Gefährliche Chemikalie Bisphenol A: Industrie gegen neue Grenzwerte
Es wird in Verbindung mit Krebs, Unfruchtbarkeit, Diabetes und neurologischen Störungen gebracht. Dennoch kämpfen Unternehmen weiter für Bisphenol A.
Sie hatte kürzlich die Empfehlung für die tolerierbare Tagesmenge von BPA über die Nahrung um das 20.000-fache herabgesetzt – eine „spektakuläre Entscheidung“, urteilt Josef Köhrle, Seniorprofessor am Institut für Experimentelle Endokrinologie an der Berliner Charité.
Die Entscheidung der Efsa ist ein neuer Versuch der Politik, BPA einzudämmen. In Babyflaschen und Kassenzetteln verboten, steckt das Kunststoffadditiv noch immer in vielen Beschichtungen und Produkten. Im Rahmen eines europaweiten Screenings auf Schadstoffbelastungen wurde BPA praktisch in allen untersuchten Personen gefunden, teils in Mengen weit oberhalb aller Grenzwerte. BPA wird in Verbindung mit Krebs, Unfruchtbarkeit, Diabetes und neurologischen Störungen gebracht.
Schwangere, Kinder, Vorerkrankte oder Übergewichtige reagieren besonders empfindlich auf die Chemikalie. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA wollte der Efsa in ihrer Neubewertung nicht folgen. In einer gemeinsamen Stellungnahme schreiben die beiden Behörden, es sei nicht möglich gewesen, ihre Meinungsverschiedenheiten über BPA auszuräumen.
Wissenschaftliche Studien werden nicht berücksichtigt
Köhrle wundert das nicht. „Auch die Efsa hat viele Jahre gebraucht, bis sie den bekannten Forschungsstand akzeptierte und in Empfehlungen für die tolerierbare tägliche BPA-Aufnahme mit der Nahrung umsetzte“, sagt er, „das steht der EMA noch bevor“.
Problem: Viele publizierte wissenschaftliche Studien werden von den Behörden nicht berücksichtigt, weil sie nicht von speziell zertifizierten Laboren durchgeführt wurden. Köhrles Labor an der Charité etwa ist nicht zertifiziert. „Das ist zu teuer und zu personalaufwändig“, so der Wissenschaftler. Also fielen bei der Gefährdungs- und Risiko-Bewertung auch von BPA wichtige Erkenntnisse unter den Tisch.
Schützen kann sich die Bevölkerung vor der Chemikalie kaum. Am heutigen „Europäischen Hormontag“ empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie, Kosmetikprodukte ohne Phthalate zu kaufen, auf Plastikverpackungen zu verzichten und etwa auf Glas auszuweichen. Der Hinweis „BPA-frei“ sei kein Kaufargument: Das Produkt könnte die Alternativen Bisphenol S oder Bisphenol F enthalten; ihnen werden ähnliche Wirkungen wie BPA unterstellt.
Umweltverbände fordern deshalb eine Gruppenbewertung von Stoffen mit ähnlichen Eigenschaften statt langwieriger Einzelbewertungen. Dass die Gefahr von Bisphenol A von der EFSA so spät anerkannt wurde, zeige, dass die europäischen Behörden gefährliche Stoffe nicht verlässlich regulieren, sagt Luise Körner, Chemikalienexpertin des BUND, „sie üben das Vorsorgeprinzip nicht aus.“ Statt gefährliche Chemikalien zu verbieten, erließen die Behörden vermeintlich sichere Grenzwerte.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator