SPD fordert Kindergrundsicherung: Gegen das Hartz-IV-Stigma

Die SPD wirbt für eine „Kindergrundsicherung“. Wichtiger als neue Begriffe sind aber rasche Verbesserungen für Hartz-IV-Haushalte.

Schatten und farbige Handabdrücke an einer Wand

Bunte Farben sind schön – mehr Geld ist schöner Foto: dpa

Es entstehen merkwürdige Bilder im Kopf, wenn man die aktuelle Debatte über Kinder­armut verfolgt. Beim Wort Kinderarmut drängen sich Bilder von Straßenkindern in armen Ländern auf, die elternlos durch die Straßen ziehen. Solche Bilder rühren an. Die Kinder­armut hierzulande ist aber etwas anderes.

Nach Berechnungen des Deutschen Kinderschutzbundes leben etwa drei Millionen Kinder und Jugendliche in Hartz-IV-Haushalten oder in Haushalten mit sehr geringem Einkommen. Jede Diskussion über Kinder­armut müsste daher immer auch eine über Haushaltsarmut, über Einkommensarmut der Eltern sein.

Trotzdem wird in der Politik lieber von Kinderarmut geredet und neuerdings auch von der SPD das Konzept einer Kindergrundsicherung ins Gespräch gebracht. Grüne und Linke sind auch für eine Kindergrundsicherung, wenn auch in etwas anderem Gewand. Mehrere Sozialverbände haben sich zusammengetan zu einem „Bündnis Kindergrundsicherung“.

Die Beschränkung auf Kinder als Leistungsempfänger hat gewisse Vorteile. Man vermeidet die moralischen Debatten über vermeintlich arbeitswillige oder arbeitsunwillige Hartz-IV-EmpfängerInnen, über Lohnabstände zwischen ­ArbeitnehmerInnen und Sozial­leistungsbezieherInnen: die ganze unerfreuliche Hartz-IV-Streiterei. Kinder sind unschuldig, und wenn sie arm sind, gebührt ihnen jede Hilfe, so die Botschaft. Am Ende aber geht es immer um die Verteilung von Steuergeldern an einkommensarme Haushalte und um die Frage, wer denn nun Anspruch auf wie viel Sozialleistungen hat.

Die Schwierigkeiten zeigen sich, wenn man die Konzepte genauer betrachtet. Unter Kindergrundsicherung verstehen die Parteien im Kern ein Konzept, mit dem Sozialleistungen gebündelt werden sollen. Zu den Leistungen zählen bislang der Hartz-IV-Bezug für Kinder (das sogenannte Sozialgeld), der Kinderzuschlag (eine Sozialleistung für arme Familien) und das Kindergeld (bekommen die meisten Familien). Hochverdiener können den Steuerfreibetrag für Kinder in Anspruch nehmen.

620 Euro pro Monat

SPD-Chefin Andrea Nahles kündigte am Donnerstag auf einer SPD-Klausur an, noch in diesem Jahr ein Konzept zur Kindergrundsicherung vorzulegen. Im Gespräch ist ein rechnerischer Grundbedarf von 620 Euro für jedes Kind. Wie hoch dann aber die staatliche Leistung einer Kindergrundsicherung ist und wie sie mit anderen Sozialleistungen und dem Einkommen der Eltern verrechnet wird, ist noch völlig unklar. Nach Vorschlägen des Deutschen Kinderschutzbundes soll die Kindergrundsicherung von 620 Euro je nach Einkommen der Eltern abgeschmolzen werden bis auf einen Mindestbeitrag von 300 Euro pro Kind und Monat. Zum Vergleich: Bisher liegt der Hartz-IV-Regelsatz für ein Schulkind bei 302 Euro, das Kindergeld beträgt 194 Euro pro Kind und Monat und wird ab Juli um zehn Euro erhöht.

Der Begriff Kinderarmut führt in die Irre. Es geht um Haushaltsarmut

Das Vereinfachungsversprechen einer Kindergrundsicherung wirft also schwierige Fragen auf: Wer bekommt dann mit welchem Einkommen welche Leistung? Die Frage stellt sich auch, wie diese finanziert werden soll. Das Konzept einer Kindergrundsicherung könnte laut Kinderschutzbund rund 20 Milliarden Euro an Steuergeldern kosten. Die Befürworter wollen das Modell unter anderem durch die Abschaffung des Ehegattensplittings gegenfinanzieren. Aber das dürfte nicht reichen und außerdem auch zu Protesten führen.

Die SPD will sich politisch positionieren mit einer Idee, die nach Neuanfang klingt und nicht nach Hartz IV. Das ist nachvollziehbar. Die Gefahr aber besteht, dass im Streit um eine „Kindergrundsicherung“ eine Maximaldebatte beginnt, die den Kampf um kleinere, machbare und schnellere Verbesserungen für Hartz-IV-Haushalte verdrängt: eine schlichte Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder etwa, eine teilweise Nichtanrechnung des Kindergeldes auf den Hartz-IV-Bezug, die Finanzierung der Reparatur von Haushaltsgeräten.

Konkrete Verbesserungen zählen

Die Idee, eine Verteilungs­debatte gewissermaßen ins Stadium der politischen Unschuld zu hieven, indem man sie auf Kinder fokussiert, könnte im Übrigen nach hinten losgehen: dann nämlich, wenn die alten Ressentiments geweckt würden gegen kinderreiche, aber arme Familien, vielleicht noch mit Migrationshintergrund, die angeblich zu viel Nachwuchs haben und auf Staatskosten leben. Alles schon mal dagewesen.

Maximalkonzepte und neue Namen sind vielleicht wichtig als Symbol. Am Ende aber sollten konkrete Verbesserungen zählen. Kann sich jedes Kind leisten, Nachhilfeunterricht zu bekommen, in einen Sportverein zu gehen, ein Musikinstrument zu lernen?

Und überhaupt: Was stimmt eigentlich nicht mit den Arbeitseinkommen in Deutschland, wenn Hunderttausende ArbeitnehmerInnen mit Vollzeitjob ergänzendes Hartz IV beziehen müssen, weil es sonst nicht reicht für die Familie? Eine Neubenennung von Hartz-IV-Leistungen kann das Lohnproblem nicht lösen.

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