Gefängnisse in Griechenland: Kaum Platz zum Stehen
Die Gefängnisse in Griechenland sind unter allen Ländern der EU am stärksten überbelegt. Die Zahl der Häftlinge nimmt zu, die Finanzmittel schrumpfen.
ATHEN ap | Mehr als 30 Männer waren in die Zelle gepfercht, Tag und Nacht für Wochen oder Monate. Weil die Pritschen nicht ausreichten, mussten viele auf dem Boden schlafen. Die Fenster waren mit Farbe bestrichen und ließen kein Sonnenlicht durch, in der Luft hingen dichter Zigarettenrauch und der Geruch der einzigen Toilette, die sich alle teilten.
In dieser etwa 40 Quadratmeter großen Zelle für Polizeigewahrsam in der nordgriechischen Stadt Serres verbrachte Giorgos Aslanis etwa drei Monate. Im Oktober entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Haftbedingungen gegen europäisches Strafrecht verstießen und sprach ihm 8.000 Euro Entschädigung zu.
Nach Zahlen des jährlichen Gefängnisberichts des Europarats vom Mai sind die Haftanstalten in Griechenland unter allen Ländern der EU am stärksten überbelegt. Die Zahl der Insassen erreichte in diesem Jahr ein Rekordhoch, viele Gefängnisse nehmen schlicht keine neuen mehr auf.
Hunderte Untersuchungshäftlinge sitzen daher über Monate in Gewahrsamszellen, die nur für einen Aufenthalt von Stunden oder Tagen gedacht sind. „Es ist ein System, das zusammenbricht“, sagt Spyros Karakitsos, Leiter der Griechischen Föderation von Gefängnisangestellten.
Neuer Gefängnisflügel, neue Strafmethoden
In der Wirtschaftskrise nimmt die Zahl der Häftlinge zu, während die Finanzmittel für Wachpersonal und Anstalten schrumpfen – eine gefährliche Mischung, vor deren Folgen Vertreter von Polizei und Justiz warnen. Die Regierung will gegensteuern. Es werde versucht, neue Gefängnisse zu bauen, erklärte Justizminister Charalambos Athanasiou.
Und der damalige Vizejustizminister Costas Karagounis verwies vor einigen Monaten auf die Eröffnung neuer Gefängnisflügel und die Einführung neuer Strafmethoden wie die elektronische Überwachung von Verurteilten ohne deren Einweisung in ein Gefängnis.
Da viele Haftanstalten doppelt oder dreifach überbelegt sind, sitzen mehrere hundert Menschen in Polizeizellen ohne Zugang ins Freie. Etwa 34,1 Prozent der Insassen griechischer Gefängnisse warteten 2012 nach Zahlen des Internationalen Zentrums für Gefängnisstudien auf ihren Prozess. Untersuchungshaft sei inzwischen die Norm statt die Ausnahme, kritisieren Menschenrechtsorganisationen.
Die jüngste Statistik des Europarats, veröffentlicht im Mai mit Zahlen für 2011, weist für den Stichtag 1. September eine 151,7-prozentige Belegung griechischer Gefängnisse auf. 12 479 Insassen belegten 8 224 Haftplätze. Und die Zahl der Häftlinge ist seither stetig gestiegen.
Polizeizelle statt Gefängnis
Am 1. November saßen 13.147 Personen ein, wie aus offiziellen Zahlen hervorgeht, die der Nachrichtenagentur AP vorliegen. Nicht darin enthalten sind Untersuchungshäftlinge wie Aslanis, die auf Polizeiwachen festgehalten werden. Aslanis wurde im Juni 2009 wegen mehrfachen Diebstahls festgenommen. Weil er eine Kaution in Höhe von 1000 Euro nicht zahlte, wurde er im Dezember des Jahres in Untersuchungshaft genommen.
Da das örtliche Gefängnis voll war, landete er in der Polizeizelle. Nach eigenen Angaben hatte er etwa 35 Zellengenossen. Die Betten wurden nach Hierarchie vergeben: Wer am längsten da war, bekam die nächste freie Pritsche, es sei denn, ein Neuzugang war krank oder alt.
„Es gibt keine Belüftung, es gibt Schmutz, es gibt keine Hygiene“, sagte Aslanis der AP. Er wurde schließlich verurteilt und verbüßte seine Strafe bis zu seiner Freilassung im Januar 2011 in zwei Gefängnissen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine ganze Reihe von Urteilen gegen Griechenland gefällt, in denen Athen zur Zahlung von zehntausenden Euro an Dutzende Kläger verurteilt wurde.
Erst am 12. Dezember sprach das Gericht einem 51-Jährigen wegen der Zustände im Gefängnis von Larissa von Juli 2009 bis März 2011 insgesamt 8.500 Euro zu. Die Polizeizellen stellen auch ein Sicherheitsrisiko dar. Ein vertraulicher Polizeibericht vom Oktober, der der AP vorliegt, warnt vor der „unmittelbaren Gefahr der Flucht“ von Häftlingen in Thessaloniki.
20 Männer mit neun Pritschen
Als Gründe werden Überfüllung, ausgedünntes Wachpersonal und geringere Sicherheitsstandards genannt. Demnach werden dort 15 bis 20 Männer in Zellen mit neun Pritschen und kleinen Fenstern über Monate rund um die Uhr festgehalten.
Der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Thessaloniki richtete Anfang November deutliche Worte an den Justizminister. Die Bedingungen in der Einrichtung „stellen nicht die Mindestgrenze würdigen Lebens dar“, schrieb Panagis Yiannakis. „Ich habe mich geschämt, Herr Minister, für den griechischen Staat und für jeden von uns einzeln“, heißt es in dem Brief.
In der Stadt Igoumenitsa stellte ein Gericht im vergangenen Jahr sogar fest, dass 15 Migranten zu Recht aus dem Polizeigewahrsam geflohen seien, weil die Zustände dort „erbärmlich und für Menschen extrem gefährlich“ gewesen seien. Im Zuge der Finanzkrise wurden die Mittel für die Gefängnisse nach Angaben des Justizministeriums von 136 Millionen Euro 2009 auf 111 Millionen in diesem Jahr gekürzt.
Zum Vergleich: Die Niederlande, wo ähnlich viele Häftlinge einsitzen wie in Griechenland, hatten 2012 ein Gefängnisbudget von rund zwei Milliarden Euro. Im größten Gefängnis Korydallos kommen in manchen Schichten 250 Häftlinge auf einen Aufseher. Nach Gewerkschaftsangaben kam es bereits zu Angriffen auf Aufseher.
Nichts funktioniert
Korydallos hat offiziell Platz für 800 Häftlinge, doch am 1. November saßen dort laut Statistik der Gefängnisverwaltung 2.127 Häftlinge ein. „Im Winter, wenn die Fenster geschlossen sind, kann man nicht atmen“, sagt ein früherer Insasse.
Vier weitere ehemalige Häftlinge beschreiben schäbige Zellen, in denen kaum Platz zum Stehen war. „Das Sanitärsystem funktioniert nicht, die Abwassertechnik funktioniert nicht, die Heizung funktioniert nicht, nichts funktioniert“, sagt ein 47-Jähriger.
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