sich alleingelassen. Aber muss man deshalb alle Menschlichkeit verleugnen?

Immerhin, und angesichts der passiven Duldungsstarre oder besser: der schlichten Verweigerungshaltung Brüssels, ein ziemlicher Hohn: Sarajevo ist jetzt endlich bereit, die von widrigsten und widerlichsten Verhältnissen geplagten Menschen von Lipa aufzunehmen. Eine grundsätzliche Lösung ist das nicht.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • @GYAKUSOU, @SANDRA BECKER

    "Aber, aber... dann wollen doch alle kommen!" "Aber, aber... die Besorgten Bürger".

    Ach, kommen Sie. Wir haben das alles schon bis zum Erbrechen gehört. Alles billige, faule Ausreden, nur um unseren grundlegendsten menschlichen Pflichten nicht nachkommen zu müssen.

    Manchmal schäme ich mich.

  • Man liest den Artikel, ist entsetzt. Die passenden Bilder dazu werden im Fernsehen gezeigt. Weiß keine Lösung. Nächster Artikel, wieder Entsetzen. Es wird sich gar nichts ändern, 2021 wird härter.... sehr böse Zeiten. Feiern und Feuerwerk und noch mehr Arbeit für das Krankenhauspersonal. Na, dann Prost

  • Sowohl die Einwohner von Bihać als auch die geflüchteten Pakistaner und und Afghanen sind Muslime.

    Die Überschrift ist deshalb deplaziert. Sie macht nicht-christliche Menschen unsichtbar.

    Das hätte die Online-Redaktion gerade nach dem Artikel von Melina Borcak sensibler sein können.

  • Die Menschen müssen doch bereits in der EU gewesen sein (Griechenland/ Bulgarien), bevor sie nach Bosnien gereist sind?



    Wenn sie dort kein Asyl beantragt haben, warum sollte Kroatien sie wieder einreisen lassen?

  • Aber was ist die "grundsätzliche Lösung"?

    Was ist die Lösung für das Problem, dass in Europa die Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge immer weiter sinkt und bald niemand mehr bereit ist, Flüchtlinge in größerer Zahl aufzunehmen. Nicht die Politiker und nicht die Mehrheit der Bevölkerung.

  • Was wäre denn eine grundsätzliche Lösung? Alle in D aufnehmen?



    Die Männer die in Bosnien ausharren sind überwiegend Afghanen, Pakistani und Nordafrikaner mit sehr geringen Asylchancen. Die meist schon mehrfach versucht haben, die Grenze nach Kroatien illegal zu überqueren. Also kann die Lösung nur sein, dass sie Asyl in Bosnien beantragen, und bei Ablehnung wieder in ihre Heimatländer zurück fliegen. Die Lösung ist nicht die Aufnahme in einem Land der EU.