Gas-Notfallplan der Kommission: Neues Spardiktat der EU
Die EU erstellt einen Gas-Notfallplan nach deutschen Interessen. Sparen sollen auch Länder, die gar kein Gas aus Russland beziehen.
Hinter dem wohlklingenden Titel „Save gas for a save winter“ („Gas sparen für einen sicheren Winter“) verbirgt sich ein harter Eingriff. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mischt sich nicht nur in nationale Kompetenzen in der Energiepolitik ein. Sie will künftig sogar den Gasnotstand ausrufen dürfen. Dann nämlich, wenn Gazprom seine Lieferungen ganz einstellt oder es zu großen Engpässen kommen sollte.
Konkret geht es darum, dass alle 27 EU-Staaten ihren Gasverbrauch um 15 Prozent senken sollen – auch jene, die kaum Gas nutzen oder schon gespart haben. Die Entzugskur soll bereits am 1. August beginnen und bis Ende März 2023 dauern. Als Vergleichsbasis dient der Schnitt der letzten fünf Jahre. Die Einsparungen sollen zur Not auch gegen den Willen der betroffenen Länder erzwungen werden. Als Grundlage für diese Zwangsmaßnahme dient Artikel 122 des EU-Vertrags, eine Art Notstandsklausel für den Energiebereich.
„Russland nutzt Energie als Waffe“, begründete von der Leyen ihr Vorgehen. Deshalb reiche es nicht mehr aus, dass jeder EU-Staat allein handele. Vielmehr müssten alle solidarisch zusammenstehen, wie in der Coronapandemie. Bei letzterer kümmerte sich die EU-Kommission um die Beschaffung von Impfstoffen, was mehr schlecht als recht klappte. Vor allem aus Deutschland gab es anfangs Beschwerden. Daraus hat von der Leyen offenbar gelernt: Sie schneidet ihren Notfallplan für Gas ganz auf Deutschland zu, selbst entfernte EU-Länder wie Portugal sollen helfen.
Von der Leyen in der Defensive
Dabei hängen Portugal, Spanien und die meisten anderen Mitgliedstaaten gar nicht an der deutsch-russischen Ostseepipeline Nord Stream 1, die nun Probleme bereitet. Finnland hat sich schon völlig von russischen Gaslieferungen unabhängig gemacht, die Niederlande haben ihren Verbrauch bereits um 20 Prozent gesenkt. Dennoch sollen alle solidarisch sein. Ob auch Deutschland seinen Gasverbrauch senken muss, um das 15-Prozent-Ziel zu erreichen, blieb zunächst unklar. In den ersten fünf Monaten des Jahres war der Gasverbrauch gut 14 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum, wie das Wirtschaftsministerium mitteilte.
Das Einsparziel werde wohl noch zu Debatten führen, hieß es in Brüsseler EU-Kreisen. Die 15-Prozent-Marke sei ebenso wenig in Stein gemeißelt wie die Bemessungsgrundlage der letzten fünf Jahre. Am Dienstag ist ein Sondertreffen der EU-Energieminister geplant. Dann wird sich zeigen, ob von der Leyen durchkommt.
Die deutsche EU-Chefin ist in der Defensive. Bisher hatte sie behauptet, es stünden genügend andere, nichtrussische Versorger zur Verfügung. Doch die Suche nach Ersatz erwies sich als schwierig. Ohne russisches Gas, so viel räumt man nun auch in Brüssel ein, wird es im Winter kalt in Europa.
Gespräche mit Gazprom sind jedoch nicht geplant; von der Leyen erwähnte den Konzern mit keinem Wort. Die deutsche Politikerin will auch keine Zugeständnisse bei den Sanktionen machen. Der Streit um eine Gasturbine aus Kanada sei nur vorgeschoben, sagte sie, Kremlchef Putin sei nicht zu trauen. Moskau hatte seine üblichen Gaslieferungen gedrosselt und dann gestoppt, weil eine Turbine in Kanada gewartet wird. Seitdem bestand die Sorge, dass die Lieferung nicht wieder aufgenommen wird, auch wenn die Turbine wieder zurück und einsatzfähig wäre. Der Kassler Netzbetreiber Gascade kündigte am Mittwoch allerdings an, dass ab Donnerstag wieder Gas ankommen wird.
„Wir müssen uns auf eine vollständige Unterbrechung der russischen Gasversorgung vorbereiten“, warnte hingegen von der Leyen. Was passiert, wenn doch wieder Gas durch Nord Stream 1 fließt, sagte sie nicht. Brüssel macht Politik mit dem Worst-Case-Szenario. Ein EU-weiter Gas-Alarm scheint nicht mehr ausgeschlossen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist