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Fußball zu Pandemie-ZeitenVom großen Kick der Krise

Worüber wir reden, wenn wir uns in diesen Tagen über Sport unterhalten. Es geht um Verantwortung und um Prioritäten.

Verstoß gegen Quarantäne-Bestimmungen? Luca Jovic von Real Madrid droht eine Anzeige Foto: Paul White/AP/dpa

A uf die Fifa ist noch Verlass. Sie tröstet uns. Ab Samstag stellt sie legendäre WM-Spiele auf ihre Website. Die werden wir natürlich alle anschauen, weil ja sonst nichts läuft. Der Ligasport ist von der Bildfläche verschwunden und lässt ein Publikum zurück, das den Sportentzug erst noch verkraften muss. Der Eventfußball hat sich als Unterhaltungsclown verzipft, wird nicht mehr gebraucht, weil anderes jetzt wichtiger ist.

Trotzdem hält die Öffentlichkeit an ihrer Fußballobsession fest, um eine Leerstelle zu füllen; um den Phantomschmerz des vorübergehenden Verlustes erträglicher zu gestalten. Corona ist dafür wunderbar geeignet, es ist neben allen furchtbaren Folgen, die Sars-CoV-2 zeitigt, auch ein boulevardeskes Virus.

Wir reden in diesen merkwürdigen Tagen eher nicht über die Supermarktkassiererin, die ohne Maske und Handschuhe acht Stunden in ihrem Kassenkobel sitzt und auch den letzten von 400 Kunden noch freundlich begrüßt. Wir reden eher nicht über die Altenbetreuerin, die bei ihren Leutchen im Heim übernachtet, um sie optimal zu betreuen und keine gefährliche Mikrobenlast in die Einrichtung einzuschleppen. Wir reden eher nicht über den Paketzusteller, der gleichfalls völlig ungeschützt an Dutzenden Türen klingelt und wie immer seine Pakete schleppt.

Wir reden über Fußball.

Wir reden mit einem Schauder des Entsetzens über Luka Jović, den millionenschweren Fußballer von Real Madrid, der nach Serbien, in seine Heimat, reist und dort die 14-tägige Quarantäne bricht, sich angeblich in Clubs herumtreibt. Der Staatsanwalt wolle sich um den Fall kümmern, heißt es. Jović hat sich vor seinem Flug testen lassen. Er war negativ. Es stellt sich die Frage nach den Privilegien von Profifußballern in Zeiten des Notstands. Haben sie leichteren Zugang zu Tests, während der Kassiererin gesagt wird, sie hätte keinen Anspruch, weil sie keinen Kontakt zu einem Positiven und nur ein leichtes Hüsteln hätte?

Traingsbetrieb, Spieltage, Egoismus

Wir regen uns über den FC Augsburg auf und AS Rom, Mannschaften, die in den kommenden Tagen ihren Trainingsbetrieb wieder aufnehmen wollen, wohlwissend, dass sie einen Wettbewerb, von dem keiner weiß, wann er wieder anläuft, verzerren. Wir regen uns über den Egoismus eines Aki Watzke auf und die Kurzsichtigkeit der Deutschen Fußball-Liga.

Wir reden über Fußball.

Wir reden über die Halsstarrigkeit der russischen und türkischen Fußballligen, und wir reden nun auch über einen Fußball, der sich mit den Problemen der Niederungen herumschlagen muss: mit Arbeitnehmernöten, mit fristlosen Kündigungen und Kurzarbeit. Die Fans schauen auf die oft gescholtenen „Millionarios“ wie Bunte-Leser auf den blaublütigen Wildpinkler und dürfen sich mit ihrem Schicksal nicht so allein fühlen.

Wir reden über Fußball.

Wir reden darüber, weil wir nicht anders können. Weil sich im Fußball Zeitgeschehen verdichtet. Weil er Arten und Unarten, Menschliches und Allzumenschliches stärker herausstellt. Und wir reden nicht nur über die Verantwortungslosigkeit von Kickern, das Negative, sondern auch von Vorbildern, die verstanden haben, um was es jetzt geht.

Spenden versus Privilegien

Da gibt es zum Beispiel Profis von Borussia Mönchengladbach und Eintracht Frankfurt, die auf einen Teil ihres Gehalts verzichten wollen. Es gibt einen Franck Ribery, der 50.000 Euro an italienische Krankenhäuser spendet. Diese Spieler haben verstanden, dass sie neben ihren Privilegien auch ihren Kontostand checken müssen.

Spieler wie Luka Jović, also die Crème de la Crème des internationalen Riesengeschäfts Fußball, stehen in der Pflicht. Sie müssen teilen. Sie müssen vorbildhaft vorangehen. Sie müssen Charakter zeigen.

Ist schwer, schon klar, aber deswegen reden wir ja über Fußball.

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Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
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2 Kommentare

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  • Es ist ja wirklich nett, dass manche Spieler ihren Kontostand "checken" um dann eventuell zu spenden. Mit Charakter hat das aber nichts zu tun. Wenn sie den hätten, würden sie nämlich ihr Schaumschlägerabzockmodell in frage stellen.



    Wenn sie Charakter hätten, würden sie sich schämen, dass sie für ein wenig Rumgekicke Millionen bekommen, während Kranken-, Altenpfleger und sonstige in sozialen Berufen Tätige so gerade über die Runden kommen.



    Teilen sieht für mich anderes aus.

    • @APO Pluto:

      Warum werfen Sie den Fussballern das vor, wofür Sie sich schämen müssten und all die anderen (inklusive ich), nämlich dass wir Parteien wählen die immer nur mit dem Hinweis sich rauswinden, der Markt regele das. Und was würde wohl die Gesellschaft sagen, wenn Krankenhausangestellte jetzt erstmal streiken und höhere Gehälter verlangen würden? Ich kann nur hoffen, dass nach dem Überstehen der Pandemie die Medien und die Politik nicht wieder nur von den Nöten der Konzerne vereinnahmt werden.