piwik no script img

Geflüchtete als DrogendealerIn der Illegalitätsfalle

Katharina Schipkowski
Kommentar von Katharina Schipkowski

Das Arbeitsverbot treibt viele Flüchtlinge in Grauzonen – sie wollen nicht auf Zuwendungen warten, selber Geld verdienen.

Jagdszenen aus St. Pauli: Polizei nimmt einen Geflüchteten fest Foto: JOTO

W ie soll man sie nennen – Dealer, Refugees, Händler, Westafrikaner, Schwarze, Nachbarn, Jungs? Schon an der Schwierigkeit, eine Bezeichnung für die jungen Männer zu finden, die aus westafrikanischen Staaten nach Deutschland geflüchtet sind und hier mit illegalisierten Substanzen handeln, lässt ahnen, wie schwierig die Lage ist.

Tags und nachts stehen in den Szene- und Bahnhofsvierteln deutscher Großstädte wie Hamburg und Berlin schwarze Menschen auf der Straße und bieten Passant*innen Marihuana und andere Drogen an. Regelmäßig beschweren sich Anwohner*innen über den sichtbaren Handel vor ihrer Haustür, täglich patrouilliert die Polizei durch die Wohnviertel, jagt die Dealer um die Häuser, kontrolliert schwarze Menschen, die vorbeigehen oder sich im öffentlichen Raum aufhalten.

Das stresst auch die Anwohner*innen – schwarze, weil sie sich nicht frei bewegen können, ohne ständig auf ihr „Anderssein“ verwiesen zu werden, und weiße, weil sie unter der massiven Polizeipräsenz leiden und sich über rassistische Kontrollen aufregen. Und es sät Streit in der Nachbarschaft: Müssen die Dealer weg, damit die Polizei verschwindet? Wo sollen sie hin? Warum kümmert der Staat sich nicht um sie? Wie kann man ihnen helfen? Wie verhält man sich in einem Konflikt, der so viele gesellschaftlich hart umkämpfte Themen berührt?

Denn es geht nicht vorrangig um Drogen. Zwar verkaufen die Geflüchteten diese, aber nur, weil sie auf dem offiziellen Arbeitsmarkt keine Chance haben. Viele von ihnen haben italienische Papiere, die ihnen zwar Bewegungsfreiheit in Europa verschaffen, aber nicht die Erlaubnis zu arbeiten. Andere haben Asylverfahren in Deutschland am Laufen und sind in Flüchtlingsunterkünften in Heidelberg, Magdeburg, Bielefeld oder sonstwo gemeldet, wo sie es nicht aushalten, nutzlos und mittellos herumzuhängen und die Zeit totzuschlagen.

Ende der Toleranz

Mit Drogen würden sie am liebsten nichts zu tun haben, viel lieber würden sie eine Ausbildung machen oder studieren und ernsthaft Geld verdienen. Im Gegensatz zu manchen Linken, die versuchen, sie zu unterstützen, lehnen die unfreiwilligen Dealer weder den deutschen Staat noch Lohnarbeit im Turbokapitalismus ab, sondern wünschen sich nichts sehnlicher, als aktiv und legal daran teilzuhaben. Drogen verschmähen viele von ihnen schon aus religiösen Gründen.

Aber wo Schwarze dealen, ist es mit der gesellschaftlichen Toleranz vorbei. Gras geht ja noch, aber spätestens bei Kokain ist Schluss mit dem Verständnis für die Notlage der Drogenarbeiter, die unter den prekärsten Bedingungen arbeiten: jeder Witterung ausgesetzt, ohne Zugang zu Toiletten, Wasser oder Strom, ohne jegliche soziale Absicherung, ständig auf der Hut vor der Polizei und gesellschaftlich geächtet – und das Ganze für einen Hungerlohn. Viele von ihnen sind zudem obdachlos.

Sinnlose Energien

Dass Weiße auch mit harten Drogen dealen, scheint hingegen nicht so zu stören – sie sind ja nicht sichtbar, denn sie arbeiten zu besseren Bedingungen. Weiße Dealer sind gut vernetzt und verkaufen zu Hause, in Autos, Klubs oder hinter Kneipentresen. Die Polizei gibt sogar zu, dass sie bei ihren Dauereinsätzen lediglich gegen den „öffentlich sichtbaren Drogenhandel“ vorgeht. Wenn aber der Handel im Verborgenen nicht so stört, geht es wohl doch nicht primär um Drogen, sondern um Rassismus. Gruppen von schwarzen jungen Männern stören das Straßenbild.

Andererseits hat die Polizei auch eine schwierige Position. Solange der Handel mit Drogen außer Alkohol und Tabak als Straftat gilt, muss sie ihn verfolgen. Dass sie der international organisierten Drogenkriminalität nichts anhaben kann, indem sie die Letzten in der Handelskette triezt, ist dabei wohl allen Akteur*innen klar. Dementsprechend könnte die Polizei davon absehen, sinnlos Energien in die oft gewalttätige Verfolgung schwarzer Menschen zu stecken, die sich ihren Scheißjob ja nicht ausgesucht haben.

Was allerdings im Rechtsstaat nicht sein dürfte, ist, dass die Gesetze für Schwarze anders ausgelegt werden als für Weiße. Dauernd landen Westafrikaner für den Besitz minimaler Mengen Marihuana in Untersuchungshaft. Wenn Mengen von einem halben oder einem Gramm bei Weißen gefunden werden, gilt das zu Recht als Eigenbedarf. Bei Schwarzen gehen Polizei und Justiz davon aus, dass sie gewerbsmäßig Handel treiben.

Soziale Orte

Das mag im Einzelfall zwar stimmen, aber wenn eine Menge nun mal als Eigenbedarf gilt und ihr Besitz folglich nicht strafbar ist, hat das auch für Schwarze zu gelten, alles andere kommt Rassengesetzen gleich.

Für viele Schwarze in Hamburg sind die Orte im Park, in Bahnhofsnähe oder auf St. Pauli auch zu sozialen Orten geworden. Dort treffen sie Menschen, die ihre Geschichten teilen, mit denen sie auf ihrer Muttersprache reden und Solidarität erfahren können, die ihnen anderswo verwehrt wird. Viele Versuche ehrenamtlicher Helfer*innen, sie zu unterstützen, scheitern – man kann ihnen eine Handyladestation, eine Steckdose und ein Fahrrad zur Verfügung stellen und sie zur Anwältin begleiten.

Aber was die Menschen am meisten brauchen, ist ein gesicherter Aufenthaltsstatus und die Erlaubnis, zu arbeiten. Und dafür braucht es eine andere Politik.

Den ganzen Wochenendschwerpunkt zum Thema „Illegale Flüchtlingsarbeit“ lesen in der Druckausgabe oder hier.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Katharina Schipkowski
Redakteurin | taz Nord
Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Mein Kommentar wurde leider nicht gesendet, hier ein neuer Versuch. Ich persönlich finde es schwierig hier einen Rassismus-Vorwurf draus zu machen. Sicher gibt es bei der Polizei Rassismus und das ist definitiv ein Problem, nur sollte man finde ich mit diesem Vorwurf nicht inflationär umgehen, sonst verliert er seine Wirkung. Ich bin mir ziemlich sicher, wenn hier weiße Deutsche auf der Straße derart offensichtlich dealen würden, würde die Polizei auch einschreiten, da bin ich mit ziemlich sicher. Und bitte einen Beleg dafür anhängen wo die Justiz gezielt ihr handeln von der Hautfarbe des zu verurteilenden abhängig macht, das wäre nämlich wirklich ein Skandal.

  • Je mehr Flüchtlinge arbeiten dürfen bzw. arbeiten in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen umso höher und sicherer ist die Rente für alle Bürger in Deutschland. So funktioniert ja das Rentensystem hierzulande.

    Indem den Flüchtlingen bei der Aufnahme einer normalen Arbeit geholfen wird, hilft man der gesamten Gesellschaft!

    Der Zusammenhalt zählt!

    Nein, noch besser:

    „Der Zusammenhalt zählt und zahlt sich aus!“

  • Dieses Problem, dass man keine Arbeitserlaubnis oder keine gute Arbeit bekommt betrifft viele Menschen: Bürger, Flüchtlinge, EU-Migranten. Und es gibt Menschen, die das ausnutzen, z.B. Drogenmafia.

    In den 90er Jahren beispielsweise sind viele Menschen auf sogenannte organisierte „Druckerkolonnen“ (eine Art vom Organisierten Verbrechen) reingefallen. Angelockte Arbeitnehmer wurden Menschen (Arbeitnehmer) in Gebäuden außerhalb der Stadt festgehalten und wie Sklaven behandelt. Sie wurden in Bußen gefahren und mussten z.B. Verträge, Abonnements etc. beim „An-der-Haustür-Geschäft“ „den Bürgern andrehen“.

    Wie lief die Anwerbung?

    Es stand zum Beispiel in der Zeitung: 3000 DM Verdienst pro Monat. Weiter ging alles zumindest seltsam. Das Gespräch/Vorstellungsgespräch lief nicht in einem Firmenbüro, sondern in einem Cafe, das in der Nähe von dem Hauptbahnhof an einer Hauptstraße stand. Wo man schon im Gespräch war, kam eine weitere Person dazu, die eher als ein Türsteher aussah und nicht besonders intelligent kommunizierte. Ein nächstes Treffen sollte außerhalb der Stadt stattfinden …

    Ähnlich werden evtl. auch Flüchtlinge zum Verkauf von Drogen angeworben.

    Es gibt immer Verbrecher, die Ungerechtigkeiten in einer Gesellschaft ausnutzen!

  • "llegalisiert" ??? - Drogen sind VERBOTEN und daher illegal - da ist nicht ...lisiert worden.



    "Drogenarbeiter" - Den Begriff Arbeiter in Verbindung mit jemand zu benutzen, der aufdringlichst verbotene Substanzen an Passanten zu verhökern trachtet, ist eine Frechheit denen gegenüber, die sich als ehrliche Arbeiter ihr hartes Brot verdienen müssen.



    Zum Thema "... die armen Menschen können ja nicht anders, der böse Staat drängt sie in die Illegalität" - siehe Kommentar von RUJEX.



    Angenehme weitere Träume im rosaroten Wolkenkuckucksheim wünsche ich!

  • War das, als Teil der Ausbildung, eine Art schönschreib Aufgabe, ohne jeglichen journalistischen Anspruch?

    Auch mit Duldung usw. kann ohne weiteres einer legalen Arbeit nachgegangen werden. Die Vorrangprüfung durch das Arbeitsamt ist außer Kraft.gesetzt worden. Die Genehimigung der Arbeit durch die Ausländerbehörde ist somit eine reine Formsache. Hat die Ausländerbehörde der Stadt Hamburg ein Interesse, Menschen von der Arbeit abzuhalten, indem sie darauf besteht, diese zu alimentieren?

    Der Regelsatz nach dem AsylbLg ist genauso hoch, wie der Hartz 4 Regelsatz. Und nicht wenige "Bio-Deutsche" die von Hartz 4 leben, haben auch keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt. Ist es nun für diese Menschen auch legitim, sich durch Straftaten mehr Geld zu verschaffen, oder dürfen dass nur die (schwarzafrikanischen) Flüchtlinge?

    Und wenn diese bereits aus religösen Gründen keine Drogen konsumieren, wieso ist es dann vertretbar diese zu verkaufen?

    Wieso bekommen ehrenamtliche Helfer keinen Zugang zu den Dealern?

    Nach der Rechtslage ist U-Haft nur möglich, bei Flucht-, Verdunklungsgefahr usw. und in der U-Haft wird einem ein Pflichtverteidiger gestellt, der genau dies prüft und dafür sorgt, dass keine rechtsgrundlosen Verhaftungen erfolgen. Die Annahme, dass gewerbsmäßiger Handel vorliegt, ist jedenfalls kein Haftgrund. Auf was für Fälle wird bezug genommen, wenn behauptet wird, dass die Dealer in U-Haft landen, weil die Gesetze anders für diese ausgelegt werden?

    Wieso stört es keinen, dass Weiße mit harten Drogen handeln? Werden diese etwa nicht strafrechtlich verfolgt?

    Fühlen die Dealer sich etwa weniger nutzlos, wenn diese "unter den prekärsten Bedingungen arbeiten: jeder Witterung ausgesetzt, ohne Zugang zu Toiletten, Wasser oder Strom, ohne jegliche soziale Absicherung, ständig auf der Hut vor der Polizei und gesellschaftlich geächtet – und das Ganze für einen Hungerlohn"?

    • @rujex:

      Auch hier nochmals einen Dank für den Beitrag. In letzter Zeit habe ich immer mehr den Eindruck, dass die Recherche zu bestimmten Themen in den Kommentarbereich verlagert wird, während sich die Autorinnen und Autoren eher dem Wunschdenken hergeben.

  • Da gab es mal die Taz:

    www.taz.de/!5345967/

    Ähnlich in Hamburg:

    www.mopo.de/hambur...anisiert-25214938#

    • @DJ Boemerang:

      Danke für den Link. Vor allem den aus der Mopo. Dort wird der straff organisierte Drogenhandel von Westafrikanern mit Fakten aus Recherchen beschrieben, im Gegensatz zum hier skizzierten romantischen Bild vom Drogendealer, der aus Armut quasi zum Dealen gezwungen wird.

      Daher ist auch die Schlussfolgerung der Autoring falsch: "Aber was die Menschen am meisten brauchen, ist ein gesicherter Aufenthaltsstatus und die Erlaubnis, zu arbeiten. Und dafür braucht es eine andere Politik."

      Eine andere Politik bräuchte es in der Tat. Allerdings sollte diese eine konsequente Durchsetzung des Rechts sein, also eine Abschiebung abgelehnter Asylbewerber.