Gefährliche Reaktoren Tihange und Doel: Menschenkette gegen belgische AKWs
Mit einer 90-Kilometer-Kette durch drei Länder wollen Aktivisten gegen marode Meiler protestieren. In Belgien entsteht eine neue Anti-AKW-Bewegung.
Die Streckenposten, die aus den umliegenden niederländischen Orten stammen, sehen auf der Wand nun eine projizierte Karte. Sie zeigt den Verlauf der Kette, beginnend im Südwesten bei der belgischen Stadt Huy, dann der Maas folgend nach Liège, über die niederländische Grenze, ein scharfer Knick bei Maastricht und weiter nach Aachen. Auf jedem der 90 Kilometer werden Streckenposten aus Kernkraftgegnern im Dreiländereck dafür sorgen, dass die Demonstranten gleichmäßig verteilt sind.
60.000 Menschen erwarten die Organisatoren, diverse Anti-AKW-Initiativen aus Belgien, Deutschland und den Niederlanden. Zu Letzteren zählt auch Wise (World Information Service on Energy), die weltweit lokale Gruppen im Kampf gegen Atomkraft unterstützt. Was sie nach Belgien bringt, sind nicht nur veraltete Anlagen, deren Laufzeiten trotz beschlossenem Atomausstieg verlängert wurde. Vor allem wurden 2012 Zehntausende von Rissen in den Reaktorbehältern der Meiler Tihange 2 und Doel 3 entdeckt.
„Wie und wann sie entstanden, weiß trotz mehrerer Untersuchungen niemand“, so Wise-Direktor Peer de Rijk. „Die belgische Regierung sagt, dass es Gussfehler sind, die schon von Beginn an da waren, aber mit den damaligen Möglichkeiten nicht entdeckt werden konnten. So oder so: Durch die Risse wird der Reaktor brüchig und weniger widerstandsfähig.“ In beiden belgischen AKWs, Doel bei Antwerpen sowie Tihange, mussten in den letzten Jahren wiederholt Reaktoren vom Netz genommen werden. Was auch jenseits der Grenze, in Deutschland und den Niederlanden, für mehr und mehr Besorgnis sorgt.
In Belgien selbst ist Liège das Zentrum der Protestbewegung. Einer der Aktivposten ist Francis Leboutte, der seit Jahren speziell mit der Situation in Tihange beschäftigt ist. Der pensionierte Ingenieur wohnt ein paar Kilometer außerhalb der Stadt in malerischen Hügeln. Auf seinem Küchentisch liegt ein Stapel gelber Flugblätter. Am Vorabend, als sich in Maastricht die Streckenposten trafen, nahm Leboutte an einer Besprechung der belgischen Protestgruppen teil. Nun steht er kurz vor dem Aufbruch nach Brüssel, wo eine gemeinsame Pressekonferenz stattfinden wird.
Entgegen der Klischees gebe es auch in Belgien Atomkraftgegner, so Leboutte. Aber eben „keine breite, populäre Bewegung“. Darum gründete er zu Jahresbeginn mit elf Mitstreitern die Initiative „Fin du Nucléaire“. Ihre 140 Mitglieder kommen aus der Wallonien und aus Brüssel. „Wir müssen das Thema auf den Tisch bekommen und die Regierung unter Druck setzen. Es gibt zwei Möglichkeiten, die dazu bringen würde, die AKWs zu schließen: ein Unfall oder eben massiver Druck aus der Bevölkerung.“
Energieministerin liebäugelt mit Laufzeitverlängerung
Wie nötig Letzterer ist, liest Francis Leboutte an einem Statement der belgischen Energieministerin ab. Man müsse ohne Tabus über Atomkraft reden, sagte Marie Christine Marghem einmal. „Sie spricht es nicht aus, doch sie spielt auf eine weitere Verlängerung der Laufzeiten. Eigentlich müssten die Meiler in den nächsten Jahren abgeschaltet werden.“
Für Jörg Schellenberg, Koordinator des Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie, sind solche Aussagen weitere Indizien, die für eine Stilllegung sprechen – genau wie die weiteren Risse, die vor einigen Wochen in Doel und Tihange entdeckt wurden. „Solche Absurditäten machen sprachlos“, so der IT-Spezialist, der sich für die letzten Vorbereitungen eine Woche frei genommen hat. „Während deren Herkunft nicht geklärt ist, laufen die Reaktoren einfach weiter.“
In den Tagen vor der Menschenkette erhalten die Aachener Aktivisten im Büro logistische Unterstützung der Hamburger Gruppe „.ausgestrahlt“. Zu tun gibt es genug: Pressekontakte, Besprechungen mit der Polizei – und „noch einmal alles in die Waagschale werfen für die letzte Mobilisierung“.
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