Gastkommentar UN-Klimakonferenz: Eine Zerreißprobe für Europa
Im Dezember ist Polen ist Gastgeber der Klimakonferenz der Vereinten Nationen. Dabei wehrt sich Warschau gegen einen Kohleausstieg.
W ie wird Polen mit seiner starken Kohleindustrie dem internationalen Drängen auf Kohleausstieg begegnen? Von 3. bis 14. Dezember ist Polen Gastgeberland der UN-Klimakonferenz COP24. Auf dieser Konferenz der Stakeholder des Pariser Klimaabkommens werden die Weichen für die globale Klimapolitik der kommenden Jahre gestellt.
Der Gipfel findet symbolträchtig in Kattowitz, im Herzen von Polens Bergbauregion Oberschlesien, statt. Bei diesem Gipfel, wo hart um ein Ergebnis verhandelt werden wird, wird sich auch zeigen, was für Polen auf dem Spiel steht. Das Land ist eine Industriemacht und war lange stark von Kohle abhängig. Zwei so unterschiedliche Interessen ins Gleichgewicht zu bringen, wird für Polen nicht einfach.
An der Kohle, aus der 80 Prozent des polnischen Stroms produziert wird und die einen Anteil von rund 50 Prozent am Gesamtenergieverbrauch Polens hat, entzündet sich der klimapolitische Konflikt. Polens Energiemix weist im europäischen Vergleich die geringste Streuung auf verschiedene Energiequellen auf.
Die Regierung setzt nach eigenen Angaben weiter auf Kohle als Hauptquelle für die Stromproduktion: Auch im Jahr 2050 soll noch 50 Prozent des Stroms aus Kohle entstehen. Zusammen mit den 80.000 Beschäftigten der Kohleindustrie setzen diese Zahlen den Rahmen für die polnische Debatte über Energie- und Klimapolitik.
Polen im Konflikt mit EU-Klimapolitik
Im Länderbericht Polen 2018 des Bertelsmann Transformation Index (BTI) heißt es: „Dass Wirtschaftswachstum wichtiger ist als der Schutz von Mensch und Umwelt, darüber herrscht ein breiter politischer Konsens.“
Längst ist die stark subventionierte, nicht wettbewerbsfähige polnische Kohleindustrie kein Hauptwirtschaftszweig mehr wie noch zu kommunistischen Zeiten. Doch jeder Versuch einer Richtungsänderung wird von der mächtigen Kohle-Lobby und der Struktur des Energiesektors sowie dem Damoklesschwert drohender sozialer Konflikte zunichte gemacht. Auf diese Weise gerät Polen auch in Konflikt mit den klimapolitischen Interessen der EU, die einen Ausstieg aus der Kohle vorantreiben will.
leitet das Warschauer Büro des European Council on Foreign Relations. Er ist Journalist, Autor und Experte für deutsche und europäische Politik. Als Kolumnist und Berlin-Korrespondent war er für „Gazeta Wyborcza“, die größte Tageszeitung Polens, tätig.
Zwar hat Polen seinen Kohlendioxidausstoß seit 1988 um 30 Prozent gesenkt und damit seine Kyoto-Zusagen noch übertroffen, doch das wurde hauptsächlich mit der Schließung alter Fabriken erreicht. In den letzten vier Jahren sind die Emissionen dagegen wieder gestiegen. Polen wird die Zielvorgaben der EU zwar erreichen.
Mit der EU-Klimapolitik ist man in Polen aber nicht einverstanden und schon gar nicht mit der Idee des Kohleausstiegs. In diesem Zusammenhang ist es kürzlich zu Spannungen über die Energieunion gekommen. Der Anstoß zu diesem Projekt kam ursprünglich aus Polen.
Polen will „Klimaneutralität“ von Energiequellen
Nach Ansicht der heutigen polnischen Regierung hat sich die Energieunion jedoch weit von ihren ursprünglichen Zielen entfernt und verfolgt heute immer mehr klimapolitische Ziele, darunter den Ausstieg aus der Kohle.
Warschau kritisierte vor allem das sogenannte Winterpaket der Europäischen Kommission, das Maßnahmen zum Strommarktdesign und die Grundzüge einer Reform des EU-Emissionshandelssystems vorschlug, über die im Februar 2017 Einigkeit erzielt wurde. Vorgesehen war, die Gebühren für CO2-Emissionen anzuheben und so einen wirtschaftlichen Anreiz für den Kohleausstieg zu geben.
Polen stellte die Rechtsgrundlage der Verordnung und anderer Entscheidungen, die für die polnische Kohleindustrie negativ waren, infrage. Warschau argumentierte, dass der schnelle Ausstieg aus der Kohle einen grundlegend anderen Energiemix erforderlich mache.
Nach den EU-Verträgen sei die Entscheidung über den Energiemix jedoch eine Angelegenheit der Mitgliedsstaaten. Juni 2018 wies der Europäische Gerichtshof die Klage Polens zurück.
Warschau legt Wert auf Souveränität
Wind- und Solarenergie werden ignoriert. Statt Kohleausstieg befürwortet Polen die Idee der „Klimaneutralität“ der Energiequellen. Das zeigt sich in dem Vorschlag einer ökologischen Strategie Polens, der den Ausstieg aus der Kohle überhaupt nicht thematisiert.
Mit anderen Worten: Man glaubt die Klimaziele allein durch den Einsatz emissionsarmer Technologien sowie durch Kompensationen für CO2-absorbierende Waldregionen erreichen zu können.
Obwohl die Regierung auch darauf abzielt, die Erneuerbaren zu fördern, werden in dem Papier nur Biogas, Wasser und Geothermik erwähnt. Erstaunlich ist, dass weder Windenergie noch Solarenergie als Schwerpunkte genannt werden. Im Vorfeld der COP24 legt Polen großen Wert auf die nationale Souveränität bei der Frage, wie Emissionen reduziert werden sollen.
Ein anderer wichtiger Punkt, der erreicht werden soll, ist eine höhere Anerkennung von Waldregionen als Beitrag zu den weltweiten Bemühungen gegen den Klimawandel. Polen stellt sich gegen die „Anti-Kohle-Lobby“, die der Ansicht ist, dass die Klimaziele nicht erreicht werden können, ohne Kohle aus dem Energiemix zu verdrängen.
Gespräche drohen zu Zerreißprobe zu werden
Da die Europäische Union auf dem Klimagipfel mit nur einer Stimme spricht, findet die wahre Schlacht innerhalb der Gemeinschaft statt. Es geht um gegensätzliche Standpunkte über die Höhe der Reduzierung, auf die sich die EU verpflichten wird. Während die Kommission 45 Prozent Reduktion bis 2045 favorisiert – statt der gegenwärtigen 40 Prozent –, macht sich die polnische Regierung zum Vorreiter der Opposition.
Europa solle sich nicht mit weitergehenden Zusagen unter Druck setzen, solange nicht andere Regionen und Kontinente auch ihre Verantwortung anerkennen. Der polnische Vize-Energieminister Grzegorz Tobiszowski sagte kürzlich, die Gespräche auf der COP24 drohten zur Zerreißprobe für die verschiedenen Einstellungen zur Kohle zu werden.
Die polnische Regierung wird beweisen müssen, dass ihre ureigenen Interessen ihrer Rolle als ehrlichem Vermittler eines dringend benötigten Abkommens nicht im Wege stehen.
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