Gedenken an Lorenz A.: Hetze gegen Polizeiopfer
In Oldenburg wird es keinen „Lorenz-Platz“ geben: Dessen Familie will sich nicht mehr rassistischen und menschenverachtenden Anfeindungen aussetzen.
„Wir wollen, dass mit dem Platz ein Denkmal für Lorenz geschaffen wird“, schrieb die Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ noch am Dienstag. Ihr Vorschlag: „Lorenz-Platz“. Neben Zuspruch gab es in Reaktion auf den Vorschlag viele Hassnachrichten – zu viele.
Am Donnerstag gab die Initiative bekannt, dass sie den Vorschlag zurückzieht: „Im Namen von Lorenz’ Mutter möchten wir mitteilen, dass sie nicht wünscht, den Namen ‚Lorenz-Platz‘ vorzuschlagen. Der öffentliche Druck durch Hasskommentare und abwertende Reaktionen seit der Bekanntgabe der ‚Mitmachaktion‘ ist für sie und die Familie in ihrer Trauer und ihrem schweren Verlust nicht auszuhalten.“ Die Mutter sei für den Vorschlag dankbar: „Gleichzeitig sind die wiederholten Zurückweisungen und abwertenden Worte über Lorenz für die Angehörigen sehr schmerzhaft.“
Die Familie hat seit Lorenz A.s Tod mit rassistischen und menschenverachtenden Anfeindungen zu kämpfen: Die örtliche Nordwest-Zeitung (NWZ) sperrt bei Beiträgen zu Lorenz A. in den sozialen Medien mittlerweile grundsätzlich die Kommentare. Es werde „immer wieder offen zu Straftaten und Gewalt aufgerufen“, die Menge an Hasskommentaren sei „kaum mehr zu moderieren“, erklärt die NWZ auf ihrer Homepage.
Hassnachrichten hätten „Überhand genommen“
Hinzu: Im Mai kaperte ein Unbekannter den Stream einer Podiumsdiskussion, die vor dem Hintergrund von Lorenz A.s Erschießung institutionellen Rassismus in Polizei und Justiz behandelte. Er spielte wiederholt das N-Wort, rassistische Audiobotschaften und pornografische Inhalte ab.
Suraj Mailitafi ist Sprecher der Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ und war Teil der Podiumsdiskussion. Hass und Hetze begleite die Initiative seit ihrem Bestehen: „Das ist krass, wie viele Hassnachrichten, Relativierungen und Anfeindungen gegen Lorenz es in den sozialen Medien gibt.“
Noch immer kursiere auch die Falschmeldung, dass Lorenz die Polizisten mit einem Messer angegriffen hätte. Damit werde die Tötung gerechtfertigt, erzählt Mailitafi. „Viele sehen in Lorenz den Täter, nicht das Opfer, das von der Polizei erschossen wurde. Das ist eine Relativierung, die wir nicht hinnehmen können.“ Tatsächlich hat Lorenz das Messer laut Staatsanwaltschaft nie gegen die Polizisten eingesetzt.
Auch Mailitafi persönlich werde immer wieder angegriffen. Das rechte Portal „Nius“ hatte ihn schon Ende April in einem Artikel zur Zielscheibe gemacht. „Man versucht sich das nicht anzuschauen“, sagt Mailitafi. Er habe die Kommentare bei vielen seiner Online-Beiträge deaktiviert, weil die Hassnachrichten Überhand genommen hätten.
Polizei übersieht Hassnachrichten
Wegen der vielen Drohungen habe sich sein Sicherheitsgefühl in den vergangenen Monaten geändert: „Ich bin jetzt sehr vorsichtig. Wenn ich ausgehe, versuche ich nicht alleine unterwegs zu sein.“ Trotzdem hat er noch in keinem Fall Anzeige erstattet: „Ich fühle mich in dem Kontext von Lorenz nicht wohl, zur Polizei zu gehen.“
Der Oldenburger Polizeipräsident Andreas Sagehorn hatte wenige Tage nach Lorenz A.s Erschießung angekündigt, strafbare Äußerungen in den sozialen Medien genau zu beobachten. „Im Zusammenhang mit dem genannten Fall ist die Polizeidirektion Oldenburg im Zuge der Auswertung von Inhalten in den sozialen Medien in 49 Fällen tätig geworden“, erklärte die Behörde auf Anfrage der taz.
Davon habe die Staatsanwaltschaft 28 als strafbar eingestuft. Gerade einmal sieben davon seien „strafrechtlich relevante Hetze gegen Lorenz A. bzw. seine Familie und / oder rassistische Kommentare“. Die Mehrheit richte sich gegen Polizeibeamte. „Das hört sich für mich nicht umfassend an“, bewertet Mailitafi die Zahlen. Ein Großteil der Kommentare unter seien Videos hätten sich gegen Lorenz oder die Initiative gerichtet. „Wenn die Polizei darauf auch geschaut hat, können die Zahlen nicht stimmen. Die Daten sind nur so gut, wie man recherchiert hat.“
Recherchen der taz bestätigen diesen Verdacht. Allein durch eine einfache Stichwortsuche auf der Plattform „X“, ehemals Twitter, sind im Bruchteil einer Sekunde Dutzende Beiträge auffindbar, in denen Lorenz A. mit dem N-Wort diffamiert wird. Die Polizei hat diese Beiträge wohl übersehen.
Trotz der massiven Anfeindungen arbeitet die Initiative weiter, betont Mailitafi: „Wir lassen uns davon nicht einschüchtern.“
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