Fürsorgliche Freundschaften: Such dir doch 'ne eigene Familie!

Soziologen beobachten, dass Freunde immer mehr die Rolle von Verwandten übernehmen. Aber wer zwingt sie zu bleiben, wenn es unangenehm wird?

Freundschaften als Konstante? Wäre schön Bild: photocase / mi.la

Allan Karlsson ist hundert Jahre alt, trägt braune Lederpantoffeln, beige Hosen und dunkle Morgenmäntel und lebt in einem düsteren Zimmer im Altersheim. Alle seine Verwandten sind gestorben, Kinder hatte er nie. Eigentlich wartet er nur noch auf den Tod.

Nur wenige Wochen später sitzt derselbe Allan Karlsson in einem Hotel auf Bali, gemeinsam mit Menschen, die er nach seinem Ausbruch aus dem Altersheim auf einer irren Odyssee durch Schweden um sich geschart hat. Ein Gelegenheitsdieb, ein Langzeitstudent und eine Frau, die zuvor alleine mit ihrem Elefanten auf einem abgelegenen Hof gewohnt hat. Einsame, die auf einer Flucht vor Rockerbanden und der Polizei zusammengewachsen sind. Zu einer Art Ersatzfamilie.

Die Verfilmung des Erfolgsromans „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ läuft gerade in den deutschen Kinos. Eine absurde Geschichte, könnte man sagen, ein Märchen. Aber so ungewöhnlich die Kombo um Allan Karlsson erscheint, so alltäglich ist das Phänomen, dass sie verkörpert: Es ist nie zu spät, sich eine neue Familie zu suchen.

Der Hamburger Sozialwissenschaftler Janosch Schobin hat untersucht, dass Freunde mehr und mehr Verantwortung füreinander übernehmen, auf eine Art, die lange Verwandten vorbehalten war. „Das Bild der fürsorglichen Freundschaft taucht als Hoffnungsträger auf“, schreibt er in seinem Buch „Freundschaft als Fürsorge“. Das liege an dem demografischen Wandel und der niedrigen Geburtenrate, genauso wie an der Veränderung tradioneller Lebensformen.

Freunde übernehmen heute Aufgaben, um die sich lange die Familie gekümmert hat. Aber bleiben sie auch, wenn es unangenehm wird? Einen Essay dazu lesen Sie in der taz.am wochenende vom 10./11. Mai 2014 . Außerdem ein Gespräch mit Manfred Stolpe. Er war Verkehrsminister, als er an Krebs erkrankt ist. Heute geht es ihm besser, als in manchen Zeitungen steht, sagt er. Und: Warum es exzentrisch ist, normal zu sein. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Wichtiger als eine glückliche Partnerschaft

In der Titelgeschichte „Wahlverwandtschaften“ in der taz.am wochenende vom 10./11. Mai 2014 stellt die Autorin Susanne Lang die Frage, ob Freunde heute die bessere Familie sind. „Wenn Ehen geschieden werden und man den Arbeitsplatz alle paar Jahre wechselt, werden Freundschaften zur Konstante“, schreibt Lang. Das Problem dabei: Freunde seien einander zu nichts verpflichtet, im Gegensatz zu den Mitgliedern der klassischen Kernfamilie.

Susanne Lang erkundet, wie viel moderne Freundschaften aushalten können und erzählt davon, was sie selbst erlebte, als sich die Geburt ihres zweiten Kindes um die Weihnachtszeit herum ankündigte. Weil die Omas und Opas in Süddeutschland leben und die Schwester verplant war, machten am Ende Freunde gemeinsam einen Notfallplan zur Betreuung der größeren Tochter für die Stunden im Kreißsaal.

Doch wie passt das Ideal der fürsorglichen Freundschaft in die Zeit von Facebook und Whatsapp, eine Zeit, in der Pessimisten immer wieder das Ende der echten Freundschaft konstatieren? Einer Allensbach-Studie zufolge glauben 73 Prozent der Menschen nicht, dass Internetfreundschaften so tiefgehend sein können wie persönliche Freundschaften. Gleichzeitig ist es für die meisten Deutschen der wichtigste Wert im Leben, gute Freunde zu haben - zu diesem Ergebnis kommt die Jacobs-Studie 2014 „Freunde fürs Leben“. Erst danach folgen Familie, glückliche Partnerschaft und ein selbstbestimmtes Leben.

Wie weit kommt man mit einem solchen Ideal von seelenverwandten Freunden, wenn es nicht um die Frage geht, welche Pferde man gemeinsam stiehlt, sondern darum, wer als Babysitter einspringen kann? Kann die Verbindlichkeit unter Freunden denen in einer Familie gleichen? Und gehen Sie mit der Autorin Susanne Lang konform, wenn sie über die Unsicherheit moderner Beziehungen schreibt: „Man kann immer wählen, darf sich allerdings niemals sicher sein, dass man auch gewählt wird“?

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Die Titelgeschichte „Wahlverwandtschaften“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 10./11. Mai 2014.

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