Suizidprävention im Gefängnis: Schützende Räume

Die Suizidrate in Gefängnissen ist allgemein hoch. In der JVA Moabit wird jetzt modellhaft ein Raum eingerichtet, der Selbsttötungen verhindern soll.

Möbel, die eine geringe Verletzungsgefahr haben sollen.

Ohne Ecken und Kanten: Möbel, wie sie auch in psychiatrischen Einrichtungen genutzt werden Foto: Jens Kalaene/dpa

BERLIN taz | Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos, für CDU) sitzt am Donnerstag in der JVA Moabit und erzählt von dem ersten Besuch, den sie der Untersuchungshaftanstalt nach ihrem Amtsantritt abstattete: Damals habe ihr die Leiterin auch den Raum gezeigt, in dem Inhaftierte mit akutem Selbst- und Fremdverletzungsrisiko kurzfristig untergebracht werden. „Meine Güte“, habe sie gedacht und versucht sich vorzustellen, wie es sein müsse, sich dort aufzuhalten: „Ob ich in einem solchen Raum von meiner Absicht ablassen würde?“

Tatsächlich ist der „besonders gesicherte Haftraum ohne gefährdende Gegenstände“, wie er ganz offiziell heißt, eine Zelle wie aus einem dystopischen Film – kahle Wände mit Kameras in allen Winkeln, eine Kunststoffmatratze, eine offene Kloschüssel aus Edelstahl. Zwar hat die JVA-Leitung vor Kurzem eine „Videowand“ anbringen lassen, auf der die Gefangenen ein paar Spiele-Apps nutzen oder beruhigende Naturaufnahmen ansehen können, aber auch damit wird daraus kein schöner Raum: Es ist eine Akutverwahrung, mit der Justizpsychiatrie als nächster Station.

Badenberg will bessere Bedingungen für Häftlinge mit Suizidabsichten, sagt sie. In den laufenden Haushaltsverhandlungen habe sie deshalb „sehr darum gekämpft“, die nötigen Mittel für einen Suizidpräventionsraum einstellen zu können – einen Raum, der keine Selbstverletzungen ermögliche, aber dennoch freundlich und „stabilisierend“ wirke.

Ohne Ecken und Kanten

Mit Erfolg, wie sie am Donnerstag in der JVA mitteilte: Schon im ersten Quartal des kommenden Jahres werde ein Raum in der Moabiter Teilanstalt 1 baulich hergerichtet und entsprechend eingerichtet. Nicht weniger als 438.000 Euro soll das kosten, was offenbar weniger an dem – auch nicht billigen – Kunststoffmobiliar ohne Ecken und Kanten liegt, sondern an der Ausstattung mit einer Fußbodenheizung: Wie JVA-Leiterin Anke Stein noch einmal deutlich macht, können suizidale Menschen nicht nur Rohre, sondern auch Heizkörper für ihre Absicht nutzen.

Stein erläutert, welchen psychischen Belastungen Inhaftierte ausgesetzt sind, die zu spontanen Gedanken an eine Selbsttötung oder zur Verstärkung vorhandener Gedanken führen können: Jemand, der mit einem Tatverdacht in der Untersuchungshaft lande, sei aus seinem gewohnten Umfeld herausgerissen, „dann bekommt man sein Urteil und weiß plötzlich, dass man viele Jahre in Haft bleiben wird“. Tatsächlich sei die Suizidwahrscheinlichkeit in einer JVA etwa so hoch wie in einer psychiatrischen Einrichtung.

Im laufenden Jahr kam es bislang zu acht Selbsttötungen in Berliner Haftanstalten, berichtet Susanne Gerlach, Abteilungsleiterin für den Strafvollzug in der Justizverwaltung – zwei Fälle hätten sich in Moabit ereignet. In 14 Fällen habe es Suizidversuche gegeben, wobei es nicht immer einfach sei, die Grenze zu Selbstverletzungen ohne Todeswunsch zu ziehen. Monokausale Erklärungen für die Suizidrate in den Gefängnissen gebe es nicht, so Gerlach: Warum die Zahl in den vergangenen Jahren zwischen 0 (2019) und 9 (2020) schwankte, lasse sich so nicht beantworten.

„Suizidpräventionsräume“ soll es laut der Justizsenatorin perspektivisch in allen Berliner JVAs geben. Klar ist: Im Gegensatz zu dem anfangs beschriebenen kahlen Raum mit Videokameras kann und wird die temporäre Unterbringung im Präventionsraum nicht ohne Zustimmung des Gefangenen stattfinden.

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