Fußball mit Bertolt Brecht: Rasantes Wachstum im Osten
Der 1. FC Union schlägt als nun größter Berliner Klub Hertha in allen Belangen. Man mag es als Bestätigung der geleisteten Arbeit lesen. Oder als Gefahr.
N ur zur Erinnerung: Hertha BSC war schon deutscher Fußballmeister. Zweimal sogar. Und der 1. FC Union Berlin noch nie. Das mit den Meisterschaften ist aber durchaus etwas länger her. Um das mal historisch einzuordnen: Die erste Meisterschaft feierte Hertha in dem Jahr, in dem der an Umwälzungsprozessen sehr interessierte Bertolt Brecht die Uraufführung seiner Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ erleben durfte, also 1930. Und bei der zweiten gleich eine Saison später im Jahr 1931 arbeitete Brecht gerade am Drehbuch für den Film „Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?“
Oder, die Frage auf den Platz gebracht: Wer gewinnt?
Diese Woche wurde verkündet, dass Union Berlin im Vergleich zu Hertha die Nase endgültig vorn hat und die Fans sie entsprechend hoch tragen dürfen. Nach der am Dienstag veröffentlichten neuen Mitgliederstatistik des Landessportbunds haben die Eisernen 37.360 Mitglieder, 37.192 halten zur „alten Dame“. Ein knappes Spiel. Trotzdem hat Union Hertha jetzt als größten Berliner Sportverein abgelöst.
Womit Brecht wieder mal recht behalten hat, der in seinem „Lied der Moldau“ darauf hinwies: „Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.“
Es wechseln die Zeiten. Der Platzhirsch im Berliner Fußball muss auf die Ersatzbank, der Underdog macht sich gerade wirklich herausfordernd gut auf dem Spielfeld. Beherzte Unioner dürfen in dieser Saison sogar vom Europapokal träumen, während Hertha momentan knapp vor den Abstiegsrängen steht. Eine Situation übrigens, in die Hertha nach der Logik des Spiels („Geld schießt Tore“) nie hätte kommen dürfen. Schließlich hat der 2019 eingestiegene Investor Lars Windhorst schon 290 Millionen Euro in den Verein gepumpt, bis Sommer sollen weitere 84 Millionen folgen.
So viel Geld. Wobei Union für viele gerade deswegen attraktiv ist, weil der Verein der Ligalogik zu trotzen scheint und auch ohne großes Geld genug Tore schießt. Überhaupt will man den Klub als die Ehrliche-Haut-Alternative sehen, wo der Fußball, wenn es sein muss, noch richtig malocht wird. Ein Herzensverein für FußballromantikerInnen. Dazu passt, dass im Union-Stadion An der Alten Försterei der Spielstand auf der Anzeigetafel weiter per Hand aktualisiert wird.
Und dieses Stadion erklärt auch die rekordhohe Mitgliederzahl. 22.000 ZuschauerInnen (die bestimmt wieder mal reindürfen zum Spiel) fasst es. Im Olympiastadion, wo Hertha kickt, sind es weit über 70.000. Selbst Kurzentschlossene fanden da fast immer mehr als nur ein Plätzchen zum Gucken. Bei Union nicht. Eintrittskarten sind bei dem familiären Ostverein Bückware. Die Chance auf eine haben allein Vereinsmitglieder. Und Erfolg macht beliebt: Mit den jetzt 37.360 Mitgliedern hat man bei Union rund 15.000 mehr als zum Zeitpunkt des Aufstiegs in die erste Liga im Mai 2019.
So einen heuschreckenschwarmgroßen Erfolg mag man als Bestätigung der geleisteten Arbeit lesen. Oder als Gefahr. Die Frage ist schon auch, ob Union Berlin den Erfolg überhaupt aushalten kann, wenn die FußballromantikerInnen den Osten und das Familiäre aus dem Verein gentrifiziert haben.
Aber nur weil der Verein nun der größte ist, halten UnionerInnen die Nase natürlich noch lange nicht hoch. Sicherheitshalber. Sie wissen ja auch, dass Meisterschaften sowieso überbewertet sind.
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