Friedenszeichen im Irak: Bagdad fängt von vorne an
Seit Sommer sinkt die Gewalt in Bagdad. Noch ist sie hoch, doch es macht sich zarter Aufschwung breit. Wo bislang Autowracks ausbrannten, finden sich vereinzelt Grünanlagen.
BAGDAD taz Das erste Anzeichen, dass sich die Sicherheitslage in Bagdad verbessert hat, sind die Verkehrsstaus. Obwohl an jedem Knotenpunkt jeweils ein halbes Dutzend Polizisten im Einsatz sind, verkeilen sich die Autos im Handumdrehen. Es wird gehupt und geschimpft, bis irgendwann ein Fahrer die Vorfahrt erobert hat. In regelmäßigen Abständen tauchen Kontrollpunkte von Polizei und Sondereinheiten des Innenministeriums auf, jeweils in Sichtweite ist ein Posten der irakischen Armee stationiert. Nur dort, wo Armee und Polizei gemeinsam im Einsatz seien, fühlten sich die Bürger sicher, sagt unser Fahrer. Eine Stunde brauchen wir, um vom Zentrum nach Kadhimija, dem zehn Kilometer entfernten schiitischen Wallfahrtsort, zu gelangen.
Die Zahl der durch Anschläge getöteten Iraker sank im Dezember auf den niedrigsten Stand seit Februar 2006. In Bagdad starben im vergangenen Dezember 246 Menschen im Vergleich zu 1.683 Menschen im Januar 2007. Trotz der relativen Beruhigung sind die Opferzahlen insgesamt erschütternd: So wurden im letzten Jahr zwischen 22.586 und 24.159 Menschen getötet. Für 2006 geht die Netzseite Iraqbodycount.org von 25.699 bis 27.519 Toten aus. 2007 starben 899 US-Soldaten.
Die Zufahrt nach Kadhimija kontrollieren kurdische Soldaten, doch in dem Quartier selbst werden nur schiitische Polizisten geduldet. Penibel überprüfen sie jeden Besucher, der zur Grabmoschee von Imam Musa Kadhim, will. Nach dem Willen der Geistlichen, die in dem Quartier den Ton angeben, soll Kadhimija schicker werden als je zuvor. Die Zufahrtsstraße zur Moschee ist heute Fußgängerzone, und unter Hochdruck bauen mit Spendengeldern bezahlte Arbeiter an einer großen Brunnenanlage. In den Gassen um die Moschee reihen sich Goldjuweliere, Parfümerien, Geschäfte für Elektroartikel und Handyläden eng aneinander. Davor haben Händler ihre Stände aufgeschlagen.
Übertönt wird das Treiben vom lauten Rattern der Stromgeneratoren, mit denen sich die Geschäftsleute behelfen, weil Strom aus dem öffentlichen Netz weiterhin Mangelware ist. In engen Kurven schieben Halbwüchsige auf niedrigen Holzkarren die Einkäufe der Kunden und manchmal auch betagte Alte vor sich her.
Auch Hussein Madschid Hamid und seine Frau lockt das reichliche Warenangebot. "Kadhimija ist das neue Zentrum von Bagdad", sagt Hamid. Das gilt freilich nur für die Schiiten, Sunniten sind in dem Viertel unerwünscht. Dabei hat der Schiit Hamid ähnliche Probleme wie viele Sunniten des Landes. Bis zum Sturz des Saddam-Regimes hatte der 35-jährige Ingenieur in führender Position in einem Rüstungsbetrieb gearbeitet, dann wurde er aufgrung der von den Amerikanern verordneten Säuberung des Staatsdienstes und der Auflösung der Armee arbeitslos.
Die Amerikaner fordern von der Regierung gebetsmühlenartig eine Lockerung des Berufsverbots für die ehemaligen Staatskader, um sie aus den Fängen der Extremisten zu lösen. Doch die schiitische Mehrheit stellt sich bislang quer.
Murtatha Adel Latif jedoch verdirbt die politischer Ranküne nicht die Laune. Sein Handyladen läuft so gut, dass er kürzlich sogar eine Filiale eröffnen konnte. Selten schließt er seinen Laden vor neun Uhr abends. Über gute Geschäfte freut sich neuerdings auch der Hotelbesitzer Achmed al-Arjan. Im vergangenen Jahr konnte er sich nur mit den Übernachtungen von frischgebackenen Ehepaaren über Wasser halten. Seit ein paar Wochen ist das 100-Betten-Hotel manchmal ausgebucht. "Seitdem es sicherer geworden ist, kommen auch die Pilger wieder", sagt Arjan. "Hoffentlich bleibt es so." Die Verbesserung der Sicherheitslage in den schiitischen Hochburgen von Bagdad wie Kadhimija oder Sadr City führen die Bürger vor allem auf den Waffenstillstand der Miliz des radikalen Prediger Muktada al-Sadr zurück. Künftig will sich Sadr in erster Linie seiner bisher eher bescheidenen religiösen Bildung widmen. Um den Kurswechsel zu unterstreichen, hat Sadr ein neues Plakat in Umlauf gebracht, das ihn statt mit erhobenem Zeigefinger und finsterer Miene beinahe gütig lächelnd vor himmelblauem Hintergrund zeigt.
Die Zeiten des bewaffneten Kampfes seien vorbei, sagt Kerim Nadschi, Sadrs Mann in Kadhimiya. "Wir kümmern uns nur noch um die Sorgen und Nöte der Menschen." Wie das aussieht, wird in der kleinen Moschee, in der die Sadristen ihre lokale Niederlassung aufgeschlagen haben, schnell klar. Nicht nur verteilen sie hier großzügig Hilfe an Bedürftige, sie betreiben auch auch ihr eigenes Schariagericht, vor dem Ehestreitigkeiten und andere familiäre Konflikte entschieden werden, bekanntlich eher selten zugunsten von Frauen.
Für schiitische Kritiker wie Haider Hamid ist Sadrs Sinneswandel allerdings weniger dessen Einsicht in die Sinnlosigkeit seiner Waffengänge gegen die Sunniten und die Amerikaner geschuldet als vielmehr dem Unmut vieler Schiiten über das Unwesen seiner Miliz. "Viele hatten ihre Brutalität und ständigen Schikanen einfach satt", sagt Hamid. Aufgrund der Hinweise aus der Bevölkerung sei es den Amerikanern gelungen, zahlreiche Rädelsführer dingfest zu machen. "Das ist der Grund, warum die Sadristen jetzt so handzahm sind."
Die Waffenruhe der Sadristen und mehr noch der Aufstand der Sunniten gegen die Extremisten in ihren Reihen sind der größte Erfolg der veränderten Strategie der Amerikaner, die im letzten Jahr die Truppen massiv verstärkt, zahlreiche kleine Wachposten eingerichtet sowie einige Großoperationen gegen Untergrundgruppen durchgeführt haben. Obwohl auch dieses Jahr sehr viele Tote gefordert hat, ist die Zahl der Opfer seit einem halben Jahr stetig gesunken. In Bagdad ist die Gewalt so niedrig wie zuletzt vor drei Jahren. Vielerorts sind die Spuren der verheerende Anschläge getilgt - Straßen sind frisch geteert und Gehsteige geplättelt, und wo früher ausgebrannte Autowracks herumlagen, sind kleine, gepflegte Grünanlagen entstanden, überall gibt es neue Spielplätze, auf denen sich Kinder auf Rutschen, Wippen und Schaukeln vergnügen.
Von dem zarten Aufschwung, den Bagdad zurzeit erlebt, profitiert auch der sunnitische Stadtteil al-Mansur im Westen der Hauptstadt. Obwohl das ehemalige Nobelviertel mit Kadhimija nicht mithalten kann, gibt es Zeichen für einen Neubeginn. Allein oder in kleinen Grüppchen bummeln Frauen die Einkaufsstraße von Mansur entlang, die einen mit züchtig gebundenem Kopftuch, andere mit offenem Haar.
Viele Straßenzüge in Mansur gelten wie viele sunnitische Quartiere in Bagdad allerdings weiterhin als extrem unsicher. Nur im Schutz der amerikanischen Soldaten sollten wir uns in diese Gegenden wagen, warnen uns Sunniten mit guten Kontakten zu den ehemaligen Untergrundkämpfern, die heute als Bürgerwehren gemeinsam mit den Amerikanern gegen die Terrorgruppen im Irak kämpfen.
Derzeit stehen die Bürgerwehren im Sold der Amerikaner, doch ihre Zukunft ist ungewiss. Die geplante Integration in staatliche Sicherheitskräfte kommt wegen des Widerstands der schiitischen Regierung nur schleppend voran. So hängt die Entspannung in Bagdad weiterhin von den amerikanischen Soldaten und ihrer Präsenz in den Unruhebezirken ab sowie von der gegenseitigen Kontrolle der verschiedenen Einheiten von Innen- und Verteidigungsministerium. Den tiefen Riss, der durch Bagdad geht, konnten die Amerikaner bislang aber nicht kitten. Nicht zuletzt deshalb, weil es den Politikern auf allen Seiten am guten Willen oder am Mut zum großen Kompromiss fehlt.
Schier endlos ziehen sich die hohen Sprengschutzmauern um öffentliche Einrichtungen, Straßenzüge und auch um ganze Wohnviertel. Künstler haben die Mauern mit Motiven aus Iraks Geschichte und Kultur bunt bemalt. Die Fischer in den südirakischen Sümpfen, die kurdischen Berglandschaften und die schiitischen, sunnitischen oder christlichen Gotteshäuser können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mauern die Hauptstadt in eine Ghettolandschaft verwandelt haben. Infolge des Kriegs zwischen den Schiiten und Sunniten haben allein in Bagdad mehrere Hunderttausend ihre Häuser und Wohnungen verloren. Obwohl die Regierung intensiv für die Rückkehr der Flüchtlinge wirbt, hat sie bislang wenig getan, um das geschehene Unrecht wiedergutzumachen.
Atifa Thabit und ihre drei Freundinnen sind skeptisch, dass die Regierung das heiße Eisen überhaupt anpacken will. Die vier Frauen - zwei Schiitinnen, eine Sunnitin und eine Christin - verbindet ein gemeinsames Schicksal: Sie alle wurden aus Dora im Süden von Bagdad vertrieben. Die Schiitin Thabit floh aus Dora, nachdem sunnitische Extremisten ihren Sohn auf offener Straße erschossen hatten; die Sunnitin Majda Juburi, als schiitische Todesschwadronen ihre Hatz auf Sunniten begannen; und Umm Saed ergriff die Flucht, weil ihr als Christin nichts anderes übrig blieb, als sich dem Druck von beiden Seiten zu beugen. Heute leben die Frauen in Karrada, einem der letzten verbliebenen gemischten Quartiere von Bagdad. Sie haben hier sogar Arbeit und neue Freunde gefunden, trotzdem möchten sie wieder zurück.
Doch daran ist derzeit weder für Thabit noch für die Christin oder die Sunnitin zu denken. Nur Suheila Abdulhussein hat vor ein paar Wochen die Rückkehr gewagt. "Nachbarn hatten uns immer wieder angerufen und gebeten zurückzukommen", sagt die 47-jährige Erzieherin. Mittlerweile zweifelt sie jedoch an diesem Schritt. In ihrer Nachbarschaft haben sich schiitische und sunnitische Bürgerwehren tagelang Gefechte um die Kontrolle eines Straßenzugs geliefert. Erst als amerikanische Soldaten eingriffen, beruhigte sich die Lage wieder.
Wie viele Hauptstädter trauen die vier Frauen aus Dora dem Frieden in Bagdad nicht. "Erst wenn die Mauern und Barrikaden fallen und wir wie früher in gemischten Quartieren leben, herrscht wirklich Frieden", sagt Abdulhussein. Dass es der jetzigen Regierung gelingt, einen Ausgleich zwischen Sunniten und Schiiten zu erzielen, glauben die Frauen nicht. "Unsere Politiker verstehen sich nicht einmal aufs Lügen", schimpft die Schiitin. "Sie verhalten sich wie Strauchdiebe. Alles, wofür sie sich interessieren, ist ein möglichst großes Stück der Beute."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!