Gabriel spricht vor Energievertretern: An der Seite der Industrie
Bei seiner ersten Grundsatzrede zur Energiepolitik sucht Sigmar Gabriel den Schulterschluss mit der Industrie. Kritikern unterstellt er Egoismus.
BERLIN taz | Nein, ängstlich wollte Sigmar Gabriel nicht erscheinen bei seinem ersten Auftritt vor dem vermeintlichen politischen Gegner. „Wenn Sie denken, ein SPD-Parteivorsitzender hat Angst vor der Handelsblatt-Energietagung, dann waren Sie wohl noch nie bei einer SPD-Parteitagung“, witzelte der neue Wirtschafts- und Energieminister, als er vor rund 1.000 Vertretern der Energiebranche seine politischen Pläne skizzierte.
Vor allzu viel Kritik musste sich Gabriel tatsächlich nicht fürchten. Denn mit seinen Vorstellungen, das hatten die Reaktionen auf sein Eckpunktepapier vom Wochenende gezeigt, liegt der SPD-Chef bisher deutlich näher an den Wünschen der konventionellen Energiebranche als an denen seiner Parteifreunde.
Und daran sollte sich durch Gabriels erste Grundsatzrede offenbar auch nichts ändern. In voller Übereinstimmung mit den Wirtschaftsverbänden wiederholte er sämtliche Vorbehalte gegen die Energiewende: Diese sei bisher von „Anarchismus“ geprägt gewesen, berge durch die unstetige Stromproduktion die Gefahr von „Blackouts“ und habe zu einer „Kostenexplosion“ der Strompreise geführt. Mit jährlichen Ausgaben von 24 Milliarden Euro sei Deutschland „an der Grenze dessen, was wir unserer Volkswirtschaft zumuten können“.
Was er dagegen zu tun gedenkt, hatte Gabriel bereits in seinen Eckpunkten vom Wochenende dargestellt: Der Ausbau von Biomasse-Kraftwerken, Solaranlagen und Windkraft an Land soll deutlich gebremst werden. Die teurere Windkraft im Meer soll hingegen wie geplant wachsen.
Stromrabatte gegen die EU verteidigen
Auch die Vergünstigungen für immer mehr Industriebetriebe, die den Strompreis für alle anderen Verbraucher steigen lassen, will Gabriel so weit wie möglich gegen die EU verteidigen, die deren Beschränkung fordert. „Unsere Wirtschaftskraft darf nicht durch Fehlentscheidungen aus Brüssel gefährdet werden“, sagte er auch in Berlin. Offenbar wolle Brüssel nun auf diesem Weg gegen die deutschen Exportüberschüsse vorgehen, orakelte Gabriel – dem wohl gerade entfallen war, dass auch die SPD in ihrem Wahlprogramm ausgeglichene Leistungsbilanzen forderte.
Auch ansonsten gab der Minister wenig auf die Haltung seiner Partei. „Ich erlebe gerade ein Volk von Energieexperten“, sagte er spöttisch zu der Kritik, die auch auch in den eigenen Reihen laut geworden war – etwa an den starken Einschnitten beim Windkraft-Ausbau.
Zwar sei es grundsätzlich denkbar, seine Vorschläge zu ergänzen. Allerdings verfolgten viele Kritiker „individuelle Interessen“, die dem „volkswirtschaftlichen Gesamtinteresse“ widersprächen, so Gabriel. Den Forderungen von Umweltverbänden und Grünen, die klimaschädliche Kohleverstromung mittelfristig zu beenden, erteilte der Wirtschaftsminister eine klare Absage: „Ich trete jenen entschieden entgegen, die gleichzeitig aus Kohle und Atom aussteigen wollen.“
Entsprechend gab es für den SPD-Chef viel Lob von ungewohnter Seite. Er unterstütze Gabriels Pläne „uneingeschränkt“, sagte EU-Industriekommissar Günther Oettinger – sonst nicht gerade ein Freund der deutschen Energiewende – in einem Videostatement.
Peter Terium, Vorstandschef des Energieriesen RWE, sah Gabriels Pläne als „Schritt in die richtige Richtung“. Zwar bestritt Terium einen Bericht des Handelsblatts, dass er mit dem Abschalten von Atomkraftwerken „gedroht“ habe, weil das Unternehmen damit angesichts der Energiewende immer weniger Geld verdiene. Teriums Forderung, auch konventionelle Kraftwerke finanziell zu unterstützen, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten, lehnte Gabriel – zumindest kurzfristig – ab. Ein einziger Dissenspunkt zwischen dem Konzernboss und dem SPD-Chef blieb damit immerhin bestehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin