Frontex über europäische Grenzen: „EU-Recht verlangt Grenzkontrollen“
Mit den Flüchtlingstragödien im Mittelmeer habe die Grenzsicherungsagentur Frontex nichts zu tun, sagt deren stellvertretender Direktor Gil Arias.
taz: Herr Arias, stellen wir uns vor, ich bin ein junger Syrer, der dem Krieg entkommen will. Ich weiß, dass ich in Europa Asyl erhalten könnte. Wie komme ich hier rein?
Gil Arias: Frontex ist nicht für Asyl zuständig. Wenn Asylsuchende als irreguläre Migranten kommen, gibt es zwei Dinge, die wir tun: Das so genannte Screening, bei dem wir die Identität und Herkunft der Migranten festzustellen versuchen. Und das – freiwillige – De-Briefing. Dabei befragen wir die Migranten über ihre Migrationsroute. Das dient der Bekämpfung von Schleppern. Wenn die Migranten dabei sagen, dass sie Asyl beantragen wollen, leiten wir sie an die zuständigen Behörden weiter.
Flucht findet in der Regel als „irreguläre Migration“ statt. Die zu verhindern, ist ihre Aufgabe. Arbeiten Sie nicht vor allem daran, dass Asylsuchende möglichst gar nicht mehr in der EU ankommen?
Unsere Aufgabe ist es, die EU-Strategie für ein integriertes Grenzmanagement umzusetzen. Dazu gehört viel mehr – auch, den Migranten beim Zugang zum Asylverfahren zu helfen. Es ist wahr: Das EU-Recht verlangt Grenzkontrollen. Und die haben zum Ziel, Menschen daran zu hindern, die Grenzen irregulär zu überqueren, und solche Migranten aufzuspüren. Dabei helfen wir. Aber Frontex-Operationen bestehen nicht nur aus der Grenzkontrolle.
Syrische Flüchtlinge, die versucht haben aus der Türkei nach Giechenland zu kommen, berichten, dass die griechische Küstenwache sie gestoppt und in die Türkei zurück geschleppt habe. Dabei seien sie teils misshandelt worden. Was wissen Sie darüber?
Wir haben solche Berichte bekommen, auch aus den De-Briefing-Interviews, die wir mit den Migranten machen. Dabei wurde aber klar, dass keine Grenzschützer aus anderen EU-Staaten, die für Frontex-Missionen nach Griechenland entsandt wurden, an solchen Aktionen beteiligt waren. Wir haben die griechischen Behörden um Aufklärung gebeten.
Und was haben die gesagt?
In einigen Fällen haben sie gesagt, dass sie die Vorwürfe nicht bestätigen können. In anderen Fällen läuft die Untersuchung noch.
58, Stellvertretender Direktor der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Seine Karriere begann er bei der spanischen Polizei, er stieg in die Führung der Abteilung auf, die Menschenschmuggel bekämpft und war später an den Verhandlungen zum Schengener Abkommen beteiligt.
Am 25. Januar ertranken nahe der griechischen Insel Farmakonisi 12 Menschen aus Syrien und Afghanistan. Die Überlebenden dieses Unglücks berichten, ihr Boot sei gekentert, als die griechische Küstenwache sie mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Türkei zurück geschleppt habe. Was wissen Sie darüber?
Es laufen zwei Untersuchungen: Eine der Küstenwache und eine der Staatsanwaltschaft. Das warten wir ab. Bislang wissen wir nur, dass keine europäischen Frontex-Beamten aus anderen EU-Staaten an diesem tragischen Vorfall beteiligt waren.
Haben Frontex-Mitarbeiter mit den Überlebenden gesprochen?
Nein. Das war keine Operation von uns. Das ist deshalb außerhalb unserer Möglichkeiten.
In der Region betreibt Frontex die ,Poseidon'-Mission, mit der es Griechenland bei der Grenzsicherung unterstützt. Müssten Sie die nicht unterbrechen, bis feststeht, dass Griechenland keine solchen illegalen Zurückschleppungen mehr betreibt?
Wenn es schwerwiegende Grundrechtsverletzungen gäbe, könnten wir unsere gemeinsame Operationen mit Griechenland aussetzen oder stoppen. Aber wir haben keine Hinweise, dass Grundrechtsverletzungen oder die Tragödie von Farmakonisi im Rahmen unserer gemeinsamen Operationen geschehen sind. Und nur darauf können wir reagieren.
Jetzt verabschiedet die EU neue Regeln für die Sicherung der Seegrenzen. Dann können Sie Flüchtlinge schon auf Hoher See aufhalten. Nehmen wir an, ihre Leute stoppen auf dem Mittelmeer ein Boot mit 40 Menschen aus Tschad, Westsahara und Eritrea. Was geschieht?
Wenn wir das Boot in Hoheitsgewässern stoppen, werden die Menschen an die Küsten dieses Landes gebracht. Wenn wir das Boot in internationalen Gewässern anhalten, dann werden die Menschen in das Land zurück gebracht, in dem sie vermutlich losgefahren sind. Es muss aber immer vorher geprüft werden, ob die Migranten dort sicher sind, ob ihre Grundrechte respektiert werden.
Die Herkunft der Menschen spielt also keine Rolle, es geht nur noch darum, wo sie losgefahren sind?
Ja. Es geht allein um das Land, in dem sie losgefahren sind. Uns interessiert nur, ob sie da sicher sind, oder nicht.
Auch, wenn sie aus einem Kriegsgebiet kommen?
Wenn das Land, in dem sie losgefahren sind, sicher ist, können sie auch dort Asyl bekommen. Das ist aber eine theoretische Situation. In unser Praxis bringen wir alle nach Europa.
Das mag jetzt so sein. Die Gesetze ändern sich aber gerade. Die Frage ist deshalb, was Sie in Zukunft tun – etwa mit Flüchtlingen, die über Libyen kommen. Dort gibt es kein Asylsystem.
Lassen Sie uns darüber sprechen, was wir jetzt tun und nicht über die Zukunft spekulieren. Sie fragen, wie wir ein Gesetz umsetzen, dass es noch gar nicht gibt. Wir wissen nicht, wann die Verordnung kommt und wir wissen nicht, ob Libyen dann sicher ist.
Die neue Verordnung verpflichtet Frontex-Missionen, Hilfe in Seenot zu leisten.
Das internationale Seerecht verpflichtet jeden, auch Frontex, Menschen in Not zu retten. Das ist nicht neu.
Es gab aber sehr unterschiedliche Meinungen darüber, wann Seenot beginnt. Jetzt jedenfalls ist die Pflicht zur Seenotrettung für Frontex auch Teil des EU-Rechts. Das ist neu. Frankreich, Italien, Griechenland, Spanien und Malta haben aber in den Gesetzgebungsprozess eingegriffen. Sie wollten unbedingt verhindern, dass Frontex diese Pflicht auferlegt wird. Warum?
Keine Ahnung. Das müssen Sie diese Länder fragen.
Was halten Sie von dieser Erklärung: Die Länder wollten, dass für Flüchtlinge das Risiko, nicht aus Seenot gerettet zu werden, hoch bleibt. Diese Gefahr soll sie abschrecken.
Alles was ich dazu sagen könnte, wäre reine Spekulation und ich werde über die Motive dieser Länder nicht spekulieren.
In Libyen will die EU Grenzschützer trainieren. Deutschland ist an dieser Mission beteiligt, auch Frontex soll helfen.
Frontex soll den Europäischen Auswärtigen Dienst der EU dabei unterstützen, libysche Grenzbeamte zu trainieren. Das Training hat wegen der Sicherheitslage aber noch nicht begonnen.
In der Praxis würden sie dort Milizionäre, nicht-staatliche Kämpfer ohne demokratische Legitimation ausbilden.
Wir haben keine Kapazität das zu prüfen. Wir verlassen uns auf den Europäischen Auswärtigen Dienst, der dazu befähigt ist, die Lage zu bewerten.
Zu Gaddaffis Zeiten wurden subsaharische Transitmigranten in Libyen besonders grausam behandelt. Ähnliche Berichte gibt es aber auch über die jetzt herrschenden Milizen. Sind das Partner für Sie?
Wir haben Informationen über solche Praktiken aus der Gaddaffi-Ära. Was die Zeit nach der Revolution angeht, haben wir keine solchen Erkenntnisse. Wenn wir Belege dafür hätten, dass es wiederholte, schwerwiegende Grundrechtsverletzungen in Libyen gibt, müssten wir unsere Beteiligung überdenken. Aber die EU-Kommission hat da mehr Einblick als wir. Wir erwarten von ihr, uns da ein angemessenes Bild vermitteln.
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