: „Für mich ist es in der Außendarstellung schwieriger“
SPD-Landeschefin Nicola Böcker-Giannini über die Macht der Männer, die Abgeordnetenhauswahl 2026 und das zentrale Thema Mieten und Wohnen beim Landesparteitag am Wochenende
Interview Rainer Rutz
taz: Frau Böcker-Giannini, viele sprechen von einem unwürdigen Schauspiel, das Ihre Partei mit Ihrer Noch-Bundesvorsitzenden abgezogen hat. Wie empfinden Sie als Berliner SPD-Landeschefin den Umgang mit Saskia Esken?
Nicola Böcker-Giannini: Unwürdig ist ein großer Begriff. Aber wir müssen als Partei schauen, wie wir mit dem eigenen Personal an so einer Stelle umgehen. Kernthemen der SPD sind Respekt, Vertrauen und Solidarität. Das müssen wir nach außen und nach innen leben. Da sollten wir uns durchaus hinterfragen.
taz: Sie finden es nicht bizarr, dass nach einer Schlappe wie jetzt bei der Bundestagswahl in einem männlich-weiblichen Führungsduo der Mann Lars Klingbeil weiter aufsteigt, während die Frau Saskia Esken abgesägt und ersetzt wird?
Böcker-Giannini: Saskia Esken war 2021 Teil des Erfolgs, genau wie Lars Klingbeil. Beide tragen Verantwortung für das Ergebnis 2025. Dass Saskia Esken nun nicht erneut antritt, hat sicherlich vielschichtige Gründe. Grundsätzlich müssen wir uns in der SPD aber schon hinterfragen, warum alle wesentlichen Posten mit Männern besetzt sind, obwohl wir viele gute Frauen haben. Es ist ein Stück weit so, dass es Frauen in dieser Gesellschaft und der Politik schwerer haben, gesehen zu werden.
taz: Gilt das auch für die Berliner SPD, also für Sie?
Böcker-Giannini: In Sachen Frauenförderung können wir sicher immer besser werden. Martin Hikel und ich als Landesvorsitzende arbeiten aber sehr solidarisch miteinander. Wir respektieren und vertrauen uns.
taz: Aber im Zweifelsfall ist Ihr Co-Vorsitzender – der Mann – medial präsenter als Sie.
Böcker-Giannini: Ja, für mich ist es in der Außendarstellung schwieriger. Es gibt ein Missverhältnis dadurch, dass ich zwar Parteivorsitzende bin, aber kein weiteres Amt bekleide. Martin Hikel ist auch Bezirksbürgermeister von Neukölln. Nehmen Sie die Spitzenkandidatur für die Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr: Da habe ich meinen Namen noch nie in der Presse gelesen. Ob er da hingehört oder nicht, ist eine andere Debatte. Aber es ist schon interessant.
taz: Es ist auch deshalb interessant, weil schon bei Ihrer gemeinsamen Wahl vor einem Jahr nur der 2-Meter-Mann Hikel gefragt wurde, ob das seinerseits auch eine Bewerbung für das Amt des Regierenden Bürgermeisters ist.
Böcker-Giannini: Dem 2-Meter-Mann wird auch oft zuerst das Mikrofon unter die Nase gehalten, wenn wir nebeneinanderstehen. Das ist auch eine mediale Verantwortung. Aber intern agieren wir auf Augenhöhe.
taz: Gehört Ihr Name denn auf die Liste möglicher Spitzenkandidat*innen für die Wahl 2026?
Böcker-Giannini: Natürlich haben Landesvorsitzende immer ein Zugriffsrecht. An Spekulationen beteilige ich mich aber nicht. Diese Frage klären wir als Partei gemeinsam zu gegebener Zeit.
taz: Bei der Wahl 2021 hat Ihre Partei frühzeitig Franziska Giffey mit viel PR und dann ja auch erfolgreich zur Frontfrau aufgebaut. Diesmal wollen sie sich bis Herbst Zeit lassen. Warum diese Leisetreterei?
Böcker-Giannini: Wir haben immer kommuniziert, dass wir die Prozesse aufeinander abstimmen. Im Rahmen des von uns angestoßenen großen Zukunftsprozesses Berlin 2035 zur Neuaufstellung der Berliner SPD erarbeiten wir die Inhalte, zu der eine Spitzenkandidatur dann passen muss. Das ist der vereinbarte Weg.
taz: Das mag ja sein. Zugleich zirkulieren bereits etliche Namen, von Martin Hikel über Franziska Giffey und Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe bis zu SPD-Fraktionschef Raed Saleh.
Böcker-Giannini: Wir verständigen uns in den Gremien auf einen Zeitablauf für die Besetzung. Ich werde mich an den Spekulationen, wer es werden könnte, nicht beteiligen.
taz: Was sollte eine Spitzenkandidatin, ein Spitzenkandidat mitbringen? Tiktok-Präsenz und Popularität, mit einem Hang zu Populismus, wie es die Linke im Bund zuletzt vorgemacht hat?
Böcker-Giannini: Man kann nicht eins zu eins kopieren, was woanders mal funktioniert hat. Wir sind die Berliner SPD und eine Spitzenkandidatur muss in allererster Linie zu uns passen und selbstverständlich auch zur Stadt. Wir haben den Anspruch, Regierungspartei zu sein. Das heißt, eine Spitzenkandidatur muss auch anschlussfähig sein, sowohl zu Grünen und Linken als auch zur CDU, und am Ende eine große Akzeptanz in der Bevölkerung erfahren.
taz: Sie sind vor einem Jahr angetreten, die Partei wieder zu einen. Richtig gelungen ist Ihnen das bislang nicht. Die Berliner SPD gilt immer noch als zerstrittener Haufen.
Böcker-Giannini: Martin Hikel und ich haben immer gesagt, dass wir Brücken bauen wollen, und damit haben wir begonnen. Es wäre nach einem Jahr aber auch vermessen zu glauben, dass das, was über viele Jahre auseinandergegangen ist, so schnell wieder zusammenkommt. Das ist ein Prozess, der nicht immer ganz einfach ist. An vielen Stellen haben wir das schon geschafft. Aber wir haben alle noch ein paar Hausaufgaben zu machen.
taz: Das heißt?
Nicola Böcker-Giannini steht seit Mai 2024 mit Martin Hikel an der Spitze der Berliner SPD. Zwischen 2016 und 2021 war die Sportwissenschaftlerin Mitglied des Abgeordnetenhauses, im Anschluss Sportstaatssekretärin bei SPD-Senatorin Iris Spranger. 2023 wurde sie von Spranger gefeuert. Die 50-Jährige wird dem rechten Flügel der SPD zugeordnet.
Böcker-Giannini: Wir müssen in der Partei wieder lernen, unterschiedliche Meinungen auszuhalten, uns auch selbst nicht immer ganz so wichtig zu nehmen und die eigenen Punkte nicht zu 100 Prozent durchsetzen zu wollen. Wir müssen wieder dahin kommen, das zu tun, was Parteiarbeit in einer Demokratie ausmacht: gute Kompromisse zu finden, einander zu respektieren und gemeinschaftlich nach vorn zu schauen.
taz: Auf dem Landesparteitag am Wochenende will die SPD das Thema Wohnen und Mieten groß machen. Im Leitantrag dazu heißt es: „Wir wollen ein Berlin, in dem Wohnen keine Alltagssorge darstellt.“ Eine etwas späte Erkenntnis, oder?
Böcker-Giannini: Nein, warum?
taz: Nun, die SPD stellt seit fast 30 Jahren die für den Wohnungs- und Mietmarkt zuständigen Senator*innen – mit einer kleinen Unterbrechung von fünf Jahren.
Böcker-Giannini: Wenn man regiert, trägt man Verantwortung. Beim Thema Mieten, Bauen, Wohnen darf man aber nicht vergessen, dass die entscheidenden Weichen vielfach auf Bundesebene gestellt werden. Nichtsdestotrotz haben wir in Berlin in den letzten Jahren unter Christian Gaebler viele Dinge verändert. Ich nenne nur das „Schneller-Bauen-Gesetz“, mit dem Bürokratie und lange Genehmigungsverfahren angegangen werden. Das erfährt gerade aus der Wirtschaft viel Lob. Wir sind auf einem guten Weg.
taz: Sie reden jetzt nur über „Bauen, Bauen, Bauen“ und die Wirtschaft, nicht aber über den Schutz der Mieter*innen.
Böcker-Giannini: Mieten und Wohnen ist natürlich das zentrale Thema für Menschen in dieser Stadt und ein zentrales Thema für die SPD. Wohnen darf keine Luxusveranstaltung sein. Für uns als SPD gehört hier aber das Bauen dazu. Dabei ist entscheidend, dass genug Wohnungen gebaut werden – auch für Menschen, die nicht viel Geld haben. Deshalb wollen wir die Quote für Sozialwohnungen im kooperativen Baulandmodell von derzeit 30 auf 50 Prozent anheben. Auch das steht im Leitantrag.
taz: Wohnen soll also kein Luxus sein. Trotzdem hat Ihr Bausenator Gaebler nun in Friedrichshain-Kreuzberg den Bezirk entmachtet, um an der Warschauer Straße einem Investor schneller Baurecht zu verschaffen, der dort einen 140-Meter-Turm mit vielen, absehbar sehr teuren Wohnungen hochziehen will. Wie passt das zusammen?
Böcker-Giannini: Grundsätzlich hilft erst mal jede Wohnung, die gebaut wird, in Berlin weiter. Da darf es auch die eine oder andere Wohnung im Luxussegment geben. Das trifft ja offensichtlich auf einen Markt. Und am Ende des Tages führt es auch dazu, dass Menschen in dieser Stadt wohnen, die entsprechend Geld mitbringen, das sie dann auch an anderen Stellen ausgeben können.
taz: Hat die SPD bei diesem Thema nicht ein Imageproblem?
Böcker-Giannini: Nein. In der Berliner SPD existieren unterschiedliche Interessenlagen. Das ist auch völlig normal. Es gibt diejenigen, die mehr bauen wollen, und diejenigen, die eher vergesellschaften wollen. Für uns als Landesvorsitzende besteht auch an dieser Stelle die Herausforderung darin, hier einen guten Mittelweg zu finden. Das schaffen wir auch mit unserem Leitantrag.
taz: Sie haben die Koalition mit der CDU stets begrüßt, während Kritiker*innen vor einer Selbstverzwergung der SPD gewarnt haben. Tatsächlich sitzt Ihre Partei in Umfragen eingemauert bei 15 Prozent. Schadet Schwarz-Rot am Ende nicht doch der SPD?
Böcker-Giannini: Eine Volkspartei wie die SPD muss mit allen demokratischen Parteien koalieren können – außer natürlich mit der AfD. Das Wahlergebnis sprach 2023 auch eine deutliche Sprache: Die Berliner*innen haben der damaligen Regierung einen Denkzettel verpasst. Deshalb war meine Einschätzung, dass das stabilere Regieren mit der CDU möglich ist. Auch wenn es uns am Ende das Rote Rathaus gekostet hat. Ob die schwarz-rote Konstellation am Ende für uns als SPD gewinnbringender ist, als es ein rot-grün-rotes Bündnis gewesen wäre, ist Spekulation und schwer vorherzusagen. Dass wir jetzt auch Schwarz-Rot auf Bundesebene haben, wird es für uns aber wahrscheinlich nicht einfacher machen.
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