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Gefängnis-Insasse über seine Haft„Man ist quasi ein Zombi“

Steven Piekert sitzt wegen versuchten Mordes in der JVA Hannover ein. Eine sinnlose verbrachte Zeit, findet er.

Blick nach draußen: Steven Piekert in seiner Zelle. Foto: Anna-Kristina Bauer
Andrea Maestro
Interview von Andrea Maestro

taz: Herr Piekert, haben Sie Ihre Strafe verdient?

Steven Piekert: Die Höhe der Strafe auf gar keinen Fall. Ich bin von dem Richter vorverurteilt worden, weil ich vorbestraft war wegen Betruges. Seine klare Aussage war: Er ist ein Betrüger, er lügt.

Wofür wurden Sie verurteilt?

Für versuchten Mord und schwere räuberische Erpressung.

Wie kam es dazu?

Ein Betrug ist eskaliert. Es gab eine Schlägerei, irgendwann wurde ein Messer gezogen.

Haben Sie das Messer gezogen?

Nein, mein Opfer. Das hat mir das Gericht allerdings nicht geglaubt. Der Richter hat gesagt, ich hätte das Messer gezogen.

Was für ein Betrug war das, der da schief gegangen ist?

Das war ein Internetverkauf. Computer und technisches Zubehör. Ich habe fingierte Sachen ins Internet gestellt und die dann verkaufen wollen.

Je länger die Haftstrafe ist, umso mehr geht außerhalb kaputt. Familie, Freunde, das ganze Umfeld

Das heißt, Ihre Opfer hätten nie Ware bekommen, aber Ihnen das Geld gegeben?

Genau. Bei der Übergabe ist es zu einem Streit gekommen. Es war eine schwierige Situation, weil ich in einem psychischen Ausnahmezustand war. Ich habe es eigentlich nie zu persönlichen Kontakten bei den Geschäften kommen lassen. Aber in diesem Fall wollte ich ihm das Geld einfach wegnehmen und dann ist der Streit leider eskaliert.

Eine Tat im Affekt wäre doch versuchter Totschlag. Was macht es zum versuchten Mord?

Der Richter hat gesagt, ich hätte in dieser Auseinandersetzung in Verdeckungsabsicht versucht, den Mann umzubringen.

Und, haben Sie?

Ich war ihm von Anfang an körperlich überlegen. Ich habe früher Kampfsport gemacht, Mixed Martial Arts. Außerhalb des Sports hatte ich aber noch nie etwas mit Gewalt zu tun, weder ein Ermittlungsverfahren, noch eine Verurteilung. Aber ich wusste mich zu wehren. Sogar als das Messer dann im Spiel war, habe ich noch funktioniert.

War Ihnen in der Situation bewusst, dass Sie gerade einen anderen Menschen verletzen?

Nein, das wusste ich nicht, bis ich das erste Mal nach der Tat Kontakt mit der Polizei hatte. Ich habe nur das Messer von mir weggedrückt, damit es mich nicht trifft. Ich habe auch ein paar Schnitte abbekommen. Als ich seinen Arm und seine Hand fixiert habe, hat er sich gewehrt. So muss es passiert sein.

Wie schwer war der Mann verwundet?

Laut Zeitungsberichten hat die Schnittwunde nur knapp die Leber verfehlt. Im Krankenhausbericht war der Schnitt nur 1,8 Millimeter tief und ging gerade so ins Bauchfett. Er hatte noch einen Schnitt im Gesicht, der genäht werden musste.

Im Interview: Steven Piekert

36, hat bei einer Versicherung und als Abteilungsleiter in einem Callcenter gearbeitet, sich danach aber selbstständig gemacht, um mit der Programmierung von Internetseiten eine seriöse Fassade zu haben und Geld zu waschen. Seine Haupteinnahmequelle in dieser Zeit war Computerbetrug. Piekert sitzt bereits zum dritten Mal in Haft. Er wurde 2014 wegen versuchten Mordes zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis gibt er die Zeitung Drehscheibe mit einer Auflage von 500 Stück heraus.

Bereuen Sie die Tat?

Ja, dass ich ihn verletzt habe auf jeden Fall. Aber ich arbeite an einer Wiederaufnahme des Verfahrens, damit ich eine Rehabilitation erfahre. Ich habe nie versucht, jemanden zu ermorden. Es geht mir darum, dass festgestellt wird, dass es nicht so war, wie er es gesagt hat.

Er hat also ausgesagt, Sie hätten das Messer mitgebracht?

Er hat drei verschiedene Aussagen gemacht, aber die letzte Aussage beim Gericht hat gezählt.

Was hat es mit Ihnen gemacht, als Sie realisiert haben, dass Sie jemanden verletzt haben?

Erst mal wollte ich es nicht wahrhaben, weil ich es nicht mitbekommen habe. Ich habe zwar Blut gesehen, aber auch meine Hände haben geblutet. Das zu realisieren war – ist – schwierig. Ich schlafe seit meiner Verhaftung nicht mehr.

Warum?

Weil ich da das erste Mal in meinem Leben Todesangst hatte. Die Polizisten haben sich nicht ausgewiesen. Die haben mich in einem Supermarkt zu viert von hinten versucht auf den Boden zu drücken. Das habe ich nicht zugelassen. Ich habe gedacht, vielleicht rächt er sich. Und jetzt seit vier Jahren schlafe ich, wenn ich mal einen guten Tag habe, vier Stunden.

Und worüber denken Sie nach, wenn Sie wach liegen?

Ich überlege mir Sachen für die Drehscheibe.

Die Gefängniszeitung, für die Sie als Redakteur schreiben.

Genau. Ich denke viel nach. Ich höre Radio. Ich schlage irgendwie die Zeit tot.

Denken Sie auch über die Tat nach?

Wenn ich Situationen im Fernsehen sehe, Auseinandersetzungen, die ähnlich sind, dann trifft es mich wieder. Aber ansonsten habe ich damit eigentlich abgeschlossen.

Haben Sie sich bei dem Opfer entschuldigt?

Bei Gericht haben wir geredet. Ich habe mich dafür entschuldigt, dass ich ihn verletzt habe, und dafür, dass ich ihn betrügen wollte, aber ich entschuldige mich nicht für etwas, das ich nicht gemacht habe.

Schon vorher wurden Sie wegen Computerbetrugs, Geldwäsche und Untreue verurteilt. Wie sind Sie auf die schiefe Bahn gekommen?

Das war eine Entscheidung. Ich hab’ mein Leben damit finanziert. Und ich habe damals gedacht, ich müsste ein luxuriöses Leben führen. Ich habe Autos gehabt, hauptsächlich amerikanische, aber auch mal einen Mercedes, wenn ich den haben wollte. Ich habe am Bodensee gewohnt, bin viel herumgeflogen.

Wie sind Sie zum Betrüger geworden?

Ich bin damals durch meinen Mittäter da reingekommen und habe mich entschieden, diesen Weg zu gehen. Ich hatte die Möglichkeit, Geld zu verdienen, ohne wie jeder andere hart dafür zu buckeln. In meiner Familie ist gar keiner kriminell. Mein Bruder ist Fotograf, der andere Koch und mein Vater war bei der Luftwaffe. Ich bin das einzige schwarze Schaf in meinem Umfeld.

Wie hat ihr Umfeld reagiert, nachdem Sie überführt wurden?

Für mich war es eine Enttäuschung. Es gibt Freunde, die essen, trinken und feiern mit einem, leben quasi mit davon und am Ende reden die dann schlecht. Die wichtigsten Leute sind anfangs vielleicht noch geblieben, aber irgendwann waren alle weg. Das hat sich erst mit meinem neuen Umfeld geändert.

Haben Sie Ihre Verlobte erst hier drinnen kennengelernt?

Nein, draußen noch. Was anders ist, ist dass mein Umfeld jetzt alles über mich weiß. Ich habe früher immer zwei Leben geführt. Ein kriminelles und ein offizielles als erfolgreicher, selbstständiger Geschäftsmann. Ich habe immer alle angelogen.

Haben Sie je damit gerechnet, dass Sie erwischt werden könnten?

Wer rechnet schon damit, wenn man kriminell ist? Man denkt immer, man ist schlauer. Ich habe den Gedanken aber auch verdrängt. Sobald dann die Ermittlungsverfahren kommen, merkt man dann, dass man schon observiert wurde und die Telefone überwacht.

Wie viele Jahre Ihres Lebens haben Sie schon im Gefängnis verbracht?

Ich bin jetzt, mit den Vorstrafen, im zwölften Jahr.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie Ihr Leben verschwendet haben?

Jetzt, in dieser dritten Haftzeit. Vorher nicht. Da gab es nichts, was mir die Haft schwer gemacht hat. Jetzt ist da meine Verlobte. Die hat mir die Augen geöffnet. Und auch die Freunde, die ich durch sie habe, die zu mir stehen, trotz meiner kriminellen Vergangenheit. Dieses Getrenntsein von allen ist jetzt schwer. Früher habe ich einfach in den Tag hinein gelebt. Jetzt vermisse ich dieses einfache Spazierengehen mit meiner Verlobten und mit den Katzen zu kuscheln.

Sie haben sich taufen lassen. Wie kommt es, dass Sie zum Glauben gefunden haben?

Ich habe schon immer geglaubt. Jetzt war es mir wichtig, auch der Kirche anzugehören.

Beschäftigt man sich, wenn man eingesperrt ist, eher mit elementaren Fragen?

Das setzt einen Intellekt voraus. Ich denke eher nicht, dass die Allgemeinheit das hier macht. Ein Großteil ist drogenabhängig. Man hört die Gespräche: Das Überbrückungsgeld nehmen, um dann wieder Drogen zu kaufen, wenn man entlassen ist.

Was machen Sie hier drin mit Ihrer Zeit?

Ich arbeite an der Drehscheibe. Ich habe da ein kleines Eckbüro mit einem Computer. Ich kann frei an den Texten und dem Layout arbeiten.

Warum machen Sie das alleine?

Früher gab es mal eine Redaktionsgruppe, aber die hat sich aufgelöst. Außer beim Kreuzworträtsel, wo die Leute mitmachen, weil sie Tabak und Kaffee gewinnen wollen, ist die Beteiligung sehr mau. Gelesen wird es aber, da bekomme ich Rückmeldungen.

Worüber schreiben Sie?

Ich versuche, Informationen zu bringen, die für uns wichtig sind. In der letzten Ausgabe hatte ich etwas über Spielsucht drin und die Eröffnung eines Pfändungsschutzkontos.

Ist Redakteur ein regulärer, bezahlter Job im Gefängnis?

Ja. Vorher war ich Hausarbeiter. Das heißt, man muss in dem Haus, in dem man lebt, für Ordnung sorgen. Duschen machen. Essen und Wäsche verteilen. Meine Mitgefangenen diskutieren aber wegen allem Möglichen herum und beschweren sich. Da habe ich keine Geduld mehr für. Ich möchte auch keinen Ärger mehr. Jetzt arbeite ich für mich.

Sie bringen in der Drehscheibe Artikel über übertragbare Krankheiten, Suizidversuche hinter Gittern oder Gefühle, die man als Vater im Gefängnis hat. Sind das Themen, die Sie selbst beschäftigen?

Ich beobachte viel. Die Leute wissen, dass es ansteckende Krankheiten gibt und tätowieren sich trotzdem gegenseitig oder sie schmeißen Essen aus dem Fenster und beschweren sich, dass da unten Ratten herumlaufen. Darüber schreibe ich. Und die Vatergeschichte ist einfach meine Geschichte. Und ich weiß, dass es vielen hier wie mir geht.

Was macht denn das Gefängnis mit dem Familienleben?

Ich habe meine Tochter außer bei der Geburt und kurz danach nicht gesehen. Ich weiß nicht einmal, ob sie weiß, dass ich ihr Vater bin. Damals war ich kriminell und wusste, dass ich noch nicht abgeschlossen hatte. Ich wollte nicht, dass ich wieder aus dem Leben meiner Tochter rausgerissen würde und habe sie deshalb bewusst nicht gesehen. Heute macht mich das traurig. Wenn ich entlassen werde, ist meine Tochter fast 18 Jahre alt. Ich möchte auf jeden Fall versuchen, Kontakt mit ihr aufzunehmen.

Wie oft können Sie den Teil Ihrer Familie, zu dem Sie Kontakt haben, sehen?

Regulär sind es vier Stunden im Monat. Dann kommen meine Verlobte und meine Mutter her. Und ich darf jeden Tag telefonieren. Das ist nur sehr teuer.

Was macht den Alltag im Gefängnis schwierig?

Die Herausforderung liegt darin, mit den anderen zusammenzuleben, ob man möchte oder nicht. Man hat so seine Leute, mit denen man sich versteht. Aber man muss auch mit Leuten klarkommen, mit denen man draußen gar nichts zu tun hätte. Man hat keine Wahl.

Haben Sie das Gefühl, dass eine Haftstrafe Menschen eher tiefer ins kriminelle Milieu zieht?

Man kann natürlich Kontakte knüpfen, wenn man das will. Ob das der kleine Dealer ist, der einen großen Dealer trifft, oder der Computerbetrüger.

Bringt das Eingesperrtsein denn was?

Gerade der Anfang, die U-Haft und die Zeit nach der Verurteilung, sind schwer. Irgendwann lebt man aber den Trott. Man ist quasi ein Zombie. Morgens geht die Tür auf. Um sechs Uhr ist Lebendkontrolle. Dann hat man eine halbe Stunde Zeit, dann ist Ausrücken zur Arbeit, dann hat man nachmittags eine Freistunde, dann kocht und duscht man und legt sich ins Bett. So ist jeder Tag. Je länger die Haftstrafe ist, umso mehr geht außerhalb kaputt. Familie, Freunde, das ganze Umfeld. Viele werden ins Nichts entlassen. Ich weiß nicht, ob das ein guter Start in ein straffreies Leben ist.

Was halten Sie für sinnvoller?

Fußfesseln und Sozialstunden. Wenn jemand ständig ohne Führerschein fährt, würden ich eher dafür sorgen, dass er irgendwie an eine Fahrerlaubnis kommt, anstatt ihm das noch für Jahre zu verbieten. Einen Betrüger, so wie mich, würde ich Computerkurse geben oder Internetkriminalität verhindern lassen.

Aber glauben Sie, Sie wären aufgewacht, wenn Sie nicht in Haft gesessen hätten?

Das hat nicht die Haft gebracht, sondern meine Lebensumstände. Und das ich nicht mehr lügen muss. Die Haft tut nur noch weh.

Wie wollen Sie leben, wenn Sie frei sind?

Ganz normal. Das, was ich vorher spießig fand, möchte ich jetzt einfach haben. Gartenzwerge im Schrebergarten zum Beispiel.

Und beruflich?

Ich beteilige mich hier an dem sozialen Projekt „Gefangene helfen Jugendlichen“. Wir erzählen denen, was es wirklich bedeutet, im Gefängnis zu sein. Unabhängig von dem, was sie im Fernsehen sehen. Das ist sinnvoll. Das werde ich auch nach der Haft weitermachen.

Wie reagieren die Jugendlichen auf Sie?

Das sind oft Jugendliche aus Brennpunktschulen, die selbst schon Straftaten begangen haben. Die haben dann gegenüber der Polizei und Lehrern wahrscheinlich keinen Respekt, aber sobald die auf uns treffen, sind sie ganz schüchtern. Wir machen mit ihnen ein Delikteraten. Ich moderiere das ganze und rede viel. Deshalb liegt bei mir oft das Kärtchen Betrug. Wenn sie dann hören, dass ich wegen versuchten Mordes hier bin, dann schlucken sie. Wir zeigen den Jugendlichen, dass man einem Menschen nicht hinter die Stirn gucken kann.

Haben Sie Angst, dass Sie doch rückfällig werden?

Nein. Ich habe mich dafür entschieden, das nicht mehr zu tun. Ich möchte nicht mehr in Haft. Ich bin jetzt 36 und habe schon so viele Jahre verschwendet. Das ist mir jetzt in den letzten vier Jahren erst bewusst geworden.

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