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Gastkommentar Lage in SyrienDer EU-Türkei-Deal ist gescheitert

Kommentar von Adopt a Revolution

Mit den Abschiebungen ins Kriegsgebiet verstößt die Türkei gegen das Abkommen mit Brüssel, kritisiert die NGO Adopt a Revolution.

Abschiebungen ins Kriegsgebiet: Ariha in der Provinz Idlib nach einem Luftangriff am 27. Juli Foto: ap

D ie Türkei zwingt syrische Geflüchtete zur Rückkehr nach Syrien. Bei groß angelegten Razzien und Polizeikontrollen – primär in Istanbul – werden derzeit zumeist männliche Syrer*innen willkürlich verhaftet. Mithilfe fingierter Einverständniserklärungen werden die Betroffenen nach Nordsyrien abgeschoben, unter anderen in die von Gewalt geprägte nordwestliche Provinz Idlib.

Mehr als 600 syrische Geflüchtete sind bereits betroffen, andere Quellen sprechen von mehreren Tausenden. Die türkische Regierung dementiert die Massenabschiebungen ins Kriegsgebiet, aber die Beweislast ist erdrückend: Uns liegen mannigfaltige Aussagen und Aufnahmen betroffener Syrer*innen vor.

Laut einer offiziellen Erklärung des türkischen Innenministeriums seien die Razzien und Verhaftungen gegen Menschen gerichtet, die in der bevölkerungsreichsten Stadt des Landes ohne Rechtsstatus leben.

Diese Äußerung ist problematisch, da sich die Türkei im Zusammenhang mit dem EU-Flüchtlingsabkommen zur Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonventionen verpflichtet hat. Das untersagt Abschiebungen eines jeglichen Schutzsuchenden in ein ­Kriegsgebiet. Das Vorgehen der türkischen Regierung ist auch im Kontext des Abkommens zwischen der Europäischen Union (EU) und der Türkei problematisch, das die Einreise von Flüchtlingen über die Türkei in die EU verhindern soll. Illegal in Griechenland eingereiste Flüchtlinge werden zwar in die Türkei zurückgeschickt – die Schutzbedürftigen sollen laut Abkommen aber in der Türkei bleiben können.

Adopt a Revolution

unterstützt seit Anfang 2012 die Arbeit der syrischen Zivilgesellschaft und vermittelt hierzulande Informationen aus der syrischen Demokratiebewegung (https://adoptrevolution.org/).

Mit den Abschiebungen in das Kriegsgebiet verstößt die Türkei gegen das Abkommen mit der EU. Wenn Schutzsuchende, für deren Versorgung die EU mehrere Milliarden Euro bereitstellt, illegal und ohne Rechtsbeistand in ein Kriegsgebiet abgeschoben werden, ist die EU in der Pflicht. Vertragspartner der EU können nur verlässliche Staaten sein, die sich zur Wahrung der Menschenrechte und Umsetzung geltenden Rechts nicht nur auf dem Papier verpflichten.

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5 Kommentare

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  • Die Türkei hielt sich von Anfang an nicht an die Genfer Flüchtlingskonvention. Sie ließ eine Mauer bauen und scharf schießen an der Grenze - auf unbewaffnete Flüchtlinge und hielt die Menschen die sie nach Grenzübertritt erwischte fest und schob sie in Gruppen direkt an der Grenze zurück zu Hunderten. Auch schon vor dem Deal. Danach wurde die Mauer (auch dafür gab es EU Mittel: www.spiegel.de/pol...en-a-1199535.html) fertig, die Schüsse nahmen zu und die illegalen Push Backs ebenfalls. Zugunsten der Türkei lässt sich anführen dass sie in absoluten Zahlen bereits die meisten Syrer ins Land ließ und diese auch nicht in Menschenunwürdige Unterkünfte konzentriert wie Deutschland dies mit Flüchtlingen auch traumatisierten Kriegsflüchtigen tut. Die meisten bleiben jedoch sich selbst überlassen und wie sich aktuelle zeigt sind sie vor willkürlichen Abschiebungen zurück in Krieg und Verfolgung nicht geschützt.



    Mauerbau seit 2016: www.zeit.de/politi...enze-kilis/seite-2



    Mitverantwortung des EU-Türkei Deals für Zunahme tödlicher Schüsse und push-backs: adoptrevolution.or...sen-an-der-grenze/

    • @Nina Janovich:

      Die Flüchtlingskonvention betrifft doch gar nicht Krieg. In jedem Fall kann die Türkei jederzeit mit Artikel 44 aussteigen.

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Schön, dass dieser, aus EU-Sicht nicht wenig bigotte Deal mit einem Despotenregime gescheitert ist.

    Als ich vor gut einer Woche hier in einem anderen Kommentarstrang genau auf diesen gescheiterten, bereits gekündigten bzw. noch (von wem?) zu kündigenden Deal hinwies,

    da wurde mir von einem wohl allwissend-unfehbaren Kommentator die Frage gestellt (mir unterstellt), meine Information aus eher rechtsalternativen Medien zu haben.

    Schön, das nun auch hier, ganz offiziell in der taz zu lesen ...

    • @90857 (Profil gelöscht):

      Der Deal ist nicht gescheitert. Der Text ist ein Gastkommentar, nach dessen Auffassung die Türkei gegen das Abkommen mit der EU verstößt. Ob das so ist wäre zu klären - und ob die EU überhaupt in irgendeiner Form reagiert oder erst recht den Deal kippt, ist mehr als zweifelhaft.

  • Europa wird auch weiterhin bei sowas alle Augen zudrücken. An der Alternative - wieder deutlich mehr Flüchtlinge in Richtung Griechenland - hat kein Land in der EU Interesse.