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Ukrainisches AtomkraftwerkGefahr durch besetztes AKW Saporischschja

Die Internationale Atomenergiebehörde warnt – ebenso die Umweltorganisation Greenpeace. Diese arbeitet derweil am ökologischen Wiederaufbau der Ukraine.

Ein Block des Kernkraftwerks Saporischschja im Jahr 2022 Foto: Victor/Xinhua/dpa

Kyjiw taz | Es vergeht kaum eine Woche, in der die Internationale Atomenergiebehörde IAEA nicht vor den Gefahren warnt, die von Europas größtem Atomkraftwerk ausgehen, dem AKW Saporischschja. Seit dem russischen Überfall im März 2022 wird das in der südostukrainischen Stadt Enerhodar gelegenen Kraftwerk von Russland kontrolliert. Panikmache kann man der Organisation, zu deren Hauptzielen per Statut die Förderung der „friedlichen“ Nutzung der Kernenergie gehört, sicherlich nicht vorwerfen.

So äußerte der Generaldirektor der IAEA, Rafael Mariano Grossi, in einer Sitzung des IAEA-Vorstands vergangenen Donnerstag große Besorgnis über die prekäre Sicherheitslage an dem AKW. Die Stromversorgung, so Grossi, sei „extrem verwundbar“. Seit einem Monat stehe nur noch eine externe Stromleitung zur Verfügung. Diese Leitung liefert den für die Kühlung der Reaktoren und abgebrannten Brennelemente notwendigen Strom. Vor Beginn des Krieges hatte man noch zehn externe Stromleitungen.

Aktuell, so Grossi, seien die Reaktoren in einem sogenannten Kaltabschaltzustand. Das für die Kühlung der abgebrannten Brennstäbe erforderliche Wasser erhalte man von elf Brunnen, ist doch die ursprüngliche Wasserversorgung aus dem Kachowka-Staudamm nach dessen Zerstörung nicht mehr möglich. Letztlich sei die Nutzung von Grundwasser aber nur eine Zwischenlösung. Zusätzliche Sorgen bereiten anhaltende Drohnenangriffe auf das Trainingszentrum des Kraftwerks, das sich unmittelbar außerhalb des Sicherheitsbereichs befindet. Laut Grossi hörte das vor Ort stationierte IAEA-Team am Donnerstag wiederholt Schüsse und Explosionen. Es war bereits der vierte dokumentierte Angriff in diesem Jahr.

Nun gibt es mehrere Hinweise darauf, dass Russland das AKW wieder ans russische Netz bringen will. Bereits am 27. Mai hatte die New York Times dementsprechende Hinweise und Satellitenfotos von Greenpeace-Ukraine veröffentlicht. Seit einem Treffen von Grossi und dem Chef des staatlichen russischen Atomkonzerns Rosatom am 6. Juni im russischen Kaliningrad scheinen sich diese Hinweise zu verdichten.

Krieg in der Ukraine

Mit dem Einmarsch im 24. Februar 2022 begann der groß angelegte russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Bereits im März 2014 erfolgte die Annexion der Krim, kurz darauf entbrannte der Konflikt in den ostukrainischen Gebieten.

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Zurück ans russische Netz

„Rosatom bereitet sich auf die Wiederinbetriebnahme des AKW Saporischschja vor; der Plan für die schrittweise Inbetriebnahme der Blöcke wird derzeit von der russischen Regierung genehmigt. Die Lizenz für den Betrieb des ersten Blocks des KKW ZNPP wird bis 2025 verlängert. Rosatom richtet eine schwimmende Pumpstation ein, um die Wasserversorgung sicherzustellen“, berichtet das russische Onlineportal www.mk-zap.ru.

Auf russischer Seite macht man sich auch schon Gedanken über den aktuell in den Reaktoren befindlichen Brennstoff. Und das ist in vier der sechs Reaktoren US-amerikanischer Brennstoff. Nun will die russische Seite mit den USA in Verhandlungen treten, ob man den Brennstoff in den Reaktoren belassen soll oder wieder in die USA schicken soll.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace warnt eindringlich vor einem Wiederhochfahren der Reaktoren. Die Ausrüstung der Anlage sei in abgenutztem Zustand. Außerdem fehle es an erfahrenem Personal, so Greenpeace. Viele qualifizierte ukrainische Fachkräfte hätten das AKW verlassen. Wegen des Ausfalls mehrerer Leitungen sei die externe Stromzufuhr gefährdet.

Gefährlich, so Greenpeace, sei auch die unzureichende Zirkulation von Kühlwasser. Dies könnte schlimmstenfalls zu einer Überhitzung und Beschädigung des Reaktorkerns führen.

Ökologischer Wiederaufbau

Seit 2022 ist Greenpeace in der Ukraine aktiv. Die Umweltorganisation konzentriert sich auf die Beobachtung und Dokumentation nuklearer Gefahren, arbeitet gleichzeitig praktisch an einem ökologischen Wiederaufbau des Landes. So wurden an einer Schule in Hostomel und einer Klinik in Mykolajiw Solarsysteme installiert.

Unterdessen bietet Greenpeace in Zusammenarbeit mit der ukrainischen NGO „Women in Tech“ Kurse für angehende Solartechnikerinnen an. Und die sind sehr beliebt. 200 Interessentinnen hätten sich für den letzten Kurs gemeldet. Leider habe man nur 30 Plätze für Kursteilnehmerinnen gehabt.

Es seien mehrere Gründe, warum man sich entschieden habe, diese Kurse gerade für Frauen anzubieten, berichtet Polina Kolodyazhna, Senior Campaigner bei Greenpeace Ukraine, gegenüber der taz. Zum einen dienten viele ukrainische Männer in der Armee. „Zweitens wollen wir mit dem Mythos aufräumen, dass die Installation von Solarkraftwerken ein Männerberuf ist. Wir wollen Frauen unterstützen, die im Energiesektor arbeiten wollen, ihnen helfen, ihr Potenzial zu verwirklichen und Veränderungen in der Gesellschaft anzustoßen.“

„Ukrainische Frauen sind Superfrauen, die bewiesen haben, dass sie auch in Kriegszeiten alles schaffen können! Das Engagement von Frauen im Bereich der erneuerbaren Energien ist nicht nur ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung, es ist auch ein wichtiger Schritt zur Überwindung von Geschlechterstereotypen“, sagt Oksana Zabolotna, Mitbegründerin von „Women in Tech Ukraine“, der taz. „Wir von Women in Tech Ukraine sind stolz darauf, diese Reform im ukrainischen Energiesektor zu unterstützen und somit gleichzeitig an neuen Perspektiven für Frauen in technischen Berufen zu arbeiten.“

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