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Gaza-TagebuchWasser aus Pfützen, Trump und der Tod

Unser Autor ist zurück in seinem Zuhause im Norden des Gazastreifens. Es gibt kaum Wasser, keinen Strom und alle fragen sich: Wie wird es weitergehen?

Dschabalija, Nordgaza, 3. Februar: Menschen versuchen, Trinkwasser zu organisieren Foto: Omar Ashtawy/APAimages/imago

W ir sind in unsere Häuser zurückgekehrt – nach anderthalb Jahren der Vertreibung. Aber wir alle haben unzählige Sorgen mitgebracht und Szenen, die wir nicht vergessen können, Szenen, die uns wohl ein Leben lang in Erinnerung bleiben werden. Jedes Haus hat mindestens einen Märtyrer verloren, und es gibt keinen einzigen Haushalt, in dem es keine Kriegsverletzten gibt. Die Familien sind zurückgekehrt, aber viele ihrer Kinder haben sie unter der Erde zurückgelassen.

Wie das Leben im nördlichen Gazastreifen nach anderthalb Jahren unerbittlichen Tötens weitergehen soll, ist unklar. Die Abwassersysteme sind völlig zerstört, und es gibt keinen Strom, der den Menschen hilft, so zu leben, wie sie es einst taten. Die Beschaffung von Wasser für den täglichen Gebrauch ist schwierig, genauso die Beschaffung von Trinkwasser.

Die Menschen legen weite Strecken zurück, um in den Trümmern ihrer Häuser zu überleben und Wasser zu besorgen, einige mit Eimern in den Händen, andere ziehen kleine Karren hinter sich her. Im Viertel Shuja’iyya, in dem ich wohne, gibt es nur eine einzige Verteilerstelle für Wasser. Viele sind gezwungen, unbehandeltes Wasser zu trinken, das sie aus Regenpfützen sammeln. Meine Familie und ich trinken oft von diesem Wasser, weil wir keine andere Wahl haben.

Mein Bruder Ahmed zieht jeden Tag eine halbe Stunde lang einen Karren, um Wasser für uns zu holen. Ahmed ist ein junger Mann, er kennt nur den Krieg. Er versucht, für seine Schulabschlussprüfungen im Juli zu lernen, während er sich um den Haushalt kümmert, in einer Umgebung, die nahezu unbewohnbar ist. „Ich weiß nicht, was ich tun soll“, sagt er. „Nichts hier ist in Ordnung. Sogar Wasser zu bekommen, ist ein Kampf.“

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Zelte auf den Trümmern des zerstörten eigenen Hauses

Die Straßen sind zerstört und die meisten Häuser sind unbewohnbar. Diejenigen, deren Häuser zerstört wurden, haben ihre Zelte auf den Trümmern aufgeschlagen und versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen. Sie haben ihre Zelte im Süden verlassen, um sie hier neu aufzuschlagen – diesmal auf ihrem eigenen Land, was ihnen den kleinen Trost bietet, wieder zu Hause zu sein.

Die zweite Phase des Abkommens ist noch nicht umgesetzt worden, und die Menschen haben große Angst. Diesmal sind sie jedoch entschlossen, ihre Häuser nicht mehr zu verlassen. Die Menschen hier sagen: „Was kann die Besatzung noch tun? Sie haben alles zerstört und unsere Familien getötet.“

Jeder hört von Trumps Plan, die Menschen in Gaza zu vertreiben. Wir glauben nicht an dieses Schreckensszenario und wir haben auch keine Angst davor. Die meisten Menschen hier sagen: „Gibt es einen größeren Schmerz als den Tod, nach allem, was wir erlebt haben?“

Einige sind völlig erschöpft, ihre Lebensgeister sind zerrüttet. Ihr einziger Gedanke gilt dem Überleben. Sie würden den Gazastreifen verlassen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten, sagen sie.

Die Besatzung fügt dem palästinensischen Volk absichtlich Leid zu und sorgt dafür, dass es in ständigem Elend und Angst lebt. Aber diejenigen, die solche Gräueltaten an unschuldigen Menschen begehen, werden ins Höllenfeuer kommen.

Esam Hani Hajjaj (27) kommt aus Gaza-Stadt, ist Schriftsteller und Dozent für kreatives Schreiben für Kinder. Nach Kriegsausbruch ist er innerhalb des Gazastreifens mehrfach geflohen.

Internationale Jour­na­lis­t*in­nen können seit dem Beginn des Krieges nicht in den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen wir Stimmen von vor Ort ein. Die Texte geben ausschließlich die persönlichen Meinungen der Au­to­r*in­nen wieder.

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7 Kommentare

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  • Und wieder merkt man das Kommentatoren nur die von Extremisten verbreitete Bedeutung des Wortes Märtyrer kennen oder die europäisch Bedeutung die man diesem Begriff gegeben hat. Die Unwissenheit was der Begriff Märtyrer tatsächlich im Islam bedeutet ist doch immer wieder sehr bezeichnend. Nur zur Information der Begriff bedeutet im Islam auch einfach nur Opfer eines Krieges, auch Frauen die bei der Geburt sterben bekommen diesen Begriff, oder Menschen die uns Leben kommen wenn sie anderen helfen, die durch Unfälle oder Verbrennungen sterben etc.! Statt immer nur Vorurteile zu haben, könnte man sich ja mal über das worüber man urteilt belesen. Es gibt den Begriff auch in mehreren anderen Religionen. Man kann nicht immer von Extremisten egal welcher Religion auf alle Gläubigen schließen.



    Und der Mangel an Empathie ist sowieso immer wieder erschreckend.

    • @Momo Bar:

      Mangel an Empathie?

      Sorry, über 5000 Hamas-Terroristen haben am 07. Oktober 23 Israel überfallen und ein entsetzliches Massaker angerichtet.

      Die Hamas wurde 2006 gewählt obwohl spätestens seit der Gründungscharta 1988 klar war, dass deren Weg Krieg bedeutet. Kristallklar. Der Krieg wurde durch weitere Proxy-Armeen Irans unterstützt. Laut Sinwar nur eine "Generalprobe", und er kündigte ein "wieder und immer wieder" an.

      Israel hat sich gewehrt, die Hamas vesrteckte sich wie üblich hinter Frauen und Kindern. Mit denen habe ich selbstverständlich Mitgefühl, die Kinder sind vollkommen unschuldig. Leider vorsätzlich geopfert durch die Hamas.

      Der größte Feind der Palästinenser:innen sind die Hamas. Doch leider auch das ideologisch gepushte Bevölkerungswachstum von 0,94 Millionen in 1950 auf 5,59 in 2025. Das sind 600 Prozent in relativ kurzer Zeit. Fairerweise muss gesagt werden, dass ultra-orthodoxe Juden auf eine ähnliche Fertilitätsquote kommen.

      Neben Empathie braucht es allerdings auch einen nicht durch Glauben oder Ideologien vernebelten Verstand.

      de.statista.com/st...ng-von-palaestina/

    • @Momo Bar:

      Ich bin in einer sehr katholischen Umgebung großgeworden. Und natürlich kenne ich auch von dort den Begriff "Märtyrer". Auch dort wird es hoch gepriesen für seinen Glauben zu sterben.

      Glauben. Dank den Hubble- und James-Webb-Teleskopen wissen wir nun so einiges über das Universum. Unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße, ist eine sehr durchschnittliche Spiralgalaxie, etwa 100 Milliarden Sterne ähnlich wie die Sonne, Hunderte Milliarden Planeten. Unser Universum kommt auf etwa 1,5 Billionen Galaxien. Vermutlich gibt unendlich viel weitere Universen in Billionen Lichtjahren Entfernung, Billionen Jahre alt. Gäbe es einen Gott müsste dieser Billionen Jahre alt und unfassbar riesig sein.

      Da wende ich mich lieber den drei Kronjuwelen aller Religionen, den nicht glaubens- dafür erfahrungsorientierten Religionen Zen-Buddhismus, Tibetischer Buddhismus und Taoismus zu.

      Das Konzept "Märtyrer" existiert dort nicht, weil kein Gott existiert. Diese Religionen sind lebensbejahend und nicht todesorientiert.

      Der Koran verheißt denjenigen, die „auf dem Wege Gottes“ sterben, reiche Belohnung im Jenseits.

      Ein Irrweg?

  • "Jedes Haus hat mindestens einen Märtyrer verloren, ..."

    Als Atheistin kann ich, unabhängig von der Religion, nur immer wieder fragen, was ist so schlimm am Tod, wenn man selbst und die Hinterbliebenen davon ausgehen, dass danach das allertollste Leben im Paradies auf eine/n wartet. Ich habe noch nie einen religiösen Menschen gefunden, der mir das so erklären konnte, dass ich es verstanden hätte.

    • @*Sabine*:

      Und weil ich an das Paradies glaube oder den Himmel oder an sonst irgendein Leben nach dem Tod glaube, spüre ich keinen Schmerz wenn ich einen Menschen verliere, vermisse denjenigen nicht, bin nicht wütend das er getötet wurde? So schwer ist das absolut nicht zu verstehen. Haben die Menschen kein Recht zu trauern nur weil sie an einen besseren Ort nach dem Tod glauben? Da haben Menschen ihre gesamte Familie verloren, die dürfen sich nicht einsam fühlen? Nicht weinen? Der Glaube hilft ihnen vielleicht den Schmerz besser zu verarbeiten, dass bedeutet aber nicht das der Schmerz nicht da ist.

  • Artikelzitat: "Jedes Haus hat mindestens einen Märtyrer verloren".

    -------------------------

    Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in ihrer Stockholmer Rede:



    "Die Kriegsbesessenheit der Mullahs und der Hamas ist so dominant, dass sie – wenn es um die Vernichtung der Juden geht – selbst den religiösen Graben zwischen Schiiten und Sunniten überspringt. Der Kriegsbesessenheit wird alles andere untergeordnet. Die Bevölkerung wird bewusst in Armut gehalten, und gleichzeitig steigt der Reichtum des Führungsclans der Hamas ins Unermessliche. . . . Die Menschenverachtung ist grenzenlos. Für die Bevölkerung bleibt fast nichts übrig außer dem Märtyrertod."

    Herta Müller bei der Verleihung des Arik-Brauer-Publizistikpreis:

    "Das Wort »Märtyrer« ist abgründig. Es verachtet das Leben schlechthin. Es kennt nur die Todesfreude und erstickt jeden individuellen Wunsch nach persönlichem Glück im Leben. Ein Individuum soll erst gar nicht entstehen. Der Verstand soll sich dem als Religion getarnten Militarismus bedingungslos unterwerfen."

    Vielleicht reflektiert Herr Hajjaj seine Konditionierungen zum "Märtyrertum"?

    vrds.de/ich-kann-m...-nicht-vorstellen/

  • In einer Zeitung, die sich als links und aufklärerisch identifiziert (wie die taz), sollte der Begriff "Märtyrer" meiner Meinung nach nicht ohne Einordnung übernommen werden. Es gibt keinen göttlichen Plan von Allah für Gaza, dementsprechend sind das islamische Milizionäre.