Gefängnisskandal in Augsburg: „Keine Matratze, splitterfasernackt am Boden“
In einem Augsburger Gefängnis sollen Häftlinge über Jahre misshandelt worden sein. Im Zentrum der Vorwürfe steht die stellvertretende JVA-Leiterin.
Die heftigsten Vorwürfe: Immer wieder sollen Gefangene regelwidrig in „besonders gesicherten Hafträumen“ (BgHs) untergebracht worden sein. Die Räume sollen dazu dienen, Häftlinge bei Gewaltausbrüchen oder akuter Suizidgefahr für eine kurze Zeit aus dem Verkehr zu ziehen, also als eine Art Ausnüchterungszelle. In Augsburg sollen sie jedoch eher als Folterkammer benutzt worden sein.
So seien die Räume komplett leer gewesen. Die vorgeschriebene Matratze habe gefehlt. Auch hätten die Gefangenen noch nicht einmal eine Papierunterhose bekommen, sondern seien nackt in den Raum gesperrt worden, wo sie auf dem Betonfußboden hätten kauern müssen.
Auch seien die Häftlinge dort nicht nur für wenige Stunden, sondern teils tagelang eingesperrt worden – auch, ohne dass überhaupt irgendwelche Voraussetzungen für die „besondere Sicherung“ vorgelegen hätten. Manche der Männer seien daraufhin mit voller Wucht mit dem Kopf gegen die Zellenwand gerannt. Andere sollen von JVA-Bediensteten körperlich misshandelt worden sein.
Im Wartezimmer zusammengeschlagen
Im Zentrum der Vorwürfe steht die stellvertretende Leiterin der Anstalt, die ein sehr raues Regiment in der JVA geführt haben soll. Ein Seelsorger der JVA sagte dem Bayerischen Rundfunk allerdings auch, dass die Stellvertreterin zwar das Tagesgeschäft geführt, sich aber auch eng mit ihrer Vorgesetzten abgestimmt habe. Als er sich einmal hilfesuchend an die eigentliche JVA-Leiterin gewandt habe, habe diese ihm nur mitgeteilt, dass sie hinter ihrer Stellvertreterin stehe.
Was den Vorwürfen besonders großes Gewicht verleiht: Sie kommen von den unterschiedlichsten Seiten: ehemaligen Angestellten und Häftlingen, einer früheren Gefängnisärztin, dem Seelsorger. Eine Augsburger Rechtsanwältin hat nun im Namen eines Häftlings Anzeige erstattet.
Über die Erfahrungen des Mandanten in der JVA sagte sie dem Bayerischen Rundfunk: „Loch im Boden, wo er seine Geschäfte verrichten muss. Keine Matratze, splitterfasernackt am Boden.“ Die ehemalige Gefängnisärztin berichtete dem Sender, soweit sie es mitbekommen habe, hätten 80 Prozent der Häftlinge in den besonders gesicherten Hafträumen keine Unterhose, keine Matratze und keine Decke gehabt.
Auch ein Häftling berichtete dem BR von seinen Erlebnissen. Er sei krank gewesen und habe einen Arzt der JVA sehen wollen. Als er schon im Wartezimmer gewesen sei, habe ihn ein Beamter aufgefordert, wieder in die Zelle zurückzugehen. Er habe sich jedoch geweigert, da er schon seit Wochen auf den Termin gewartet habe.
Daraufhin habe der Wärter und einige seiner Kollegen ihn zusammengeschlagen. Anschließend hätten sie ihn auf eine Liege am Boden bugsiert. „Als ich schon an Händen und Füßen gefesselt war, schlugen und traten die Beamten weiter auf mich ein, darunter auch Tritte ins Gesicht, sowie Schläge mit dem Knie ins Gesicht“, berichtete er. Nackt und blutend sei er dann in einen der BgHs gesperrt und dort mehrere Tage sich selbst überlassen worden.
Anwälte streiten Vorwürfe ab
Neben den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden gegen die beschuldigten Mitarbeiter mittlerweile auch Disziplinarverfahren eingeleitet, wie das bayerische Justizministerium mitteilte. Auch Betretungsverbote für die JVA seien verhängt worden. Die Mitarbeiter dürften ihren Dienstgeschäften aktuell nicht nachgehen. Wie viele Mitarbeiter betroffen sind, gab das Ministerium jedoch nicht bekannt.
Die Anwälte der stellvertretenden Anstaltsleiterin, Holm Putzke und Alexander Stevens, weisen indes alle Vorwürfe zurück. „Die Welt in einem Hochsicherheitsgefängnis ist nicht schön, sie besteht aus permanenten Beschränkungen der persönlichen Freiheit und Grundrechtseinschränkungen“, schreiben sie in einer Pressemitteilung. Ihre Mandantin sehe es „als ihre oberste Pflicht an, für die Sicherheit sowohl der Inhaftierten als auch der Bediensteten zu sorgen und dabei selbstverständlich stets rechtskonform zu handeln“. Sie werde die vollständige Aufklärung der Sachverhalte unterstützen.
Gleichzeitig sehen die Anwälte in den konkreten Vorwürfen offenbar einen Kollektivvorwurf gegen sämtliche bayerischen JVA-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter. Sie erwarteten, dass „alle im Justizvollzug tätigen Mitarbeiter gegen unberechtigte Vorwürfe in Schutz genommen werden und der Freistaat Bayern damit seiner Fürsorgepflicht gerecht wird“.
Grüne fordern Reform des Strafvollzugs
Der Augsburger Gefängnisskandal beschäftigt mittlerweile auch die bayerische Politik. Der Grünen-Politiker Toni Schuberl forderte, dass der Justizminister dem Landtag über die Vorfälle in der JVA Augsburg-Gablingen und über die Lage in anderen bayerischen Haftanstalten berichtet. Ähnliche Vorwürfe wie jetzt in Augsburg habe es auch schon im Zusammenhang mit der JVA Kaisheim gegeben, so Schuberl. „Das nährt den Verdacht, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt.“
Ohnehin liegt beim bayerischen Strafvollzug nach Meinung Schuberls einiges im Argen. Der Landtagsabgeordnete fordert daher Reformen auf grundsätzlicherer Ebene: „Regelmäßig wird die Söder-Regierung von Gerichten zu Reformen gezwungen, weil die Grundrechte der Gefangenen verletzt werden.“ Daher brauche es eine Verbesserung des bayerischen Strafvollzugsgesetzes mit einem stärkeren Fokus auf Resozialisierung. „Denn Resozialisierung schafft Sicherheit.“
Auch die SPD im Landtag verlangt „schonungslose Aufklärung“. Jedes Blatt müsse umgedreht werden, um „diese völlig inakzeptablen und eines Rechtsstaats unwürdigen Vorfälle schonungslos aufzuklären – und vor allem auch abzustellen“, sagte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Horst Arnold. „Das Innere eines Gefängnisses darf kein rechtsfreier Raum sein.“
Das Justizministerium arbeitet nach Angaben einer Sprecherin bereits an einer Aufklärung der Vorwürfe. Man werde vor allem die Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen auf den Prüfstand stellen. „Die im Raum stehenden Vorwürfe sind gravierend. Die Vorwürfe müssen rückhaltlos aufgeklärt werden“, sagte Justizminister Georg Eisenreich (CSU). „Sollte es zu Straftaten durch Bedienstete gekommen sein, werden diese strafrechtlich konsequent verfolgt und auch dienstrechtlich konsequent geahndet. Straftaten im Justizdienst sind inakzeptabel.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen