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Gefährliche Chemikalie Bisphenol AIndustrie gegen neue Grenzwerte

Es wird in Verbindung mit Krebs, Unfruchtbarkeit, Diabetes und neurologischen Störungen gebracht. Dennoch kämpfen Unternehmen weiter für Bisphenol A.

Hier ist Bisphenol A bereits verboten: Babyflasche Foto: imago

Berlin taz | Industrieverbände wehren sich gegen strengere Grenzwerte für die gefährliche Chemikalie Bisphenol A (BPA). Am Donnerstag haben unter anderem Plastics Europe und der Lebensmittelverband einen Brief an das Agrarministerium geschickt, in dem sie ihre „Sorge“ über den „nunmehr beginnenden Prozess“ eines neuen Risikomanagements bekunden. Hintergrund ist eine Neubewertung des Kunststoffbestandteils BPA durch die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit, Efsa.

Sie hatte kürzlich die Empfehlung für die tolerierbare Tagesmenge von BPA über die Nahrung um das 20.000-fache herabgesetzt – eine „spektakuläre Entscheidung“, urteilt Josef Köhrle, Seniorprofessor am Institut für Experimentelle Endokrinologie an der Berliner Charité.

Die Entscheidung der Efsa ist ein neuer Versuch der Politik, BPA einzudämmen. In Babyflaschen und Kassenzetteln verboten, steckt das Kunststoffadditiv noch immer in vielen Beschichtungen und Produkten. Im Rahmen eines europaweiten Screenings auf Schadstoffbelastungen wurde BPA praktisch in allen untersuchten Personen gefunden, teils in Mengen weit oberhalb aller Grenzwerte. BPA wird in Verbindung mit Krebs, Unfruchtbarkeit, Diabetes und neurologischen Störungen gebracht.

Schwangere, Kinder, Vorerkrankte oder Übergewichtige reagieren besonders empfindlich auf die Chemikalie. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA wollte der Efsa in ihrer Neubewertung nicht folgen. In einer gemeinsamen Stellungnahme schreiben die beiden Behörden, es sei nicht möglich gewesen, ihre Meinungsverschiedenheiten über BPA auszuräumen.

Wissenschaftliche Studien werden nicht berücksichtigt

Köhrle wundert das nicht. „Auch die Efsa hat viele Jahre gebraucht, bis sie den bekannten Forschungsstand akzeptierte und in Empfehlungen für die tolerierbare tägliche BPA-Aufnahme mit der Nahrung umsetzte“, sagt er, „das steht der EMA noch bevor“.

Problem: Viele publizierte wissenschaftliche Studien werden von den Behörden nicht berücksichtigt, weil sie nicht von speziell zertifizierten Laboren durchgeführt wurden. Köhrles Labor an der Charité etwa ist nicht zertifiziert. „Das ist zu teuer und zu personalaufwändig“, so der Wissenschaftler. Also fielen bei der Gefährdungs- und Risiko-Bewertung auch von BPA wichtige Erkenntnisse unter den Tisch.

Schützen kann sich die Bevölkerung vor der Chemikalie kaum. Am heutigen „Europäischen Hormontag“ empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie, Kosmetikprodukte ohne Phthalate zu kaufen, auf Plastikverpackungen zu verzichten und etwa auf Glas auszuweichen. Der Hinweis „BPA-frei“ sei kein Kaufargument: Das Produkt könnte die Alternativen Bisphenol S oder Bisphenol F enthalten; ihnen werden ähnliche Wirkungen wie BPA unterstellt.

Umweltverbände fordern deshalb eine Gruppenbewertung von Stoffen mit ähnlichen Eigenschaften statt langwieriger Einzelbewertungen. Dass die Gefahr von Bisphenol A von der EFSA so spät anerkannt wurde, zeige, dass die europäischen Behörden gefährliche Stoffe nicht verlässlich regulieren, sagt Luise Körner, Chemikalienexpertin des BUND, „sie üben das Vorsorgeprinzip nicht aus.“ Statt gefährliche Chemikalien zu verbieten, erließen die Behörden vermeintlich sichere Grenzwerte.

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12 Kommentare

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  • "Statt gefährliche Chemikalien zu verbieten..."



    Da decke ich mich doch vorsorglich mit Epoxidharz ein, solange ich das noch zu kaufen kriege. Ich brauche das manchmal, für Reparaturen. Statt wegwerfen und neu kaufen.

  • "Dennoch kämpfen Unternehmen weiter für Bisphenol A."



    Ich habe da eine Idee. Wenn die Unternehmen BPA so gerne weiter produzieren wollen, können die Manager*innen von jenen Unternehmen ja langjährige Selbststudien durchführen - unter Aufsicht natürlich. Mal schauen, ob sie dann immer noch dafür kämpfen wollten ...



    Was ist mit Kreuzreaktionen bzw. der Summe der Belastungen von mehreren Stoffen? Wird das mittlerweile getestet? Es gibt ja die These, wonach Grenzwerte von Stoffen einzeln betrachtet okay sein können, jedoch die gleichzeitige Aufnahme und Verbleib jener Stoffe im Körper hoch problematisch sein können.

  • BPA steckt auch in Epoxydharzen. Das schmiert sich so mancher sogar auf den Fußboden, schöner Sichtestrich in Betonoptik, als Versiegelung auf Natursteinböden oder gar in Reinform als Fußboden in Duschen und Bädern... sogar in Ökohotels... lecker, wenn man bedenkt, dass das über die Haut aufgenommen wird...



    PU Versiegelungen/Lacke sind auch nicht viel besser.

  • Jetzt wollen uns die Umweltverbände auch noch das Bisphenol verbieten.

    • @Manzdi:

      WQ Ich fordere Giftoffenheit...!



      Freies Siechtum für freie Bürger !

    • @Manzdi:

      Ja, schrecklich. Uns bleibt nichts erspart und dann verlieren wird auch noch beim European Song Gedöns.

      • @Perkele:

        Ja, heilige Sch$%§e! Früher war alles besser!

  • 6G
    669190 (Profil gelöscht)

    Der Industrie ist es ja auch völlig egal, wen sie vergiftet — Hauptsache die Verpackungen sind dreimal so groß wie das, was drin steckt, …und der Rubel rollt!

    Bei all den vielen tägliche Rückrufen an Lebensmitteln wird einem ehedem nur noch schlecht!



    Lebensmittelkontrolleure, eine aussterbende Spezies…?

  • "Problem: Viele publizierte wissenschaftliche Studien werden von den Behörden nicht berücksichtigt, weil sie nicht von speziell zertifizierten Laboren durchgeführt wurden. Köhrles Labor an der Charité etwa ist nicht zertifiziert. „Das ist zu teuer und zu personalaufwändig“, so der Wissenschaftler. Also fielen bei der Gefährdungs- und Risiko-Bewertung auch von BPA wichtige Erkenntnisse unter den Tisch."

    Welche spezielle Zertifizierung wird da denn verlangt? Da würde mich ein wenig Hintergrund interessieren. Er meint doch da sicher nicht die GLP?

    Ich fände das auch deshalb interessant, weil die Charité in einem Forschungsprogrammm der EU zur Entwicklung neuer Methoden zur Identifizierung endokriner Disruptoren 1Mio EUR bekommen hat - ist das dann ein anderes Labor?

    cordis.europa.eu/project/id/825161

    Ich frage deshalb, weil der Artikel für mich suggeriert, die Behörden würden sich die Studien nach Inhalt aussuchen. Könnte es nicht auch sein, dass man einfach einen Mindeststandard setzen möchte, um am Ende vergleichbare Datenqualität zu bekommen und keinen Wust sich teils widersprechender Studien?

    • @Desillusio:

      Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Auswahlkriterien einer faktenbasierten Überprüfung nicht standhalten würde und ergo den Verdacht erwecken einen BIAS in die gewünschte Richtung zu erzeugen.

      Dass Wissenschaft (bis auf die der Mathematik) niemals eine Feststellung zur unumstößlichen Wahrheit erklärt, wird von vielen als "das ist ja garicht erwiesen" gelesen.



      Und das durchaus in böser Absicht.

      Und so kommt es, dass der Eindruck entsteht, Wissenschaft wisse es auch nicht besser,

      Würde man die Randinformationen "mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 %" oder im gegenteiligen Fall "ein Zusammmenhang konnte statistisch nicht nachgewiesen werden" mal auf den Tisch bringen wäre die Aussagekraft eine ganz andere.

      • @Bolzkopf:

        eben, der "gesunde Menschenverstand" ergo Bauchgefühl oder Stammtisch, aber auch genauso die Juristerei möchte einen 100% Nachweis, dass etwas giftig ist. Genau diesen 100% Nachweis zu führen ist wissenschaftlich sehr schwer. Weil Wissenschaft so nicht funktioniert, weil wissenschaftliche Ergebnisse überwiegend konditionell sind.



        Genau diesen Widerspruch machen sich die üblichen Konsorten zu nutze und ziehen die Untersuchungen in Zweifel.



        Eine 90% Wahrscheinlichkeit ist schon in sehr starkes Signal, dass etwas wirksam ist. Wenn diese Signale in nicht-wissenschaftlichen Kreisen nicht beachtet werden (weil 90 sind ja nicht 100%), bleibt das Thema Umweltgifte uns auf ewig erhalten.

  • Wo ist das Problem?



    - Unabhängigen Gutachter vereidigen.



    - Gutachten erstellen lassen.



    - Bei Risiko oder Schädlichkeit bare Sicherheitsleistung in entsprechender Höhe festlegen und einfordern.



    - Problem gelöst