Gebärmutterhalskrebs in Japan: Impfskeptiker bestimmen den Diskurs
Impfgegner haben erreicht, dass die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs kaum in Anspruch genommen wird. Eine Journalistin hält dagegen.
Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Vereinten Nationen ist die wachsende Impfmüdigkeit, vor allem in den Industriestaaten, keine Privatangelegenheit mehr, sondern hat die Dimension einer „globale Gesundheitsbedrohung“ angenommen. So sollten die Masern eigentlich durch die vorsorgende Impfung im Kindesalter bis zum Jahr 2020 weltweit ausgerottet sein. Bei den Pocken war das auch gelungen. Tatsächlich hat sich aber die Zahl der Masern-Infektionen in den letzten Jahren um 30 Prozent erhöht.
Auch in Deutschland stieg die Zahl der Masernfälle von 325 im Jahr 2016 auf 929 im Jahr 2017 an. Um die Ansteckungsgefahr zu bannen, müssten 95 Prozent der Bevölkerung immunisiert sein. Derzeit liegt die Impfquote bei Schulanfängern nach Erhebungen des Robert Koch-Instituts jedoch nur bei 92,9 Prozent. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bezeichnete es als „verantwortungslos, Kinder nicht gegen Masern impfen zu lassen oder eigene Impflücken hinzunehmen“.
Wie schnell sich Impf-Ängste in der Bevölkerung verbreiten können und wie schwierig es ist, mit rationalen Argumenten dagegen anzugehen, hat die japanische Medizinjournalistin Riko Muranaka erfahren, die darüber kürzlich vor der Wissenschaftspressekonferenz (WPK) in Berlin berichtete. Eine „Mischung aus Fake News und Fake Science“ führte in dem fernöstlichen Land dazu, dass dort Impfskeptiker den öffentlichen Diskurs über den Nutzen der Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV) dominieren.
Belege aus der Fake-Science?
Der Virus löst Gebärmutterhalskrebs aus, woran allein in Deutschland jedes Jahr etwa 4.600 Frauen erkranken. Der Heidelberger Krebsforscher Harald zu Hausen entdeckte die Kausalität und entwickelte die HPV-Schutzimpfung, wofür er 2008 mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet wurde. Die Impfung gilt nach Aussagen des RKI als „sehr sicher, weltweit wurden bereits mehr als 270 Millionen HPV-Impfungen verabreicht, ohne dass wesentliche Impfkomplikationen aufgetreten sind“.
In Japan schien das plötzlich anders zu sein. Kurz nachdem die dortige Regierung 2013 die HPV-Impfung kostenlos und flächendeckend eingeführt hatte, tauchten im Internet Videoclips auf, die Kinder mit Gehstörungen und Verrenkungen auf dem Boden zeigten, die angeblich Nebenwirkung der Impfung sein sollten. Eine Regierungskommission stellte zwar noch in gleichen Jahr fest, dass die Symptome mit hoher Wahrscheinlichkeit auf psychosomatische Ursachen und nicht auf das Serum zurückzuführen sein. Doch der Schaden war bereits entstanden: Die HPV-Impfraten, die in Japan mit rund 70 Prozent überdurchschnittlich hoch waren, stürzten auf unter ein Prozent ab.
Flankiert wurden die „Fake News“ durch vermeintlich Belege aus der „Fake Science“. 2015 wurde von dem Forscher Dr. Shuichi Ideda von der Shinshu-Universität eine Studie veröffentlicht, wonach der Impfstoff im Maus-Experiment krankhafte Veränderungen im Gehirn verursacht hätte.
Riko Muranaka, Medizinjournalistin
Als sich die Journalistin Muranaka näher mit dem Versuchsaufbau beschäftigte, stellte sich eine Reihe von fragwürdigen Verfahrensschritten fest. „So war die Impfstoffdosis, die den Mäusen verabreicht wurde – im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht –, hundertmal so hoch wie die normale Dosis bei Menschen“, stellte sie fest.„Ich bezeichnete die Präsentation von Dr. Ikeda als eine Fälschung.“ Für ihre Recherche wurde die Journalistin zwar später mit dem John Maddox Prize des renommierten Wissenschaftsjournals Nature ausgezeichnet. Doch nach einem ersten Artikel 2015 nahmen japanische Medien keine Bericht mehr von ihr an.
Klage gegen Kritikerin
Schlimmer noch: Der betroffene Wissenschaftler klagte gegen die Autorin. Das Rechtsverfahren dauert bis heute an. Die nächste Verhandlung steht für den 26. März an. „Ich hoffe, dass der Richter auf Grundlage der wissenschaftlichen Wahrheit entscheidet und nicht auf Grundlage der Versuche des Klägers, der offenbar die Wissenschaft zum Schweigen bringen will“, sagt Riko Muranaka in einem Gastartikel für den von Medizinjournalisten kürzlich gegründeten Fachinformationdienst MedWatch.
Japan ist ein gravierender Fall, wie Impfgegner die Meinungshoheit gewinnen können, aber keineswegs ein Einzelfall. In der WPK-Veranstaltung berichtete die japanische Journalistin von ähnlich gelagerten Entwicklungen in Dänemark, Großbritannien und Irland. In Irland sank die HPV-Impfrate nach Medienberichten im Tenor der Skeptiker von 90 auf 55 Prozent. „Diese Entwicklungen sind auch in Deutschland möglich“, ist die Auffassung von Muranaka, die inzwischen in Deutschland lebt.
Ende 2018 sah sie hier in der ARD die Enthüllungsreportage „Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs: Werden Risiken systematisch verschwiegen?“ Das Argumentationsmuster kennt sie aus ihrer Heimat: „Die Impfzurückhaltung ist am Anfang nicht offensichtlich“, so Riko Muranaka. „Aber es ist normalerweise zu spät, erst dann zu reagieren, wenn man merkt, dass sie bereits da ist.“
Mit dem Problem der Impfmüdigkeit beschäftigte sich kürzlich auch der Deutsche Ethikrat. In einer Anhörung äußerten sich Sachverständige aus den Bereichen Virologie, Epidemiologie und Politikwissenschaft, ob in Deutschland eine Impfpflicht eingeführt werden solle. „Wir brauchen ein Impfregister als Forschungsressource und als Möglichkeit zur gezielten Kommunikation“, gab Wolfram Henn, Leiter der Arbeitsgruppe „Impfen als Pflicht?“ des Ethikrates, die Empfehlungen wieder.
Bei „pauschalen Zwangsmaßnahmen in die Allgemeinbevölkerung hinein“ sei jedoch Zurückhaltung geboten. Zunächst solle die Ärzteschaft umfassender über den Nutzung der Impfung informieren. Dies betreffe laut Ole Wichmann, Leiter des Fachgebiets Impfprävention am Robert Koch-Institut, „die Gruppen mit besonderem Handlungsbedarf“. Dies seien neben den Jugendlichen auch jene Bevölkerungsgruppen „mit potenzieller Unterversorgung, wie zum Beispiel im Ausland geborene Menschen“. Die Impfakzeptanz hänge, bekräftigte Wichmann, „besonders von der Beratung durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ab“. Auch das Impfen in Schulen oder im Betrieb könne zur Steigerung der Impfquoten beitragen.
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