Gaza-Krieg: Netanjahu bekommt Druck von allen Seiten
Die geplante militärische Besetzung des gesamten nördlichen Gazastreifens führt zu Protesten. Angehörige der Geiseln rufen zu einem Generalstreik auf.
Netanjahu steht seit einigen Tagen zunehmend unter Druck. Die Entscheidung der israelischen Regierung, vergangenen Freitag, den gesamten nördlichen Gazastreifen zu erobern und die rund eine Million Bewohner zur Flucht in den Süden zu zwingen, sorgt seither für massiven Protest, sowohl in Israel als auch international.
Bereits am Samstagabend zur Hauptsendezeit stürmten mehrere Friedensaktivisten der jüdisch-palästinensischen Organisation „Standing Together“ die Bühne der live übertragenen TV-Show „Big Brother“. Auf einem der meistgesehenen TV-Sender des Landes, wo das Leid im nur wenige Kilometer entfernten Gazastreifen sonst kaum zu sehen ist, steht der Krieg plötzlich im Mittelpunkt. „Stellt das Feuer ein“, ruft eine Aktivistin, bevor Sicherheitsleute sie von der Bühne tragen. Der „Vernichtungs- und Aushungerungsfeldzug im Namen eines messianischen Traums von Eroberung und Besiedlung“ müsse gestoppt werden, schreibt die Organisation in einer Stellungnahme.
Doch während international vor allem die zunehmend drastischen Auswirkungen der maßgeblich durch Israels Blockade verursachten Hungersnot für Empörung sorgen, blicken viele Israelis anders auf Gaza. 79 Prozent der jüdischen Israelis unter den Teilnehmern einer Umfrage des Israelischen Instituts für Demokratie gaben an, „nicht sehr besorgt“ oder „gar nicht besorgt“ von Berichten über Hunger in Gaza zu sein.
In einer Befragung der politisch rechts ausgerichteten Tageszeitung Israel Hayom gaben 52 Prozent an, eine jüdische Wiederbesiedlung des Gazastreifens zu unterstützen und auch gegen eine mögliche Annexion Gazas spricht sich nur noch eine knappe Mehrheit von 53 Prozent aus.
Netanjahu dementiert Hungersnot
Das Leid und der Hunger in Gaza finden nur langsam Eingang in die Berichterstattung der israelischen Medien. Netanjahu selbst behauptete noch vor Wochen, es gebe keine Hungersnot in Gaza. Hinter der nun geplanten Ausweitung des Krieges steht dennoch nur eine Minderheit der Israelis. Seit Monaten sind in Umfragen konstant mehr als zwei Drittel der Befragten für ein Ende des Krieges, wenn dadurch alle israelischen Geiseln frei kämen.
In Tel Aviv protestierten am Samstagabend Zehntausende gegen die Ausweitung der Kämpfe. Angehörige der noch in Gaza festgehaltenen Geiseln und gefallener Soldaten riefen für kommenden Sonntag zu einem Generalstreik auf. Shai Moses, der Neffe der freigelassenen Hamas-Geisel Gadi Moses, forderte Reservisten auf, ihren Dienst zu verweigern.
Von der wachsenden internationalen Kritik, wie der Ankündigung Deutschlands, künftig keine Waffen mehr nach Israel zu liefern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen könnten, zeigte sich die israelische Führung zunächst wenig beeindruckt. Netanjahu reagierte in einem Telefonat mit Bundeskanzler Friedrich Merz mit dem Vorwurf, die Entscheidung „belohne den Terror der Hamas.“
Doch die Entscheidung hat Gewicht: Aus der Bundesrepublik kamen laut dem Stockholmer Institut für internationale Friedensforschung SIPRI zuletzt rund ein Drittel der israelischen Waffenimporte, vor allem Kriegsschiffe und Panzergetriebe, die beide in Gaza eingesetzt werden.
Finanzminister fordert vollständige Besetzung
Druck bekommt Netanjahu zudem aus den eigenen Reihen. Den rechtsextremen Koalitionspartnern geht der Plan nicht weit genug. Finanzminister Bezalel Smotrich, selbst ein Anführer der Siedlerbewegung, forderte eine sofortige und vollständige Besetzung des gesamten Gazastreifens. Er soll laut israelischen Medienberichten gedroht haben, andernfalls die Regierungskoalition zu stürzen und damit Netanjahus politische Zukunft infrage zu stellen.
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