Geflüchtete allein in Berlin: „Seine Rechnung wird nicht aufgehen“
Flüchtlingsberater Walid Chahrour nennt die Pläne des Bundesinnenministers, bei einem Wahlsieg der CDU den Familiennachzug für Flüchtlinge weiter auszusetzen, menschenfeindlich.
taz: Herr Chahrour, CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maizière will sich im Fall eines Wahlsieges der Union dafür einsetzen, dass der Familiennachzug von Flüchtlingen über März 2018 hinaus ausgesetzt wird. Was hieße das?
Walid Chahrour: Das wäre ein Schlag ins Gesicht der Geflüchteten. Viele sogenannte subsidiär Geschützte haben ein verbrieftes Recht, ihre Familie nachzuholen. Das betrifft größtenteils Menschen, die 2015 und 2016 nach Deutschland geflohen sind. Die größte Gruppe sind Syrer.
Das entsprechende Gesetz wurde im März 2016 für zwei Jahre ausgesetzt.
Solch eine Politik ist menschen-, familien- und kinderfeindlich. Und sie widerspricht der UN-Kinderrechtskonvention. Man trennt die Kinder von den Eltern und umgekehrt.
Wie viele syrische Flüchtlinge warten in Berlin darauf, ihre Angehörigen nachholen zu können?
Mehrere Tausend. Viele klagen vor dem Verwaltungsgericht deshalb um ihre Anerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention.
57, ist Sozialarbeiter und Leiter des Beratungs- und Betreuungszentrums für junge Geflüchtete und Migrant*innen in Berlin (BBZ).
Was bedeutet die lange Wartezeit für die in Berlin lebenden Familienteile?
Bei den Gesprächen erlebe ich oft, dass sie sagen: Ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren. Ich bin mit den Gedanken ständig bei meiner Frau und meinen Kindern beziehungsweise bei meinen Eltern. Sie machen sich große Sorgen um ihre Angehörigen. Und dazu immer die Nachrichten, welche Stadt wieder wo gefallen ist. Sie leben in ständiger Angst und sind mit dem Kopf immer noch in ihrem Heimatland.
Vertrauen die Leute, die zu Ihnen in die Beratung kommen, darauf, dass die Schranke im März 2018 fallen wird?
Natürlich. Wir leben in einem Rechtsstaat. Und der kann seine Gesetze nicht nach Gutdünken aushebeln und verändern.
Offenbar doch. Wird es Syrer geben, die zurückkehren werden, wenn der Familiennachzug ausgesetzt bleibt?
Die Wahlen sind noch nicht gelaufen. Sollte Angela Merkel wieder Kanzlerin werden, ist die Union trotzdem auf einen Koalitionspartner angewiesen. Wir hoffen auf ein Wahlergebnis, das Herrn de Maizière hindert, seine Pläne umzusetzen. Mit seiner Abschreckungspolitik fischt der Bundesinnenminister im rechtspopulistischen Wählermilieu. Aber seine Rechnung wird nicht aufgehen.
Wie meinen Sie das?
Die Familien hier werden trotzdem versuchen, ihre Angehörigen auf illegalen Wegen nach Deutschland zu holen. Damit riskiert man weitere Tote im Mittelmeer.
Leser*innenkommentare
Stefan Mustermann
Matthaeus 26:52:
„Da sprach Jesus zu ihm; Stecke dein Schwert an seinen Ort! denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.“
Machst Du etwas Gutes für Menschen, dann kommt das Gute von Menschen zu Dir zurück!
Tust Du den Menschen etwas Schlechtes, so kommt das Böse und Leid auch auf Dich zu!
Schon das im Bewußtsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen erschaffene Grundgesetz sagt:
„Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“.