Fußballfans sind verdächtig: Freund und Spanner
Die Polizei hat jahrelang heimlich Daten über Fußballfans gesammelt. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg findet das völlig okay
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat damit einem Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover recht gegeben. Die Polizei musste zwar insgesamt vier von neun Eintragungen zu Wiebke K. löschen, aber grundsätzlich sei eine Speicherung zwecks Gefahrenabwehr und Prognose von Straftaten zulässig. Eine detaillierte Begründung zu dem Urteil liegt noch nicht vor. Aber, so viel ist klar, Wiebke K. will gegen das Urteil eine Nicht-Zulassungs-Beschwerde einlegen. Der Fall könnte damit vor dem Bundesverwaltungsgericht landen.
Es geht um die sogenannten „SKB-Daten“, also Informationen, die „szenekundige Beamte“ zehn Jahre lang heimlich über Fußballfans gesammelt haben, ohne dass diese davon wussten oder benachrichtigt wurden. Erst kürzlich ist herausgekommen, dass es diese Datensammlung überhaupt gibt.
Nur ein Teil der dort erfassten Fans ist in Vergangenheit strafrechtlich in Erscheinung getreten, ein großer Teil aber nicht. Um erfasst zu werden, reichte es, Mitglied einer Ultra-Gruppierung zu sein oder mit einem Ultra zusammen ins Stadion zu gehen. In Hannover, Braunschweig und Wolfsburg sind nach Polizeiangaben derzeit rund 1.200 Menschen aufgelistet.
Andreas Hüttl, der Anwalt von Wiebke K., ist von der Entscheidung konsterniert: „Meine Mandantin ist Rechtsanwalts-Fachangestellte, sie wurde niemals verurteilt und hat keine Straftaten begangen – von ihr geht keine Gefahr aus.“ Durch die Speicherung ihrer Daten und die anderer Fans, die nicht straffällig geworden sind, werde sie mit Gewalttätern gleichgesetzt – mit erheblichen Folgen für das normale Leben. Wiebke K. hatte wegen des Eintrags schon mehrfach Probleme, etwa bei einer Reise nach Kopenhagen.
Nach dem Urteil will Niedersachsen noch mehr Daten über Fußballfans sammeln als bisher. Bei der Polizei Hannover ist man erfreut, dass „die SKB-Datei als rechtmäßig anerkannt wurde“. Und laut Innenministerium wollen sich noch im Dezember Vertreter des Landeskriminalamtes und „beteiligter Fachdienststellen“ treffen, um sich über Einzelheiten einer landesweiten „Datensammlung Sport“ zu verständigen.
Daran soll sich laut Innenministerium auch die Landesbeauftragte für den Datenschutz in Niedersachsen, Barbara Thiel, beteiligen. Thiel schätzt die bisher erhobenen SKB-Daten ohnehin als zulässig ein. Die Daten dienten schließlich der Gefahrenabwehr, seien somit vom Recht gedeckt.
Diese Aussage ist umso erstaunlicher, weil ihr Kollege aus Hamburg, der Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar, nach Bekanntwerden des Umfanges der SKB-Speicherungen in Hamburg die Löschung von rund 900 Datensätzen veranlasste. Er sprach von „rechtswidrig erhobenen Daten“.
Generell gilt: Wenn die Polizei Daten sammeln will, muss sie gute Gründe haben. Sie muss sagen, welche Personengruppen warum gespeichert werden sollen und was das überhaupt bringen soll. In der Regel muss diese Vorlage auch von DatenschützerInnen geprüft werden.
Tatsächlich hat die Polizei in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein das jahrelang ignoriert. Es betrifft auch 246 Menschen in Schleswig-Holstein und 2.170 Fans in Hamburg. Dort und in weiteren Bundesländern hat die Polizei Daten von Fußballfans gesammelt, ohne dass DatenschützerInnen oder Fans davon wussten.
Dass Datenschützer die Vorgehensweise der Polizei jetzt überprüft und wie in Niedersachsen sogar als zulässig eingestuft haben, ändert für Hüttl nichts daran, „dass zehn Jahre lang ohne Grundlage rechtswidrig Daten erhoben wurden“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen