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Fußball im KZ Theresienstadt„Wir waren die Stars von Terezín“

Im Ghetto Theresienstadt gab es eine erste und zweite Liga sowie Pokalwettbewerbe. Den Fußballern drohten stets Deportation und Tod.

Historiker Kevin Simpson: „Theresienstadt war nur eine Station auf dem Weg nach Auschwitz“ Foto: imago/Volker Preußer

Pavel Weiner hat in seinem Tagebuch notiert, was er am 13. August 1944 erlebt hat. „Ich habe schnell mein Essen vertilgt und bin sofort zum Spiel.“ Es fand nämlich das Pokalfinale von Theresienstadt statt. „Während des Spiels werden blaue Papierstücke auf den Platz geworfen“, notiert der begeisterte 13-Jährige. „Das Jufa-Team wird ausgelassen bejubelt.“ Fußball begeisterte Pavel, und sein Team, die „Jugendfürsorge“, die im Lager meist „Jufa“ genannt wurde, gewann auch 5:1 über die „Elektriker“. „Auf dem Weg nach Hause treffen wir einen Jungen, der eine Wette verloren hat und nun mit dem Maulkorb und der Leine einer deutschen Dogge herumlaufen muss.“

Manche Historiker nennen Theresienstadt ein KZ, andere bleiben bei dem Begriff Ghetto, ein Wort, das allerdings auch die Nazis benutzten. Das Leben war hier erträglicher als in anderen KZs, aber die Todesrate lag in Theresienstadt etwa so hoch wie in Dachau oder Buchenwald. Und, wie der Historiker Kevin Simpson schreibt: „Theresienstadt war nur eine Station auf dem Weg nach Auschwitz.“

Dennoch gab es hier zwischen 1943 und 1944 einen intakten Fußballbetrieb – mit erster und zweiter Liga, Pokalwettbewerb, Jugendliga, und einer fußballerischen Innovation, die es sonst nirgends auf dem europäischen Kontinent gab: den Supercup. Das Aufeinandertreffen von Meister und Pokalsieger war bis dato eine englische Spezialität, die Football Association (FA) hatte sie seit 1921. In Deutschland gibt es ihn erst seit 1987, die frühesten Supercups gab es in den Niederlanden 1949 und Zypern 1951.

Den historischen Supercup von 1944 verlor die Jufa mit 1:8 gegen den SK Sparta. Gespielt wurde in einer Kaserne vor 3.600 Zuschauern. „Der Ligameister brillierte vor allem im Abschluss, womit er seine Überlegenheit auch in Tore umwandelte, der Pokalsieger versagte im Angriff dagegen total“, schreibt der tschechische Sportjournalist František Steiner, selbst Schoah-Überlebender. Sein Buch „Fußball unterm gelben Stern“ (Verlag Ferdinand Schöningh) liegt nun auf Deutsch vor (2009 erschien die tschechische Originalausgabe), und es enthält Informa­tio­nen, die bislang kaum bekannt waren. Etwa die zum Supercup.

Privilegien auf Kosten anderer Häftlinge

„Einen Fußball mit Ligasystem gab es nur in Theresienstadt, das ja eine besondere Rolle einnahm“, sagt der Historiker Stefan Zwicker. Er hat Steiners Buch übersetzt und sorgfältig kommentiert. Fußball im Theresienstädter Ghetto, so Zwicker, „unterscheidet sich massiv vom Sport in anderen Lagern, etwa von Buchenwald oder gar von Auschwitz“. Die Historikerin Veronika Springmann, die ihre Doktorarbeit zum Sport in KZs verfasst hat, ergänzt, dass es in anderen Lagern von der SS zugelassen oder geduldet wurde, in Theresienstadt jedoch eine jüdische Ghettoselbstverwaltung gab. „Die hatte 1942 eine Abteilung ‚Freizeitgestaltung‘ eingerichtet, der eine Sektion für Körperertüchtigung und ab 1943 auch eine ‚Fachgruppe Fußball‘ unterstand.“

Die Historikerin Anna Hájková kritisiert, dass die Sportler Privilegien erhalten hätten – auf Kosten anderer Häftlinge. Gerade viele ältere Menschen waren in Theresienstadt und starben dort – oft an den Folgen miserabler Versorgung. Toman Brod, Philosoph und Historiker, der Theresienstadt und ­Auschwitz überlebte, widerspricht: Wegen des Fußballs habe in Theresienstadt niemand gehungert, die Mangelernährung habe andere Gründe gehabt. Der Judenältestenrat, der das Ghetto verwaltete, habe Prioritäten setzen müssen, und die seien zugunsten von Kindern und Jugendlichen ausgefallen.

Brod, 1929 geboren, spielte in der Jugendliga. In seiner Autobiografie „gut, dass man nicht weiss, was kommt“ (2013) berichtet er, dass die Jungen selbst eine Liga organisierten, sich einen Platz auf der „Bastion“ hinter einer Kaserne suchten. Der Künstler Jehuda Bacon, als Jugendlicher im Lager, berichtet, dass sie nachmittags immer zum Fußball gingen. „Jedes Heim hatte seine Mannschaft, seinen Wimpel und seine Tracht.“

Der Überlebende Tomás Kosta spricht vom Fußball vor dem Tode, der zugleich „ein Stück Freiheit“ für die Menschen war

Toman Brod nennt den Fußball in Theresienstadt eine „riesige Ermutigung“, denn er zeigte, „dass wir keine Opfer sind, sondern Menschen“. Der Schriftsteller Ivan Klíma, der auch in der Jugendliga kickte, sagt, er habe gespielt, „weil es eine Flucht vor der Katastrophe war“. Und der Überlebende Tomás Kosta spricht vom „Fußball vor dem Tode“, weil immer wieder Spieler nach Auschwitz und damit in den sicheren Tod deportiert wurden. Aber Fußball sei wichtig gewesen, weil er den Menschen „wenigstens für eine Weile ein Stück Freiheit“ zurückgab. H. G. Adler zitiert in seiner großen Studie „Theresienstadt 1941–45“ (1955) den Überlebenden Alfred Fischl, der von seinem „schönsten Tag“ im Lager berichtet, nämlich „der Augenblick, wo ich als begeisterter Fußballer das erstemal in dem Dreß der G.W. für deren Ehre kämpfen konnte“. Die Abkürzung „G.W.“ steht für Ghettowache.

Ausweg aus dem grauenvollen Alltag

Der Historiker Stefan Zwicker zitiert den Schriftsteller Arnošt Lustig, der den Fußball im KZ mit Sexualität oder Kunst verglichen hat: „Er kann den Menschen ähnlich befreien. Es stellte einen Ausweg aus dem grauenvollen Alltag im Lager dar.“ Lustig war übrigens Torwart der Mannschaft „Bastei“. Jiří Taussig-Tesář, vor seiner Deportation einmal tschechischer Na­tio­nal­tor­wart, sagte: „Wir waren die Stars von Terezín. Die Jungen sahen ins uns Vorbilder, wir gaben ihnen Hoffnung, und wir repräsentierten das Leben.“

Über die Bedeutung des Fußballs in Theresienstadt geben mittlerweile ein Film („Liga Terezín“, Regie: Oded Breda, Israel 2015) und eine Ausstellung, die dauerhaft in Israel zu sehen ist, Auskunft. 2012 wurde sie im ehemaligen Lager gezeigt.

Was jüngere Forschung zum Fußball in Theresienstadt in den vergangenen Jahren zutage förderte, ist das Wissen über das hohe Niveau, auf dem gespielt wurde. „Ein 35-Meter-Schuss von Egon Reach in die obere Ecke des Tores wird von mehr Überlebenden erwähnt als alles andere“, schreibt Kevin Simp­son („Soccer under the Swastika“, 2016). Der Treffer ist auch deswegen so bemerkenswert, weil die Tore klein waren, etwa wie beim Handball. Überhaupt mussten damalige Spitzenfußballer wie Egon Reach, Ignaz „Nati“ Fischer, der tschechische Nationalspieler Paul Mahrer oder der Torwart Jiří Taussig-Tesář mit anderen Regeln auskommen. Gespielt wurde meist in engen Kaserneninnenhöfen, daher war die Mannschaftsgröße auf sieben beschränkt. Spiele dauerten zweimal 35 Minuten, zudem bestand der Boden der Plätze „aus Lehm mit Kieseln“, wie František Steiner schreibt, und wenn es nach einer Verlängerung noch unentschieden stand, entschied eine Art „Golden Goal“. Noch eine fußballerische Innovation aus Theresienstadt.

Und das unter den Bedingungen dauernder Gefahr. „Jeden Montag von 10 Uhr bis 14 Uhr gab es ein Transferfenster, in dem die Mannschaften Spieler ersetzen konnten, die sie verloren hatten oder die deportiert wurden“, macht Simpson an einem Beispiel die prekäre Si­tua­tion deutlich.

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Das Supercup-Spiel ist übrigens filmisch dokumentiert. In dem Film, der oft und fälschlich „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ genannt wird – offiziell heißt der Streifen „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ – und in dem ein normaler Alltag in Theresienstadt vorgegaukelt wird, sind Bilder des 8:1-Siegs des SK Sparta über die Jugendfürsorge zu sehen, plus begeisterte Zuschauer. Der Film war zur Täuschung beispielsweise des Internationalen Roten Kreuzes gedreht worden. Die meisten seiner Protagonisten wie etwa auch der Regisseur, der jüdische Schauspieler Kurt Gerron, wurden später in ­Auschwitz ermordet. Toman Brod schreibt über die Fußballszenen des Propagandafilms: „In diesem Fall log er nicht.“

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1 Kommentar

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  • Zitat: "Toman Brod schreibt über die Fußballszenen des Propagandafilms: „In diesem Fall log er nicht.“

     

    Ach nein? Dieser Film „[gaukelt] ein[en] normale[n] Alltag in Theresienstadt vor[]“, indem er ein Fußballspiel „plus begeisterte Zuschauer“ abbildet. Die Deutschen, für die dieser Film gedacht war, sollten sich offenbar zurücklehnen und denken: „Der Führer schenkt den Juden also nicht nur eine Stadt, sondern sogar einen eigenen, haushohen Sieg und das entsprechende Glücksgefühl dazu.“ Das kann man sicherlich so sehen. Manche Geschenke allerdings würden man dann doch ganz gerne ablehnen als Beschenkter, wenn man denn die Möglichkeit dazu bekäme.

     

    Nein, nicht der Film hat gelogen. Seine Zuschauer haben das getan. Und die Filmemacher wussten ganz genau, dass sie sich auf ihre Pappenheimer würden verlassen können.

     

    Auch das gehört zu den Schrecken dieser extrem dunklen Epoche deutscher Geschichte, dass sich die Opfer, wenn sie überleben wollten, zu Propagandazwecken missbrauchen lassen mussten von ihren Peinigern. Sie hatten, wie man so schön sagt, die Wahl zwischen Pest und Cholera. Sie konnten entweder Werbung machen für ihre Peiniger, oder resignieren. Wer mag, kann sich nun fragen, wie er selber entschieden hätte.

     

    Nun ja. Eine Erfindung der Nazis war diese Art Machtmissbrauch natürlich nicht. Das Prinzip gibt es seit Anbeginn unsrer Kultur. Nicht umsonst wird das horizontale auch als das „älteste Gewerbe der Welt“ bezeichnet. Was, so dargestellt, sicher nicht falsch ist. Nur eben auch nicht die gesamte Wahrheit. Schließlich: Jeder Untertan, auch jeder männliche, kennt das Gefühl, sich selbst verleugnen, sich missbrauchen lassen zu müssen um des nackten Überlebens willen. Und (fast) jeder Untertan belügt sich selbst in der Beziehung. Man musst ja schließlich seinen Stolz bewahren, wenn man schon sonst kaum etwas hat...