piwik no script img

Gastkommentar KindergrundsicherungTeuer und unsinnig

Kommentar von Christoph Butterwegge

Die Armut von Kindern lässt sich nicht von der ihrer Eltern trennen. Wer ihnen helfen will, muss Eltern helfen – und nicht pauschal allen Kindern.

Die SPD irrt, wenn sie glaubt, eine Kindergrundsicherung könnte irgendein Problem lösen Foto: dpa

W enig Kritik am SPD-Konzept „Sozialstaat 2025“ trifft die Kindergrundsicherung (KGS), deren Ausgestaltung Parteichefin Andrea Nahles bis zum Jahresende präzisieren will. Was soll man denn auch gegen einen Vorschlag haben, den so honorige Organisationen wie die AWO, der Kinderschutzbund, das Kinderhilfswerk, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Pro Familia und der Paritätische vertreten? Widerspruch fällt schwer, ist aber notwendig, denn es handelt sich um eine breit streuende, sehr teure Maßnahme zur Bekämpfung der Kinderarmut.

Allen hierzulande lebenden Kindern will das Bündnis Kindergrundsicherung die Steuerfreibeträge von 415 Euro pro Monat für das „sächliche Existenzminimum“ sowie von 220 Euro für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (bis der Staat diese Leistungen gebührenfrei erbringt) als Pauschalbetrag ausgezahlt werden. Derzeit bekäme jedes Kind monatlich 635 Euro. Im Gegenzug würden alle kindbezogenen Transferleistungen – Kindergeld, Kinderzuschlag, Sozialgeld beziehungsweise Arbeitslosengeld II, Bildungs- und Teilhabepaket sowie Unterhaltsvorschuss – entfallen.

Mit der Kindergrundsicherung hoffen Befürworter*innen des bedingungslosen Grundeinkommens ihr Projekt einer pauschalen Universalleistung im Kleinformat zu realisieren. In beiden Fällen würden sämtliche Leistungsbezieher*innen über einen Kamm geschoren, unabhängig davon, wo und in welchen Haushaltskonstellationen sie leben, wie alt und ob sie sozial benachteiligt sind oder nicht. Selbst ein riesiges Vermögen (etwa aus einer Erbschaft) wäre kein Hindernis. Doch es müsste gerade darum gehen, jene Menschen zu fördern, die zu wenig Entwicklungsmöglichkeiten haben.

Bild: Anja Krüger
Christoph Butterwegge

geboren 1951, erforscht seit Jahrzehnten wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland. Bis 2016 lehrte der Politikwissenschaftler als Professor an der Universität Köln. Von 1970 bis 1975 und von 1987 bis 2005 Mitglied der SPD, kandidierte er als Parteiloser 2017 auf Vorschlag der Linkspartei für das Amt des Bundespräsidenten. Gerade ist sein neuestes Buch „Ungleichheit in der Klassengesellschaft“ im PapyRossa Verlag erschienen.

Die Modelle zur Kindergrundsicherung suggerieren, dass man Kinder unabhängig von der sozialen Lage ihrer Eltern aus der Armut befreien kann. Minderjährige sind jedoch arm, weil ihre Eltern arm sind. Deshalb muss, wer Kinderarmut wirksam bekämpfen will, etwas für die Eltern der betroffenen Kinder tun, statt diese aus dem Familienverband herauszulösen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • 6G
    64984 (Profil gelöscht)

    Wenn man der Meinung ist, dass zu reiche Eltern das nicht benötigen, soll man doch einfach die Steuern für die ein bisschen erhöhen, so dass die die 635€ (oder sogar ein bisschen mehr) über die Steuern zurückzahlen.



    Die Kindergrundsucherung ist auf jeden Fall eine gute Idee.



    Hauptsache die Steuerfreibeträge kommen weg, denn die sind nun wirklich ungerecht, weil sie die Reuchen bevorzugen.

  • Minderjährige sind nicht chancenlos weil die Eltern arm sind. Sie sind chancenlos weil die Eltern einen schlechten Bildungsstand haben. Der korreliert natürlich direkt mit dem Einkommen, es ist aber die Bildung der Eltern die hier eine Rolle spielt, nicht deren Einkommen.

  • Massenhaft habe ich in Deutschland Kinderarmut erlebt, die verbunden war mit einer geradezu skandalösen Verwahrlosung. Kinder stehen morgens alleine auf, während die Eltern noch im Bett liegen, bekommen 2€ für irgend eine im weitesten Sinne als Nahrung zu bezeichnende Kost, gehen selbständig in die Schule und erleben das volle Programm der Diskreminierung.

    Man muss für alles einen Befähigungsnachweis erbringen, sogar für die Haltung von Hunden. Nur nicht für Kinder. Die sind nämlich seltsamerweise dem vollen Programm ihrer Eltern ausgeliefert. Meistens geht das einigermaßen gut, oft ist es aber für die Kinder die Hölle.

    Es gibt kein institutionalisiertes System der Überwachung von Kinderrechten. Dementsprechend kann es zu den meist zufällig festgestellten desaströsen Verhältnissen kommen, die manche Kinder erleiden müssen. Die Öffentlichkeit kennt nur die Spitze des Eisberges, weil Kindeswohl nie ernst gemeintes und vollstreckbares Recht ist. Selbst wenn Lehrer dem Jugendamt prekäre Fälle melden, bedeutet das noch gar nichts. Ob das zwölfjährige Türkenmädchen, das an einen alten Sack zwecks Heirat verkuppelt wird oder der auffällig schweigsame und verstört wirkende kleine Junge, sie fallen einfach durch das viel zu weitmaschige Netz. Erst recht die vielen Grenzfälle und die Opfer von Kinderarmut, die sich schon aus Scham "unsichtbar" machen.

    Kinderarmut ist die Folge eines Wirtschaftssystems, das in zunehmendem Maße lohnabhängige Arbeit nicht mehr als gesicherte Lebensgrundlage möglich macht.



    Aber selbst ein gesichertes Grundeinkommen für Kinder, sichert den Kindern in prekären Verhältnissen keine Chancengleichheit. Deshalb kann man mit Geldzahlungen nicht unbedingt wirkliche Probleme lösen. Wir brauchen eine instititutionaliserte Kinderschutzbetreuung. Diese müsste ALLE Kinder im Blick haben. Auch die z.T. sozial verwahrlosten Kinder wohlhabender Eltern.

  • Auch wenn es stimmt, dass arme Kinder arme Eltern haben, befreit sie diese Lösung vom Stigma der offiziell bescheinigten Armut, von der Antragsstellung, von der Bedürftigkeitsprüfung. Es befreit sie davon, Teil der Bedarfsgemeinschaft zu sein und es erlaubt ihnen, selbst zu arbeiten und zu sparen. Wer jemals Teil einer Bedarfsgemeinschaft mit Kindern gewesen ist, weiß, was das für eine Riesenerleichterung ist. Und: Es hilft all den Familien, die zwar nicht als arm gelten, die aber im Moment jeden Pfennig umdrehen müssen, weil sie den Lebensunterhalt für Personen finanzieren, die selbst nichts dazu beitragen können (Kinder).



    Ich bin ja ein Fan von Leistungen, die alle bekommen, denn für die schämt sich niemand und sie werden so gut wie nie wieder abgeschafft oder gekürzt. Ich habe gerade Wohngeld beantragt, was wir wahrscheinlich nicht bekommen (Grenzfall), aber dringend bräuchten. Für uns wäre eine bedingungslose Grundsicherung für Kinder großartig.

  • Arme Kinder haben nicht notwendigerweise arme Eltern! Ich kenne Kinder, die sich ihr Essen und ihre Kleidung klauen oder sonstwie (sexuelle Dienstleistungen?) beschaffen müssen, weil die Eltern sämtliche Transfers für ihre Süchte oder ihren Mercedes ausgeben. Das Jugendamt geht ein und aus und stellt den Fall dann ein.

  • "Minderjährige sind jedoch arm, weil ihre Eltern arm sind. Deshalb muss, wer Kinderarmut wirksam bekämpfen will, etwas für die Eltern der betroffenen Kinder tun, statt diese aus dem Familienverband herauszulösen."



    Das sage ich schon, seit ich das erste Mal dieses bescheuerte Wort "Kinderarmut" gelesen habe. Wie soll das denn sonst gehen?! Arme Kinder haben arme Eltern! Das ist doch sogar jedem intelektuell Herausgefordertem klar, also müssen die Bedingungen für Erwachsene verbessert werden. Sprich, wir brauchen ein besseres Wirtschaftssystem!



    Wie wäre es mit gerechten Löhnen, mit bezahlbaren Mieten in gemischten Vierteln (also keine Reichengetthos entstehen lassen), mit Nachhilfeunterricht nach der Schule oder besser noch, von den besseren Schülern nach der Schule aus Solidarität und aus Zusammenghörigkeitsgefühl, und da kommen wir schon zum nächsten wichtigen Punkt: Gemeinsamkeitsverhalten durch Schulregeln fördern (Schuluniformen, gemeinsames Essen, gemeinsame Projekte außerhalb der Schule in allen "Welten" der Kinder), Notengebung und Frontalunterricht "überdenken" – also abschaffen, usw.



    Dass sind alles Dinge, die der Kapitalismus m. E. stumpf verweigert|verhindert.



    Der Mensch muss in den Mittelpunkt gestellt werden, nicht Arbeit und Geld als "Götzen".



    Die angeblich angedachte Kindergrundsicherung ist wieder so angelegt, dass die Reichen dasselbe bekommen, die haben es aber nicht nötig un ddas Gefälle bleibt wieder gleich.



    Und ein BGE lässt sich nicht durch die Hintertür und nicht über die Kindergrundsicherung einführen. Das muss schon ganz hochoffiziell durch die Vordertür rein, sonst wird das nichts. Die SPD laviert so blöde herum, weil sie ein BGE fürchtet wie alle anderen, denn freie Menschen sind den Mächtigen ein Graus, weil unabhängig und nicht (mehr) unter Druck zu setzen. Eine freie, gute, soziale Politik sieht anders aus.

    • @Frau Kirschgrün:

      Butterwegge ist auch gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und daher auch gegen eine bedingungslose (bzw. nur vom Alter abhängiges) "Kindergrundsicherung".

      Solcher Ansicht sind sehr gerne finanziell abgesicherte Menschen, die sich um zusätzliches Geld nicht kümmern müssen, lediglich um ihre Steuererklärung. Sie sagen großzügig "Aber ich brauche das doch gar nicht für meine Kinder, sollen es doch nur die wirklich Bedürftigen, die "Armen" bekommen." Bedeutet aber für die "Armen" wahnsinnig viel Bürokratieaufwand und Schikane! (Siehe ALG II und Sozialhilfe)

      Fragt doch mal diejenigen, die es wirklich brauchen, mehr Geld für den alltäglichen Grundbedarf zur Vefügung zu haben. Vermutlich ist es denen recht schnuppe, wer das noch alles bekommt, Hauptsache man bekommt es ohne großen Stress. Ob die "Satten und Reichen" nun noch mehr bekommen, als sie sowieso schon haben, kümmert doch keinen, interessiert ja sonst politisch auch nicht.

  • 635 Euro pro Kind pro Monat? Gerne! und endlich! Es wäre für alle in Deutschland lebenden Kinder und Eltern ein Segen. Auch für eine nicht sozial bedürftige Familie sind Kinder teuer. Warum sollen Mittelstandseltern von einer Grundsicherung ausgenommen werden? Im Gegenteil: Kinder kriegen muss auch für diese Schicht attraktiver werden.



    Heute können sich nur wirklich wohlhabende oder arme/weitgehend erwerbslose Menschen mehr als 2 Kinder pro Paar bzw. mehr als 4 Kinder pro Patchwork "leisten".