Fußball zu Pandemie-Zeiten: Vom großen Kick der Krise
Worüber wir reden, wenn wir uns in diesen Tagen über Sport unterhalten. Es geht um Verantwortung und um Prioritäten.
A uf die Fifa ist noch Verlass. Sie tröstet uns. Ab Samstag stellt sie legendäre WM-Spiele auf ihre Website. Die werden wir natürlich alle anschauen, weil ja sonst nichts läuft. Der Ligasport ist von der Bildfläche verschwunden und lässt ein Publikum zurück, das den Sportentzug erst noch verkraften muss. Der Eventfußball hat sich als Unterhaltungsclown verzipft, wird nicht mehr gebraucht, weil anderes jetzt wichtiger ist.
Trotzdem hält die Öffentlichkeit an ihrer Fußballobsession fest, um eine Leerstelle zu füllen; um den Phantomschmerz des vorübergehenden Verlustes erträglicher zu gestalten. Corona ist dafür wunderbar geeignet, es ist neben allen furchtbaren Folgen, die Sars-CoV-2 zeitigt, auch ein boulevardeskes Virus.
Wir reden in diesen merkwürdigen Tagen eher nicht über die Supermarktkassiererin, die ohne Maske und Handschuhe acht Stunden in ihrem Kassenkobel sitzt und auch den letzten von 400 Kunden noch freundlich begrüßt. Wir reden eher nicht über die Altenbetreuerin, die bei ihren Leutchen im Heim übernachtet, um sie optimal zu betreuen und keine gefährliche Mikrobenlast in die Einrichtung einzuschleppen. Wir reden eher nicht über den Paketzusteller, der gleichfalls völlig ungeschützt an Dutzenden Türen klingelt und wie immer seine Pakete schleppt.
Wir reden über Fußball.
Wir reden mit einem Schauder des Entsetzens über Luka Jović, den millionenschweren Fußballer von Real Madrid, der nach Serbien, in seine Heimat, reist und dort die 14-tägige Quarantäne bricht, sich angeblich in Clubs herumtreibt. Der Staatsanwalt wolle sich um den Fall kümmern, heißt es. Jović hat sich vor seinem Flug testen lassen. Er war negativ. Es stellt sich die Frage nach den Privilegien von Profifußballern in Zeiten des Notstands. Haben sie leichteren Zugang zu Tests, während der Kassiererin gesagt wird, sie hätte keinen Anspruch, weil sie keinen Kontakt zu einem Positiven und nur ein leichtes Hüsteln hätte?
Traingsbetrieb, Spieltage, Egoismus
Wir regen uns über den FC Augsburg auf und AS Rom, Mannschaften, die in den kommenden Tagen ihren Trainingsbetrieb wieder aufnehmen wollen, wohlwissend, dass sie einen Wettbewerb, von dem keiner weiß, wann er wieder anläuft, verzerren. Wir regen uns über den Egoismus eines Aki Watzke auf und die Kurzsichtigkeit der Deutschen Fußball-Liga.
Wir reden über Fußball.
Wir reden über die Halsstarrigkeit der russischen und türkischen Fußballligen, und wir reden nun auch über einen Fußball, der sich mit den Problemen der Niederungen herumschlagen muss: mit Arbeitnehmernöten, mit fristlosen Kündigungen und Kurzarbeit. Die Fans schauen auf die oft gescholtenen „Millionarios“ wie Bunte-Leser auf den blaublütigen Wildpinkler und dürfen sich mit ihrem Schicksal nicht so allein fühlen.
Wir reden über Fußball.
Wir reden darüber, weil wir nicht anders können. Weil sich im Fußball Zeitgeschehen verdichtet. Weil er Arten und Unarten, Menschliches und Allzumenschliches stärker herausstellt. Und wir reden nicht nur über die Verantwortungslosigkeit von Kickern, das Negative, sondern auch von Vorbildern, die verstanden haben, um was es jetzt geht.
Spenden versus Privilegien
Da gibt es zum Beispiel Profis von Borussia Mönchengladbach und Eintracht Frankfurt, die auf einen Teil ihres Gehalts verzichten wollen. Es gibt einen Franck Ribery, der 50.000 Euro an italienische Krankenhäuser spendet. Diese Spieler haben verstanden, dass sie neben ihren Privilegien auch ihren Kontostand checken müssen.
Spieler wie Luka Jović, also die Crème de la Crème des internationalen Riesengeschäfts Fußball, stehen in der Pflicht. Sie müssen teilen. Sie müssen vorbildhaft vorangehen. Sie müssen Charakter zeigen.
Ist schwer, schon klar, aber deswegen reden wir ja über Fußball.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos