Gedenken an Solingen-Morde: German Angst
Mevlüde Genç hat gelehrt, dass Hass als Reaktion auf Hass keine Lösung ist. Im politischen Alltag findet sich aber weiter das Spiel mit Stereotypen.
D iese Woche gedachten geschichtsbewusste Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik der fünf Menschen, die vor 30 Jahren rechtsradikalen Anschlägen zum Opfer fielen: Hülya Genç, Saime Genç, Hatice Genç, Gürsün İnce und Gülüstan Öztürk. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte die Ereignisse „Terror“. Und: „Dieser rechte Terror ist verantwortlich für die Toten in Solingen.“
Wichtiger als die Worte aller Präsidenten in dieser Sache waren für mich immer die Worte von Mevlüde Genç, hinterbliebene Mutter dreier Kinder, die nicht einmal Zeit zu trauern hatte: „In der Nacht habe ich geweint. Aber am Tag habe ich meinen überlebenden Kindern ins Gesicht lächeln müssen, um dafür zu sorgen, dass der Hass nicht Eingang findet in ihre Herzen.“
Bis heute halte ich bei diesem Satz die Luft an. Wichtiger als ihre Wut und ihre Trauer war es, dass ihre Kinder nicht von demselben Hass erfüllt werden wie die Mörder ihrer toten Kinder. Versöhnung war ihre lebenslange Botschaft: „Seid vernünftig. Weder Geschrei noch Bösartigkeit haben einen Sinn. […] Nur wenn sich alle gut verstehen und mit Toleranz begegnen, kann der Mensch ein glückliches Leben leben.“ Mevlüde Genc lebte „when they go low, we go high“ – lange vor Michelle Obama. Auch die Familie von George Floyd forderte von den Menschen, die sich gegen Rassismus einsetzen, für ihre Community zu arbeiten, statt diese mit ihrer – wenngleich gerechten – Wut zu zersetzen.
Die Hinterbliebenen und ihr Anspruch an uns Mithinterbliebene im gesellschaftlichen Sinn sollten unser Kompass sein: Menschenrechte einfordern, Behörden zur Aufklärung verpflichten, wo sie Menschen wie Menschen zweiter Klasse behandeln, aber den Hass nicht einsickern lassen in den Körper, das Geschrei in sich drosseln, bis man sein Anliegen so vorbringen kann, dass man einander hört. Mevlüde Gençs Wunsch, ihre Kinder vor dem Hass in sich zu schützen, war auch der Wunsch, dass die deutsche Gesellschaft sich nicht in ihrem Hass verlieren möge. Weder jene, die gute Gründe hätten zu hassen, noch jene, die sich für ihre Menschenfeindlichkeit die schlechten Gründe selbst liefern.
Nach solchen Gedenkfeiern die Frage: Was haben wir wirklich gelernt? Verdammt sich die deutsche Gesellschaft selbst dazu, mit diesem ewigen Hass umgehen zu müssen? Seit einigen Jahren wird der Kampf auch in deutschen Parlamenten gekämpft, nichts von dem Erinnern hat uns immunisiert. Es diskutieren gerade wieder viele – oder besser schreien und streiten –, wie sich die hohen Umfragewerte der AfD eher erklären lassen (aus sich selbst heraus scheint das wohl für die meisten nicht begründbar zu sein).
Die einen sehen in der CDU/CSU und ihrem postmerkelschen Spiel mit dem rechten Rand den Dammbruch: Hier normalisiert eine Partei der Mitte den Tabubruch als Taktik: etwa wenn Friedrich Merz bei ukrainischen Kriegsflüchtlingen von „Sozialtourismus“ spricht und erst nach öffentlicher Empörung zurückrudert. Die Silvesterkrawalle in Berlin und eine unsägliche Berliner Wahlkampfdebatte im Anschluss, die geprägt war von rassistischen Klischees, die ihren Teil dazu beitrug, Kai Wegner von der CDU das Bürgermeisteramt zu sichern.
In Deutschland lassen sich mit rassistischen Parolen immer noch ein paar Prozentpunkte mehr holen, zumal in schwierigen Zeiten. Die CDU/CSU muss es schaffen, das Konservative in der Mitte zu halten, sie muss den Rand nach rechts schließen, eindeutige Botschaften senden, wo demokratischer Boden verlassen wird und Menschenfeindlichkeit beginnt. Das musste Markus Söder in Bayern schmerzhaft lernen; es wäre dumm, wenn Merz in diesem Fall nichts vom Bayernkönig Söder lernt. Söders Kampagne, mit der er damals sowohl Merkel als auch die humanitären Helfer der Asylsuchenden angriff, zahlte sich nur für den rechten Rand aus, nicht für ihn.
Auch die Grünen tragen ihren Teil bei, weil sie als selbsterklärte Klima- und Zukunftspartei die German Angst nicht mitdenkt. Große Teile der Deutschen haben Angst, zu kurz zu kommen. Manchmal wirkt das lächerlich, in manchen Bereichen jedoch lässt sich die Prekarisierung bis in die Mitte der Gesellschaft belegen.
Autoritärer Kapitalismus
Doch es ist momentan nicht nur die German Angst; auch in Spanien verlor die sozialistische Partei bei den Kommunalwahlen, sodass der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez nun Neuwahlen ansetzt. Linke machen oft den Fehler, in Zeiten der Macht auf eine Art durchzuregieren, dass sie schneller abgewählt werden, als sie Wandel bringen können. In Spanien wartet Isabel Diaz Ayuso von der Konservativen Volkspartei auf ihre Chance, manche nennen sie den spanischen Trump.
In Deutschland stehen wir in solchen schwierigen Zeiten stets vor der Gefahr, dass sich politische Kräfte formieren, die Wähler mit geschlossenem rechtsextremem Weltbild mobilisieren, die von dem Soziologen Wilhelm Heitmeyer immerhin auf 15 Prozent der Bevölkerung beziffert werden. Heitmeyer beschreibt den „autoritären Kapitalismus“, der sich – stark verkürzt – der Menschen bedient und kaum Sicherheit für sie herstellt. Wenn historisch gewachsene Parteien Vertrauen nicht mehr herzustellen vermögen, braucht es wohl neue Parteien, braucht es Ausgrenzung, damit es zumindest uns wieder gutgeht, schließen daraus viele Bürgerinnen und Bürger.
Natürlich kann man jetzt auf diese Leute einprügeln und sie auslachen, bis sie nach Trotzwahlen noch bedrohlicher werden. Oder man nimmt den Auftrag von Frau Genç ernst, dass wir uns gegen den Hass einsetzen müssen, gegen Rassismus, aber auch versuchen sollten, jenseits von Geschrei, Wut und Bösartigkeit für ein Land zu kämpfen, in dem unterschiedliche Menschen auf unterschiedliche Arten glücklich sein können. Durch Anschreien, Fingerzeigen und Besserwissen gelingt das eher nicht.
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