Gastkommentar Afrika-Beauftragter: Kolonialismusaufarbeitung als Farce
Der Afrikabeauftragte der Bundesregierung verharmlost die Kolonialgeschichte, um Flüchtlingsabwehr schön zu reden. Er sollte gehen.
V erharmlost Angela Merkels persönlicher Afrikabeauftragter den Kolonialismus? Das muss man nach Günter Nookes jüngstem Interview in der BZ wohl bejahen. Zwar habe der Kolonialismus „Nachwirkungen“ gehabt, „schlimm waren die Sklaventransporte nach Nordamerika“, allerdings habe „die Kolonialzeit dazu beigetragen, den Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen“. Überhaupt habe „der Kalte Krieg […] Afrika mehr geschadet als die Kolonialzeit“. Sätze, die sprachlos machen!
Kein Wort etwa über die Millionen von direkten Toten des Kolonialismus, beispielsweise im Kongo Leopolds II. oder im Genozid an den Herero und Nama, über den die Bundesregierung gerade verhandelt. Kein Wort über die destruktiven ökonomischen und kulturellen Folgen.
Nooke entlarvt das Regierungsziel einer kritischen Aufarbeitung der Kolonialgeschichte, niedergelegt im Koalitionsvertrag, als Farce. Was sich schon in den Verhandlungen mit Namibia andeutete, ebenfalls durch einen von Merkel eingesetzten Sondergesandten, zumindest in und um das Kanzleramt ist das Interesse an einer wirklichen Aufarbeitung begrenzt.
Nooke geht es nicht (nur) um Geschichte: Für seine Idee, exterritoriale Pachtzonen in Afrika für die Rückführung Geflüchteter zu errichten, muss Invasion und Massenraubmord der Vergangenheit vom Stigma befreit werden. Vergangenheit wird umgeschrieben, um der Gegenwart zu dienen. Dafür wärmt er, mit allen kolonialistischen Stereotypen, die Mär von der Zivilisationsmission wieder auf: Als Vorteil für die Kolonisierten wird ausgegeben, was den Kolonisierern nutzt.
Wider Willen belegt Nooke die Notwendigkeit historischer Aufarbeitung, gerade auch um die heutige Politik angemessen einzuordnen. Dass der Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin das nicht kann oder will, zeigt zum einen, dass er für das Amt nicht wirklich geeignet ist, und zum anderen, dass er eine andere Agenda hat. Es geht auch um die Abwehr von Geflüchteten, koste es, was es wolle: in diesem Falle die historische Wahrheit.
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