Für einen Abbruch ins Ausland: „Abtreibungen sind okay“
In Polen gibt es eine neue Hotline für ungewollt Schwangere. Dass es dafür Geld gibt, hat mit einer Gesetzesreform in Irland zu tun.
taz: Frau Więckiewicz, Sie und andere haben am Dienstag in Warschau die Initiative „Abortion without Borders“ vorgestellt. Um was geht es?
Karolina Więckiewicz: „Abortion without Borders“ soll ungewollt Schwangeren in Polen helfen, sich zu informieren und falls gewollt Zugang zu einer sicheren Abtreibung zu bekommen. Da gibt es in Polen sehr hohe Hürden. Ab sofort können alle unsere Hotline anrufen und bekommen dort Informationen und Beratung, und zwar sachlich und neutral, ohne Verurteilung.
Um was geht es in der Beratung?
Um alles, was gebraucht wird. Wir bieten allgemeine Informationen zu Schwangerschaft und Abtreibung, vermitteln aber wenn nötig auch Informationen und Kontakte, um Abtreibungen zu Hause oder im Ausland zu ermöglichen. Wir bringen die Menschen dann zum Beispiel mit der Gruppe Ciocia Basia in Berlin zusammen, die Polinnen hilft, für eine Abtreibung nach Deutschland zu kommen.
Wer steht dahinter?
Die Initiative ist aus der Zusammenarbeit von sechs informellen Gruppen und Organisationen aus vier Ländern entstanden, darunter wir vom Abortion Dream Team. Alle haben schon vorher ungewollt Schwangeren geholfen. Neu ist, dass es eine zentrale Hotline gibt, die alles verbindet. Und vor allem: die sichere Finanzierung.
38 Jahre alt, lebt in Warschau und ist Anwältin und als Aktivistin Teil des Abortion Dream Team. Zusammen mit fünf anderen bildet diese Gruppe die Initiative „Abortion without Borders“.
Woher kommt die?
Es gibt eine britische Organisation namens Abortion Support Network (ASN), die seit mehr als zehn Jahren Abtreibungen für ungewollt Schwangere in Irland, Nordirland und der Isle of Man finanziert hat. Als dort die Abtreibungsgesetze geändert wurden, konnte das ASN seine Hilfe auf Malta und Gibraltar ausdehnen – und ab jetzt finanzieren sie auch Abtreibungen für Menschen aus Polen.
Warum ist diese Hilfe so wichtig?
Weil Abtreibungen Geld kosten. Der Eingriff selbst, aber auch die Reise oder das Übersetzen von Dokumenten. Der finanzielle Aspekt ist eine der größten Hürden beim Zugang zu Abtreibungen. Ob jemand Geld hat oder nicht, darf aber nicht darüber entscheiden, ob eine Schwangerschaft ausgetragen wird oder nicht. Ob die verschiedenen Gruppen Kosten übernehmen konnten, hing bisher immer von ihrer eigenen finanziellen Lage ab. Jetzt ist es egal, ob eine Person Geld mitbringt; denn wir haben selber welches und können helfen. Menschen spenden, um anderen Menschen Abtreibungen zu kaufen. Das ist wunderbar.
Wie steht es mit dem Zugang zu Abtreibungen in Polen?
Es gibt nur drei Fälle, in denen Abtreibungen erlaubt sind: Wenn die Schwangerschaft durch eine kriminelle Handlung entstanden ist, wenn sie das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren bedroht oder wenn der Fötus schwerst geschädigt ist. Aber selbst unter diesen Bedingungen sind Abtreibungen kaum möglich, weil fast alle Kliniken und Ärztinnen und Ärzte den Eingriff aus Gewissensgründen verweigern. Wir helfen auch Frauen, an die Abtreibungspille zu kommen oder ins Ausland zu fahren, die eigentlich ein Anrecht auf einen legalen Abbruch in Polen hätten. Und: 96 Prozent der Abtreibungen in Polen passieren, weil jemand sich gegen ein Kind entscheidet. Diese Menschen werden einfach alleingelassen.
Ist das ein Thema, das öffentlich diskutiert wird?
Nein. Das Stigma rund um das Thema Abtreibung ist enorm, niemand will darüber reden, niemand will damit in Verbindung gebracht werden. Offiziell haben nur 1.000 polnische Frauen im Jahr eine Abtreibung – bei einer Bevölkerung von 37 Millionen Menschen. Wir schätzen, dass es eher um die 150.000 Abtreibungen sind. Die Tabuisierung trägt noch dazu bei, dass Abtreibungen in Polen unsicherer werden. Sie sind nicht Teil der medizinischen Ausbildung, Ärztinnen und Ärzte haben wenig Übung und kennen die modernen Methoden nicht. Selbst feministische Kreise sind nicht frei von diesem Stigma.
Inwiefern?
Wir vom Abortion Dream Team gelten selbst unter Feministinnen als radikal. Wir benutzen helle und bunte Farben und sagen: Abtreibungen sind okay. Ihr alle kennt und liebt Menschen, die abgetrieben haben. Der feministische Mainstream fordert zwar, dass Abtreibungen legal sein müssen – sagt aber trotzdem, dass sie etwas ganz Schlimmes sind. So haben wir früher auch gedacht. Aber heute sagen wir: Abtreibungen sind etwas Normales, es wird sie immer geben.
Würde ein liberalerer Zugang zu Sexualität helfen, Abtreibungen zu verhindern?
Sicher. Wenn die sexuelle Aufklärung besser wäre und wenn es einen besseren Zugang zu Verhütungsmitteln gäbe, dann gäbe es weniger ungewollte Schwangerschaften. Aber eben nicht keine. Jede Verhütung kann scheitern. Abtreibungen sind Teil unseres Lebens als sexuelle Wesen, wir müssen offen darüber sprechen. Und deswegen müssen sie nicht nur legalisiert werden, sondern es sollte gar keine eigenen Gesetze dafür geben. So, wie es für andere medizinische Versorgungsangebote ja auch ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“