Gedenken an Sophie Jansen: Eine ausgelöschte Frau
Sophie Jansen war Hamburgs erste Armenpflegerin, Aussteigerin und Bestsellerautorin – bis sie sich das Leben nahm, um den Nazis zu entgehen.
Während Sophie Jansen das Gas in der Küche aufdreht, ist ihre Tochter Eva auf dem Weg zur Polizei, um Auskunft über eine Transportunfähigkeitsbescheinigung für ihre 80-jährige Mutter einzuholen. Zwei Tage vorher war sie bei der Gestapo gewesen und hatte gebeten, ihr „eine Ortsveränderung zu ersparen“ und auf ihr Alter, aber auch auf ihre fast lebenslange Hilfe für Bedürftige verwiesen. Sophie Jansen glaubte – zurecht – nicht daran, dass die Nazis sie verschonen würden.
In ihrem Abschiedsbrief schreibt sie: „Meine geliebte Eva, sei nicht böse, wenn ich Dich nun doch plötzlich verlassen habe.“ Und weiter: „Ich kann aber das Hin- und Herzerren nicht mehr ertragen. Hoffentlich geben sich nun meine Verfolger zufrieden, wenn ich nun das bescheidene Plätzchen, das ich mir noch auf der Welt vorbehalten habe, endgültig räume.“ Ihre Tochter wird den Brief nie erhalten. Die Polizei beschlagnahmt ihn. Schließlich gelangt er ins Hamburger Staatsarchiv, wo er bis 1997 ungelesen liegen wird.
Friedemann Hellwig ist Vorsitzender des Vereins zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese und wird am 16. Juli in einer Gedenkfeier mit den Teilnehmern, so wie es jedes Jahr geschieht, die Namen der 70 deportierten Jüdinnen und Juden vor dem Haus verlesen, aus dem sie verschleppt wurden. Er hat alles gelesen, was über und von Sophie Jansen zu finden ist. Die Bücher, die sie selbst schrieb, die Biographie, die ihre Urenkelin Sabine Boehlich verfasst hat. Boehlich hat 2003 den Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese mit Gleichgesinnten gegründet. Sie war selbst Blankeneserin.
Zorn auf den Pastor
Hellwig war mit ihr befreundet und erinnert sich an ihren Zorn auf den Blankeneser Pastor, der Sophie Jansen, die zum Christentum konvertiert war, nicht begraben wollte. Das tat stattdessen der für nicht-arische Christen zuständige, selbst konvertierte Pastor Walter Auerbach. Dessen Hilfe, so beschreibt es der Historiker Bernd Liesching, bestand oft nur noch darin, „dass er jenen, die sich in ihrer Verzweiflung das Leben genommen hatten, ein würdiges Begräbnis gab“.
Hellwig ist Professor für die Restaurierung und Konservierung von Kunst- und Kulturgut aus Holz, so heißt es offiziell, und darüber ist er auch zum Konservator des NS-Terrors geworden. Auf einer Tagung hat er einen polnischen Kollegen kennengelernt, der ihn später fragte, ob er helfen könne bei der Konservierung von Gegenständen, die im ehemaligen KZ Auschwitz aufbewahrt werden. „Es lässt mich nicht mehr los“, sagt Hellwig und dass er stolz sei auf die Studierenden, die ihn begleiten, auch und gerade auf den, den der Aufenthalt so mitnahm, dass er ins Krankenhaus musste.
Nach Sophie Jansen ist in Hamburg eine Straße benannt, merkwürdigerweise weit entfernt von allen Orten, an denen sie gelebt hat. Ansonsten sind ihre Spuren so weitgehend gelöscht, wie es die Nazis wünschten. Dabei war sie Autorin, Hamburgs erste weibliche Armenpflegerin und eine frühe Aussteigerin. Über diesen Versuch schrieb sie ein Buch namens „Sophiensruh. Wie ich mir das Landleben dachte und wie ich es fand“, das mit lakonischem Humor zum Bestseller wurde.
Jansen stammte aus einer jüdischen Spediteursfamilie, wuchs in Hamburg, Breslau und Dresden auf und heiratete den Anwalt Caesar Max Josephson, dessen Familie zum Reformjudentum gehörte. Sie ließen sich in Hamburg nieder, konvertierten zum Christentum, 1907 ließen sie ihren Nachnamen in Jansen ändern. Das Paar bekam sieben Kinder, von denen sechs überlebten.
Ironischer Blick auf den Ehemann
Sophie Jansen muss eine Frau mit sehr viel Energie gewesen sein, die jenseits ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter noch freie Kapazitäten hatte. 1892 überzeugt sie ihren Mann, Hamburg zu verlassen um im schleswig-holsteinischen Grande einen Gutshof zu übernehmen – obwohl beide Autodidakten sind.
Jansen hat für die damalige Zeit einen ungewöhnlich selbstbewusst-ironischen Blick auf ihren Ehemann, den sie in ihrem Buch „die Hälfte“ nennt und vorstellt als gleichfalls „moderne Seele, die sich häufig nach Veränderung sehnt und an dem Wahne krankt, dort, wo sie nicht sei, da sei das Glück“. Ihre Tochter Eva wird sich später daran erinnern, dass ihr Bruder beim Spielen fragte, ob er als Papa auch etwas bestimmen dürfe.
Die Idee zum Landleben geht folglich von Sophie Jansen aus, die im 1905 erschienen „Sophiesruh“ schreibt: „Wie überdrüssig war ich des gesellschaftlichen Treibens, der schönen Villa am Wasser mit all ihren Bequemlichkeiten. Überdrüssig auch der schönen Salons mit den Parkettböden und den eleganten Möbeln und Teppichen, die von den Dienstboten in einer ausgeklügelten Runde von 14 Jahren geschrubbt, gebohnert und geklopft werden mußten. Wie widerwärtig war mir dieser ganze Komfort“.
Doch das Landleben scheitert letztlich an einer fatalen Reihe von Krankheiten, die die Milchkühe befallen. Daneben nehmen die Schilderungen über die Auseinandersetzungen mit den Landarbeitern und Hausmädchen weiten Raum ein. Das trägt Jansen Kritik von sozialdemokratischer Seite ein, die sie nicht hinnimmt. Sie antwortet, der Kritiker habe anscheinend „nie und nirgend einen jener arbeitsscheuen und verlotterten Knechte angetroffen, mit denen wir so reich gesegnet waren“.
Gedenken an die jüdischen NS-Opfer aus Blankenese: 16. 7., 10 Uhr, Gottesdienst, Blankeneser Kirche am Markt und 12 Uhr, Mahnmal Grotiusweg 36.
Dennoch bleibt Sophie Jansen ihr Leben lang mit der Hilfe für Arme beschäftigt – über die sie durchaus selbstkritisch nachdenkt. Sie nimmt während der Choleraepidemie ein Waisenkind aus der Arbeiterschaft auf, das nie wirklich Fuß fasst in der Familie.
In ihrem Roman „Friede Wend“ schreibt Jansen über eine Mutter, die das gleiche tut: „Wie bei allen großen Katastrophen streckten sich tausend Hände den Unglücklichen helfend entgegen, weit, weit über Bedarf, während nach wie vor unzählige arme vernachlässigte, elende Kindlein, die keine große, sondern nur eine schmerzliche alltägliche Geschichte erlebt hatten, hilflos im Schatten weiterschmachteten.“
Als autobiografisch wird auch ihr letztes Werk gelesen, „Bebi und Bubi“, ein reich illustriertes Kinderbuch. Es erscheint 1909 – und schildert das Aufwachsen in einer Großfamilie; im Fokus stehen Erfahrungen ihrer zwei jüngsten Kinder.
Drohungen des Untermieters
Danach stellt Jansen ihr literarisches Schaffen ein, laut Hannes Heers biografischer Notiz weil sie entdeckt hat, anderswo nötiger gebraucht zu werden: Sie engagiert sich im Allgemeinen Deutschen Frauenverein, und wird 1908 als erste Frau amtlich zur Armenpflegerin bestallt: Über diese Arbeit, die sie bis 1912 ausübt, ist nichts weiter überliefert.
Als Vorsitzende des Verbands Norddeutscher Frauenvereine betreibt sie ab 1915 eine Beratungsstelle für Säuglingspflege. Ein Jahr später stirbt ihr Mann. Nach der Machtergreifung der Nazis muss sie ihr Haus an den Untermieter verkaufen, der drohend schreibt: wenn es nicht an ihn ginge, „sonst an SS-Mann oder Ähnliches“.
Von ihren sechs Kindern emigrieren drei, zwei werden nach Theresienstadt deportiert, der Sohn Hans stirbt wenige Tage nach der Befreiung. Die Tochter Eva bleibt verschont und lebt bis zu ihrem Tod 1990 in Haus Nummer 56, neben dem Haus, in dem ihre Mutter starb.
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