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Gedenkfeier in BuchenwaldGedenken nicht instrumentalisieren

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Die Absage an Boehm hat die Gedenkfeier davor gerettet, politisch instrumentalisiert zu werden und Überlebende zur Staffage werden zu lassen.

Menschen betreten das ehemalige KZ Buchenwald, um des 80. Jahrestages der Befreiung zu gedenken Foto: Karina Hessland/reuters

G edenken an die Opfer der NS-Terrorherrschaft in einem ehemaligen KZ eignet sich nicht für tagespolitische Auseinandersetzungen. In Buchenwald geht es darum, das Erinnern an die 56.000 Ermordeten wachzuhalten und vor Neonazis heute zu warnen. Zum 80. Jahrestag der Befreiung haben es sich einige Menschen, die das KZ-System überlebt hatten, nicht nehmen lassen, den Ort noch einmal zu besuchen.

Es fehlte am Sonntag in Buchenwald nicht an mahnenden Worten. Dennoch war dieser Tag gestört. Ursprünglich sollte der israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm hier eine Rede halten. Doch er blieb der Veranstaltung fern – auf Bitten des Gedenkstättenleiters Jens-Christian Wagner, der ihn zuvor selbst eingeladen hatte. Eine Rede Boehms sei „eine eklatante Beleidigung des Gedenkens an die Opfer“, hatte die israelische Botschaft in Berlin zuvor erklärt.

Wagner hat mit seiner Absage an Boehm das einzig Richtige getan. Er hat damit das Gedenken davor gerettet, politisch instrumentalisiert zu werden und Überlebende zur bloßen Staffage werden zu lassen. Wagner hat zugleich deutlich gemacht, was er von der israelischen Intervention hält: „Einem Enkel einer Holocaustüberlebenden das Wort zu versagen, das ist wirklich das Schlimmste, was ich in 25 Jahren Gedenkstättenarbeit erlebt habe“, sagte er.

Boehm sprach also nicht. Der israelische Botschafter Ron Prosor mag ob seines Sieges triumphieren. In Wahrheit ist er der Verlierer, ebenso wie der Staat Israel. Denn seine Forderung, einem Kritiker der israelischen Regierung das Wort abzudrehen, wirft ein Licht auf den Zustand der Vorstellungen von Demokratie unter der Regierung von Benjamin Netanjahu. Wer diesen Vorstellungen widerspricht, hat sich zu beugen. Aus oppositionellen jüdischen Stimmen werden Staatsfeinde kreiert. Kritische Geheimdienstchefs werden entlassen, die Justiz soll enthauptet werden.

Gedankenfreiheit zulassen

Kritiker werden an den Pranger gestellt. So geschieht es auch mit Boehm: Der versuche, „unter dem Deckmantel der Wissenschaft“ das Gedenken zu verwässern. Tatsächlich ist Boehm einer der schärfsten Kritiker der Regierenden ebenso wie der Linken in Jerusalem. Er spricht sich für die Universalität der Menschenrechte aus, jenseits von Nation oder Identität. Er lehnt eine Zweistaatenlösung ab und plädiert für ein gemeinsames Land von Juden und Palästinensern.

Diese Idee ist in beiden Völkern chancenlos. Sie hat absolut nichts mit dem eliminatorischen Antisemitismus der Hamas gemein. Man muss diese Idee von einer Überwindung des Zionismus nicht teilen. Aber doch Gedankenfreiheit zulassen.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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7 Kommentare

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  • Natürlich hat ein Eintreten für eine Einstaatenlösung etwas mit dem eliminatorischen Antisemitismus der Hamas gemein.



    Eine Einstaatenlösung bedeutet automatisch eine muslimische Bevölkerungsmehrheit und damit das Ende des jüdischen Staates. Da alle Staaten mit muslimischer Mehrhit in den vergangegen Jahrzehnten ihre jüdischen Minderheiten ausgerottet oder vertrieben haben, gehört jetzt nicht viel Phantasie dazu wie das in der Realität in Palästina ablaufen würde. Das Letzte was irgendwie erstrebenswert sein sollte für freiheitsliebende Demokraten ist eine Existenz als Dhimmi.

  • Danke für diesen Artikel. Wenn ein anerkannter Philosoph wie Omri Boehm als "Israelkritiker" und "pro-palästinensisch" denunziert wird, wie auch in den Leserkommentaren zu dieser Causa hier in der taz geschehen, dann hat die israelische Regierung ihr Ziel erreicht. Das kann nicht unwidersprochen bleiben.



    Dass Herr Wagner die Rede abgesagt beziehungsweise verschoben hat, um die betagten Zeitzeugen zu schützen ist anständig von ihm. Derartiger Anstand ist von der israelischen Regierung und leider auch nicht zu erwarten.

    Was sagt eigentlich der Zentralrat der Juden dazu? Ich konnte auf seiner Webseite nichts finden, genauso wenig wie zum Gedenktag selbst. Dröhnendes Schweigen nennt man das wohl.

    Die Jüdische Allgemeine weiß aber schon am 5.4., was der Inhalt von Boehms Rede gewesen wäre und schreibt in einem Meinungsbeitrag des Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen:

    "Boehm hätte beim Gedenken nicht das Hauptanliegen unserer Opfer und Überlebenden von Buchenwald in den Mittelpunkt gerückt"

    Das nennt man dann wohl Vorverurteilung.

  • Boehms Rede hätte an einem anderen Ort und zu einem späteren Zeitpunkt gehalten werden können – mit entsprechender Ankündigung. So hätten alle die Möglichkeit gehabt, seine Worte zu hören. Gleichzeitig wäre die Verbindung zum Gedenken gewahrt geblieben, ohne die Trauerfeier selbst für politische Zwecke zu nutzen.

    • @llorenzo:

      Wer hier das Gedenken politisch instrumentalisiert ist nicht Omri Boehm, sondern die israelische Regierung in Person von Ron Prosor.

    • @llorenzo:

      Die Rede ist ja auch verschoben worden. Damit wird aber gerade nur ein Mindestmaß an Anstand gewahrt. Und zu suggerieren, dass mit Omri Böhm als Redner die "Verbindung zum Gedenken" nicht hätte gewahrt werden können, ist absurd. Es gibt fast keine ausgleichenderen Stimmen als solche. Selbst wenn bei O.B. irgendwelche extremen Meinungen vorhanden wären, es gibt einfach gar keinen Anlass zu glauben, dass er ein solches Podium missbrauchen würde. Da kann es gar keine Diskussion geben. Zumal er nicht eingeladen wurde um dort den Nahostkonflikt zu diskutieren, sondern als renommierter Forscher und Nachfahre der Überlebendengeneration. Wenn Leuten wie Omri Böhm, die jahrelang versuchen -universelle- Werte zu diskutieren, der Mund (auch noch) mit einer solchen Maßgabe verboten werden kann, dann kann das jedem passieren.

  • Gibt es bessere Orte über die Geschichte des Holocausts und darüber, welche Konsequenzen wir für heute und die Zukunft daraus ziehen, zu diskutieren als Auschwitz, Buchenwald, Bergen Belsen, Dachau usw.? Gedenkfeiern, die sich in Ritualen der Betroffenheit und floskelhaften Bekenntnissen erschöpfen, können Überlebenden, Nachfahren, Familien und Freunden einen Moment Trost und Anerkennung spenden, danach oder in einem Begleitprogramm sollte aber immer auch über das aktuelle Verständnis der Geschichte und die Schlussfolgerungen für unser weiteres Handeln auch kontrovers diskutiert werden. Es geht darum, die Differenz zwischen „Sonntagsreden und Alltagshandeln“ (Max Weber) immer wieder aufzulösen, sonst ersticken wir in Hypokrisie.

  • Hier zeigt sich eigentlich nur, dass die Israelische Regierung ihre Deutungshoheit und Macht, die Shoah politisch zu instrumentalisieren, wirksam gegen Andersdenkende verteidigt. Ich frage mich schon, wie man so naiv mit einem des Genozids verdächtigten Regime umgehen kann.