Gedenken Brandanschlag von Solingen: Warum Erdoğans Minister reden darf
Der türkische Außenminister Çavuşoğlu spricht nicht nur in Solingen, sondern auch in Düsseldorf. Anders die Kanzlerin: Sie fährt nicht zum Tatort.
Türkische Oppositionelle bezeichnen Çavuşoğlu als Nationalisten. Sprechen wird er auf gleich zwei Veranstaltungen: zunächst auf Einladung von CDU-Ministerpräsident Armin Laschet in der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, wo auch Kanzlerin Angela Merkel erwartet wird – und am Nachmittag dann in Solingen selbst.
Kritiker fürchten, dass die türkische Regierungspartei AKP den Auftritt ihres Ministers für Wahlkampfpropaganda ausschlachten könnte – schließlich könnte am 24. Juni der Umbau der Türkei in ein autoritäres Präsidialsystem, das Erdoğan eine ungekannte Machtfülle sichern soll, abgeschlossen werden.
Allerdings steht der Präsident wegen des seit Monaten anhaltenden massiven Wertverlusts der türkischen Lira unter Druck: Obwohl Oppositionelle etwa im Fernsehen nicht auftauchen und der Vorsitzende der kurdisch-linken HDP, Selahattin Demirtaş, wegen „Terrorpropaganda“ im Gefängnis sitzt, wird ein zweiter Wahlgang immer wahrscheinlicher.
Aus Laschets nordrhein-westfälischer Staatskanzlei heißt es, die Einladung von Außenminister Çavuşoğlu sei „auf ganz ausdrücklichen Wunsch der Familie Genç“ erfolgt – bei dem Neonazi-Anschlag auf das Solinger Haus von Durmus und Mevlüde Genç starben am frühen Morgen des 29. Mai 1993 zwei ihrer Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte. 14 weitere Familienmitglieder wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Täter waren Rechtsextreme.
„Das Boot ist voll“
Anfang der neunziger Jahre hatten CDU und CSU eine jahrelange Kampagne zur Verschärfung des Asylrechts gefahren, Bild machte mit der Parole „Das Boot ist voll“ Stimmung gegen MigrantInnen. Was folgte, waren pogromartige Attacken auf MigrantInnen in mehreren Städten. Mevlüde Genç, Mutter und Großmutter der Toten, rief trotzdem schon kurz nach dem Brandanschlag zur Versöhnung auf.
Armin Laschet
„Mevlüde Genç ist die beeindruckendste Frau, die ich je kennengelernt habe“, sagt deshalb der Christdemokrat Laschet. Den türkischen Außenminister Çavuşoğlu wollte der Ministerpräsident ursprünglich sogar im Düsseldorfer Landtag reden lassen. „Unerhört“ sei diese Idee Laschets gewesen, findet die grüne Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz, die die HDP 2015 mit einem Wahlaufruf unterstützt hat.
„Es wäre ein fatales Zeichen, ausgerechnet im Hohen Haus der Demokratie in NRW einem Vertreter des autoritären Erdoğan-Regimes eine Bühne zu bieten – auch mit Blick auf die bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei wäre das inakzeptabel“, sagt sie. Auch SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty warnte, der Landtag könne „für einen Wahlkampfauftritt missbraucht“ werden.
Sozialdemokraten und Grüne stellten sich deshalb quer und drohten, einen Landtagsauftritt Çavuşoğlus zu boykottieren. Eine Rede des Ministers vor halbleerem Parlament aber wollte Laschet offenbar nicht riskieren – und lud deshalb in seine Staatskanzlei. Läuft alles planmäßig, wird Erdoğans Minister dort am Mittag gemeinsam mit dem NRW-Ministerpräsidenten Kanzlerin Merkel begrüßen dürfen.
Maas und Stamp statt Merkel und Laschet
Am Nachmittag fährt er dann nach Solingen, wo er gegen 16 Uhr reden soll – im Gegensatz zu Merkel und Laschet, die in Düsseldorf zurückbleiben. „Es wäre anständig, an diesem Tag zumindest einmal in Solingen gewesen zu sein“, kritisiert der stellvertretende Landessprecher der Linkspartei, Jasper Prigge.
Doch statt Merkel und Laschet werden am Ort des Brandanschlags SPD-Bundesaußenminister Heiko Maas und Nordrhein-Westfalens Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp von der FDP erleben, ob Çavuşoğlu das Gedenken für Wahlkampfzwecke missbraucht – in Deutschland leben 1,4 Millionen wahlberechtigte türkeistämmige MigrantInnen.
Sozialdemokrat Maas jedenfalls hat seinen Amtskollegen schon vor einem Monat gewarnt: „Ich gehe davon aus“, sagte er Ende April nach einem Treffen mit Çavuşoğlu, „dass auch in der Türkei niemand ein Interesse daran hat, die Beziehungen zu Deutschland noch einmal zu verkomplizieren“.
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