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Geflüchtete an EU-Grenze in GriechenlandAbschotten um jeden Preis

Griechische Polizei drängt tausende Geflüchtete zurück – mit Tränengas und Wasserwerfern. Auch Asylanträge werden nicht mehr angenommen.

An der Außengrenze der EU: Meterhohe Stacheldrahtrollen und Zäune blockieren den Übergang Foto: Emirkan Corut/Depot Photos/imago

berlin taz | Die griechische Polizei hat am Wochenende mit Wasserwerfern und Tränengas Menschen am Grenzübertritt aus der Türkei gehindert. Am Samstag seien etwa 10.000, am Sonntag weitere 5.500 Menschen gestoppt worden. Vor allem am Grenzübergang Pazarkule drängte die Polizei die Menschen, unter ihnen viele Kinder, gewaltsam zurück. 140 Menschen seien festgenommen worden.

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex sagt laut der Welt in einem vertraulichen Papier voraus, dass es zu „Massenmigrationsströmen“ aus der Türkei kommen werde. Es werde schwierig sein, den in den kommenden Tagen zu erwartenden „massiven Zustrom von Menschen“ zu stoppen. Allerdings meldeten verschiedene Medien, dass im Laufe des Sonntags Tausende Menschen aus der Grenzregion wieder nach Istanbul zurückgekehrt seien.

Sowohl Ungarn als auch Griechenland gaben am Sonntag bekannt, vorerst keine Asylanträge mehr anzunehmen. Die ungarische Regierung kündigte an, Flüchtlingen auf unbestimmte Zeit keinen Zugang zu den sogenannten Transitzonen zu gewähren.

„Wir sehen eine gewisse Verbindung zwischen dem Coronavirus und illegalen Einwanderern“, sagte Gyorgy Bakondi, ein Berater von Premierminister Viktor Orbán. Die meisten Menschen auf dem Weg nach Europa seien Afghanen, Palästinenser oder Iraner, viele könnten den Iran, einen Hotspot des Coronavirus, durchquert haben.

Maximal abschrecken

Griechenlands Regierungssprecher Stelios Petsas kündigte an, das Land werde einen Monat lang keine neuen Asylanträge mehr annehmen. Auf Twitter verkündete die Regierung, der nationale Sicherheitsrat habe beschlossen, „das Abschreckungsniveau an unseren Grenzen auf ein Maximum zu erhöhen“. Zudem werde die Armee „Schießübungen“ an der Grenze durchführen.

Die EU trägt den griechischen Kurs mit. Ratspräsident Charles Michel schrieb auf Twitter, es gebe „Unterstützung der griechischen Bemühungen für den Schutz der europäischen Grenzen“. Der aus Griechenland stammende Migrationskommissar Margaritis Schinas schrieb, er habe mit Österreichs Kanzler Sebastian Kurz „Solidarität der EU mit Griechenland und die Verpflichtung zum Schutz unserer Außengrenze“ diskutiert. Österreich sei „bereit, zu unseren gemeinsamen Bemühungen beizutragen“.

Kurz hatte am Samstag gesagt, eine Situation wie 2015 dürfe sich „keinesfalls wiederholen. Unser Ziel muss es sein, die EU-Außengrenzen ordentlich zu schützen, illegale Migranten dort zu stoppen und nicht weiterzuwinken.“

Im Internet kursierten Aufnahmen von salutierenden griechischen Militäreinheiten, die den Angaben zufolge an den Grenzfluss Evros entsandt wurden. Sie singen „Wir sind bereit, die griechische Grenze zu schützen, um dem Elend, das die Türkei uns gebracht hat, entgegenzutreten.“

Hilfe mit Traktorblockaden

Der Bauernverband der nordöstlichen griechischen Region Thrakien kündigte an, das Militär mit Traktorblockaden zu unterstützen, um die Grenze abzuriegeln. Die extreme Rechte sei sehr erfolgreich damit gewesen, das Narrativ „von ‚2015‘ als der Katastrophe, vom Rechtsbruch, vom ‚Das darf sich nie wiederholen‘ zu prägen“, schrieb dazu die Wissenschaftlerin Dana Schmalz.

Auf Twitter trendete am Sonntag der Hashtag #standwithgreece, unter dem vor allem Kommentare gepostet wurden, die vor einer „Invasion“ warnten. Auch in der Ägäis hatte sich die Situation am Wochende zugespitzt. Etwa 500 Menschen kamen dort in Booten von der türkischen Küste an.

Auf der Insel Lesbos hinderten Einwohner mit einem Schlauchboot eingetroffene Migranten daran, an Land zu gehen. Dabei griffen sie mindestens drei deutsche Journalisten an und verletzten sie zum Teil schwer. Unter den Ankömmlingen waren Familien mit Kleinkindern und Babys.

An anderen Stellen hielten Einwohner Busse auf, die Migranten in das völlig überbelegte Lager Moria bringen sollten. Dort leben mehr als 19.300 Menschen, ausgelegt ist es für 2.840 Personen. Beobachter berichteten von „Pogromstimmung“.

Rechte Bürgerwehren

In der Nacht zündeten Unbekannte ein leer stehendes Gebäude an, in dem zuvor ein Lager des UN-Flüchtlingswerks UNHCR untergebracht war. „Auf Lesbos kommen neue Boote an. Hilfsorganisationen können nicht helfen, weil es Straßensperren von rechten Bürgerwehren gibt“, schrieb der grüne EU-Abgeordnete Erik Marquart auf Twitter.

Stratis Kitelis, der Bürgermeister von Mitilini, der Inselhauptstadt von Lesbos, kündigte an, die Grenze der Stadt zu schließen, damit keine weiteren Asylsuchenden in das Lager Moria gebracht werden können. Er forderte von der Regierung die Bereitstellung von insgesamt vier Schiffen: zwei für die Unterkunft und zwei für die Registrierung von Asylbewerbern.

Derweil erneuerten deutsche Kommunen ihr Angebot, vor allem unbegleitete Minderjährige aus den Lagern aufzunehmen. Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) schrieb auf Twitter: „Die Lage auf Lesbos eskaliert auch, weil Europa zuschaut. Die Kinder brauchen sofort Hilfe. 500 unbegleitete Kinder unter 14 Jahren sind in den griechischen Hotspots registriert. Und 500 Plätze haben deutsche Städte angeboten. Wir könnten helfen.“

Die Diskussion über das griechische Vorgehen kreist auch um die Frage, ob die Türkei ein „sicherer Drittstaat“ ist. Dazu gab es etwa in Deutschland bislang ein Urteil. Im Juli hatte das Bayerische Verwaltungsgericht München dem Antrag eines Syrers stattgegeben, der gegen seine Zurückweisung von der deutsch-österreichischen Grenze nach Griechenland geklagt hatte.

Der Richter stellte fest, für die Anwendung des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ müssten bestimmte Vorgaben erfüllt werden, „bezüglich derer mindestens erheblich zweifelhaft ist, ob Griechenland sie einhält“. Hintergrund ist, dass die Türkei ihrerseits in Staaten wie Syrien und Afghanistan abschiebt.

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10 Kommentare

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  • Es hat den Anschein, als seien die Zustände an den griechischen Grenzen bewusst und in Absprache mit Brüssel und Washington esakliert worden, um den Weg für militärische Schläge der NATO gegen Syrien freizumachen.

    Dazu passt ja auch die alte und neue Stimmungsmache gegen Russland als angeblichen Hauptverantwortlichen des ganzen Desasters in der Region, der leider auch viele sich links wähnende Menschen bei uns auf den Leim gehen, als ob es so einfach wäre.

    Schuldige zu benennen und getarnt als "Humanitäre Mission" draufzukloppen, ist eine lediglich problemorientierte Herangehensweise, jedoch absolut nicht lösungsorientiert. Genau so wenig ist es eine Lösung, Länder wie die Türkei mit Milliarden zu bezahlen, damit diese die riesigen Flüchtlingsmassen beherbergen und im eigenen Land aus Angst vor den Demagogen der AfD und wegen der Unfähigkeit und dem Unwillen, eine Integration zu betreiben, die den Namen verdient, schon vor ein paar tausend neuen Migranten zu zittern und lieber Tränengas-Bilder für die Weltpresse produziert als z.B. das Geld für den Rüstungsetat in vernünftige Ausbildung unserer neuen Mitbürger zu investieren.

    Wenn der nächste Arbeitgebervertreter oder IHK-Funktionär wieder vom Fachkräftemangel ("händeringend") faselt, wissen wir alle, dass er in doppelter Hinsicht ein Heuchler ist.

  • Ich fühle mit den Migranten, aber ich fühle auch mit den Türken und Griechen, die von Deutschland und von der EU schon viel zu lange alleine gelassen wurden. Europa wird seiner Verantwortung nicht gerecht.

    Die Türkei kann ganz sicher nicht als "sicherer Drittstaat" betitelt werden. Zu krass waren die politischen Säuberungsaktionen nach dem Putsch und die Vereinnahmung der Justiz durch die Politik. Gerade manche Türken brauchen dringend politisches Asyl in Griechenland bzw. Europa im Allgemeinen.

    Insofern ist die Ankündigung, keine Asylanträge mehr annehmen zu wollen, von erheblicher Tragweite.

    Für die Syrer gilt: Mit ihrer Ankunft in der Türkei sind sie dem Bürgerkrieg in Syrien erfolgreich entronnen. Wo sie jetzt am besten versorgt werden können, muss eigentlich die internationale Gemeinschaft als Ganzes entscheiden. Es ist sicher ungerecht der Türkei gegenüber, dass sie diese Last heute fast alleine trägt.

    Und wie schön wäre es doch, jedem Migranten an der Grenze auf anhieb und ohne langwieriges Verfahren von der Nase ablesen zu können, ob er einen echten Asylgrund hat. Politisch und religiös Verfolgte gibt es in den Diktaturen in Syrien, Iran und Afghanistan (um nur einige zu nennen) ja genügend.

    Das Dilemma sind aber die anderen Migranten, die einfach nur der Armut entfliehen wollen. Das ist zwar menschlich verständlich, hat aber mit dem Recht auf Asyl rein gar nichts zu tun. Dieses unterscheidet nicht zwischen arm und reich.

    Armutsbekämpfung per Migration ist aber keine gute Idee. Dafür gibt es einfach zu viele Arme auf dieser Erde. Wohin sollen die alle migrieren? Und geht es ihnen dann wirklich besser, wenn sie in den Zielländern ohne Job dastehen? Von diesen Deillusionierten gibt es schon mehr als genug. Und im Grunde kommen ja auch nicht die wirklich Armen, sondern diejenigen, die es sich leisten können, die Reise und ggf. Schleuser und Schlepper zu bezahlen.

  • Warum werden im Beitrag nur die Staaten erwähnt, die mit dem Flüchtlingsstrom konfrontiert und anscheinend überfordert sind, Russland, ein Hauptverantwortlicher für den Flüchtlingsstrom, jedoch mit keinem Wort? Wäre nicht erstmal bei den Ursachen anzusetzen, z. B. bei den Bombardierungen ziviler Einrichtungen durch die russische und syrische Armee?



    Warum wird RU nicht aufgefordert, sich an der Versorgung der Flüchtlinge zu beteiligen? Oder gilt das Verursacherprinzip nicht, wenn RU den neuerlichen Flüchtlingsstrom mitverursacht hat?



    In letzter Zeit wurde häufig gefordert, die Sanktionen gegen RU aufzuheben, um den Handel anzukurbeln. Klar, solche Forderungen können nur von Kapitalisten kommen, die ihren Profit steigern wollen und denen die Menschenrechte der Flüchtlinge egal sind!

    • @Pfanni:

      Das ist aus meiner Sicht *die* zentrale Frage.



      Warum beteiligt sich Russland nicht bei der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge?

    • @Pfanni:

      Die Mehrzahl der Flüchtlinge an der griechischen Grenze sind Afghanen und Iraker. Somit haben Sie den Hauptschuldigen des Chaos im mittleren Osten, die USA, verschwiegen.

      • @Thomas Müller:

        Eine steile These. Selbst innerhalb der türkischen Regierung gibt es unterschiedliche Aussagen schon zur Zahl der Flüchtlinge an der griechischen Grenze. Nochmal andere Zahlen meldet die UN. Zudem ist die Zahl im Fluss.



        Sie aber wissen die absolute Zahl bereits, da Sie in Relation dazu die Mehrheiten kennen. Nicht genug damit, Sie wissen bereits die Herkunftsländer der Menschen an der Grenze.



        Haben Sie für Ihre Annahme - ausser der Behauptung des Beraters von Premierministers Viktor Orban - irgendwelche Belege?

  • Es darf kein 2015 geben, darin sind sich wohl alle einig. Das war Chaos.

    Man kann aber ein geordnetes Verfahren installieren von der Registrierung der Einreisewilligen bis hin zur Versorgung mit Wohnraum, ärztlicher Versorgung, Schulbildung für die Kinder, Regelung des Familiennachzuges und einer dauerhaften Bleibeperspektive in Deutschland.

    Es dürfte doch wohl kein Problem sein, in diesem reichen Land Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchende aufzunehmen, auch in Millionenhöhe. Platz genug ist da, wenn ich mir Bundesländer wie Brandenburg oder Niedersachsen ansehe.

    Und was die Finanzen angeht: ja, das wird teuer. Noch teurer aber wird es, eine immer älter werdende Gesellschaft mit immer weniger jungen Menschen auf Dauer zu versorgen

    • @Hans-Georg Breuer:

      Immer diese dumme Floskel "Es darf kein 2015 geben, darin sind sich wohl alle einig. Das war Chaos."

      Durch widerholen wird sie nicht richtiger! Das Chaos haben nur Rechte herbeigeredet. Existiert hat es nie!

      PS: Attentäter hätten jederzeit, auch heute über zig hundert Kilometer grüner Grenze kommen können. Das hat nix mit Flüchtlicngen zu tun!

    • @Hans-Georg Breuer:

      „auch in Millionenhöhe aufnehmen“. Meinen Sie das wirklich ernst?

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Hans-Georg Breuer:

      Politisch überlebt das Deutschland aber nicht, den Menschen vor Ort helfen? unbedingt, die Menschen herholen? Nein.