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Friedensprozess in NahostDer „arabische Jahrhundertdeal“

Jannis Hagmann
Kommentar von Jannis Hagmann

Israel will Teile des Westjordanlands annektieren. Das zu verurteilen reicht nicht – arabische Initiative ist gefragt.

Mike Pompeo und Benjamin Netanjahu Foto: Ron Przysucha/dpa

N ach eineinhalb turbulenten Jahren mit drei vorgezogenen Neuwahlen ist es so weit: Israel bekommt eine neue Regierung. Das neue Kabinett wird nicht nur Besonderheiten aufweisen wie eine Rotation der beiden Benjamins, Netanjahu und Gantz, im Amt des Ministerpräsidenten. Die beiden haben in ihrer Ko­alitionsvereinbarung – erstmals in der Geschichte des Landes – auch eine Annexion von Teilen des seit 1967 besetzten Westjordanlands erwähnt. Der Schritt, sollte Netanjahu ihn tatsächlich gehen, würde den Nahostkonflikt über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinaus verfestigen.

Laut Koalitionsvertrag kann Netanjahu seine Annexionspläne ab Juli der Regierung und dem Parlament zur Billigung vorlegen. Welche Gebiete genau dem Staat einverleibt werden sollen und was mit den dort lebenden PalästinenserInnen geschieht, ist noch nicht beschlossen. Fest steht: Die Landnahme soll in Übereinstimmung mit dem Trump’schen Nahostplan erfolgen, den die USA im Januar vorgelegt haben. Diese zynischerweise als „Jahrhundertdeal“ präsentierte Vision sieht nicht weniger vor als die Annexion von insgesamt 30 Prozent des Westjordanlands inklusive aller is­rae­lischen Siedlungen, sowie des Jordantals.

Was es jetzt braucht, ist ein diplomatischer Kraftakt historischen Ausmaßes seitens der arabischen Staaten. Israel und die Annexionspläne zu verurteilen, wie es die Staaten der Arabischen Liga (AL) tun, um die eigenen Bevölkerungen zu besänftigen, wird am Ende nicht nur wenig geholfen haben, sondern gar nicht. Sollte Israel diese Palästinensergebiete annektieren, werden sich die Führungen von Rabat bis Bagdad über Jahre auf diesen Schritt berufen, um ihre Feindschaft gegen den jüdischen Staat zu rechtfertigen.

Eine Grundlage für den notwendigen Vorstoß gibt es bereits: die „Arabische Friedensinitiative“ (AFI). Die AL legte sie auf ihrem Gipfeltreffen in Beirut 2002 vor. Die Idee: Israel zieht sich in die Grenzen von 1967 zurück und erkennt einen palästinensischen Staat an; die arabischen Staaten bieten dafür „normale Beziehungen“ mit Israel an und „betrachten den arabisch-israelischen Konflikt als beendet“.

Die AFI ist nicht gänzlich tot

Der große Vorteil der AFI: Sie wurde von allen arabischen Staaten, auch von der palästi­nensischen Führung unter Mahmud Abbas, ak­zeptiert und 2007 erneut bekräftigt. Es war ­Obamas vielleicht größter Fehler, dass er die AFI nicht zur Grundlage einer eigenen Friedens­vision machte.

Doch obwohl sie mittlerweile fast 20 Jahre auf dem Buckel hat, ist die AFI nicht gänzlich tot. AL-Generalsekretär Ahmed Aboul Gheit erwähnte sie kürzlich, auch auf den Gipfeln der Liga im Fe­bruar und im April war sie Thema. Der Vorschlag ist eine Art kalter Konsens der Araber, eine Anerkennung der Faktizität des Staates Israel und des Verlaufs der Geschichte. Mit der drohenden Annexion ist die Zeit gekommen, die AFI wiederzubeleben.

Natürlich: Die Probleme stecken im Detail. Dass das Angebot in Israel auf Ablehnung stieß, hatte Gründe. Über das Thema der Rückkehr paläs­tinensischer Flüchtlinge muss verhandelt werden, auch über die genauen Grenzverläufe. Was das allerdings angeht, hat sich die Liga schon in der Vergangenheit zu einem Austausch bestimmter Gebiete bereit erklärt. In diesen Kernpunkten könnten die arabischen Staaten deutlich Kompromissbereitschaft signalisieren, um den Deal auch den Israelis schmackhaft zu machen – möglicherweise sogar in Bezug auf Ostjerusalem, das Israelis und Palästinenser gleichermaßen für sich beanspruchen.

Sobald die arabische Seite ihren ernsten Willen zu einer Neuauflage der AFI glaubhaft bekundet hat, wären erste erforderliche Schritte seitens der israelischen Regierung das sofortige Einfrieren jeglicher Annexionspläne und eine Erklärung, Trumps Nahostplan, der eine Frechheit unübertreffbaren Ausmaßes ist, auf Eis zu legen.

Der Schlüssel im Nahostkonflikt liegt in der arabischen Welt

Wenn das Thema Palästina den arabischen Premiers, Präsidenten und Königen wirklich so sehr am Herzen liegt und sie eine Annexion verhindern wollen, warum tun sich dann nicht jetzt einflussreiche arabische Staaten zusammen?

Saudi-Arabien und die Emirate, die unter dem Radar ohnehin bestens mit Israel zusammenarbeiten, könnten die Initiative starten. Auch 2002 war es der saudische Kronprinz – und spätere König – Abdullah, der mit der Idee für die AFI vorpreschte. Warum sollte der heutige Kronprinz, der doch als so unberechenbar gilt, nicht auch positiv überraschen? Wer Krieg im Jemen kann, kann auch Frieden in Nahost.

Der Schlüssel zu einer positiven Bewegung im Nahostkonflikt liegt derzeit nicht bei den Machtpolitikern in Jerusalem und Washington, sondern in der arabischen Welt. Ein von den Arabern vorgeschlagener neuer „Jahrhundertdeal“ für Nahost würde auch die Zustimmung zu den Annexionsplänen in der israelischen Bevölkerung schmälern. Und die EU, dieser stets israelkritische Zaungast, hätte mit einer arabischen Friedensinitiative ein weiteres gutes Argument, um darauf hinzuwirken, dass Israel die Annexion nicht vorantreibt.

Wunschdenken? Vielleicht. Aber wer hätte 1967 gedacht, dass Anwar Sadat zehn Jahre später nach Jerusalem reisen und Ägypten mit Israel Frieden schließen würde? Wer hätte gedacht, dass Arafat und Rabin sich die Hand schütteln würden? Oder dass in Washington einmal ein Mann regieren würde, der die US-Nahostpolitik von Grund auf umkrempelt?

Der Nahostkonflikt stagniert nicht, auch nicht sieben Jahrzehnte nach Gründung Israels und der von den PalästinenserInnen als „Nakba“ (Katastrophe) bezeichneten Vertreibung und Flucht Hunderttausender Menschen. Für die Araber gilt es, der Sprache der Macht des militärisch Stärkeren etwas entgegenzusetzen. Dazu braucht es Mut und echten Willen zum Frieden. Und das sehr bald.

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Jannis Hagmann
Redakteur Nahost
ist Redakteur für Nahost & Nordafrika (MENA). Davor: Online-CVD bei taz.de, Volontariat bei der taz und an der Evangelischen Journalistenschule Berlin, Studium der Islam- und Politikwissenschaft in Berlin und Jidda (Saudi-Arabien), Arabisch in Kairo und Damaskus. Er twittert unter twitter.com/jannishagmann
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15 Kommentare

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  • Die arabische Friedensintitiative hätte eigentich in Presse und Öffentlichkeit eine Wichtigkeit erfahren müssen, wie die Reise Sadats nach Israel. Anstattdessen gab es völliges Desinteresse. Der Sprecher der Regierung erklärte damals man müsse erstmal sehen "was die Araber wollen"... dann versank das ganze im Nebel. Auch hierzulande kümmerte man sich so gut wie keinen Deut - es interessierte niemanden. Irgendwie passte es nicht ins Konzept, man übte keinen Druck auf Israel aus, man lud niemanden zur Debatte. Auch jetzt kommt es nicht lediglich auf die arabischen Staaten an, warum denn. Warum übt die e EU keinen Druck aus, sondern akzeptiert fast alles mit ein paar Kommentaren, Ermahnungen und "Ratschlägen", die in Israel sowieso keinen interessiert, ihre Erfahrung ist, sie können eigentlich alles machen, Land besetzen, Häuser zerstören, Existenzen vernichten...

  • "Der Konflikt wurde doch bereits beendet."

    Mal was ganz Neues. Es gibt also gar keinen Streit um Siedlungen und Raketen? Alles Einbildung?

  • Noch etwas warten. Spätestens wenn die Gentechnik den nächsten Schritt absolviert, können wir ägyptische Mumien resozialisieren, uns von alten Pharaos regieren lassen. Dann bauen wir richtig schöne Pyramiden. Dann werden alle vor Neid erblassen, und der Stärkere wird sich durchsetzen (falls es uns dann noch gibt).

  • Herr Hagmann, wir müssen doch hier kein "was wäre wenn" spielen u noch dazu in die falsche Richtung schauen. Vielleicht könnten die Araber dies und die Europäer das. Aber alle wissen doch, dass Netanyahu und seiner Partei das herzlich egal ist. Nie hat er oder irgendjmd in seiner Partei verzweifelt auf ein überzeugendes Friedensangebot der arab Staaten gewartet, für dass sie die WB fallen ließen, "Judäa und Samaria", das Kernland des antiken jüd. Staates, das ihnen schon immer gehörte und das sie ja gar nicht annektieren, eben weil es ihnen ja schon immer gehörte und die Palästinenser gibt es nicht... und wie all diese selbstgewundenen Propagandaclaims lauten, die sie seit Jahrzehnten im Schlaf vor und zurück deklinieren... aus dieser Hirnwäsche kommen die nicht mehr so einfach raus. Nur wenn die Amis und die Europäer ihnen glaubhaft die Grenzen klar machen, werden Sie zurückstecken. Aber N ist ein Meister im Aussitzen und beharrlichen Löcherbohren, er kennt die europ. u amerik. Politiker, (und die israel. sowieso, die er alle vorgeführt hat und alle kleinbekommen hat.) sie wissen alle mit wem Sie es bei ihm zu tun haben und trotzdem versuchen Sie es immer wieder mit "Dialog". Unterdessen bearbeitet Netanjahu schon seit Clintons Zeiten etwa die Lobby der evangelikalen Christen in den USA, zu denen z.B. Pompeo gehört, aber auch viele andere und macht sie sich dienstbar, Sie machen dem jeweiligen Präsidenten das Leben schwer, wenn der doch mal auf die Idee kommen sollte, eine ernsthafte Friedensinitiative starten zu wollen in denen die Palästinenser mal ein wirklich faires Angebot bekommen und im Gegenzug verspricht er denen, was weiß ich, das Manna vom Himmel oder ein Meeting mit Jesus persönlich, lässt sie im Glauben sie dürften vllcht doch ein bisschen unter Juden missionieren, oder einfach nur ein paar großartige Investments. Aber eine Aufgabe der WB? no way. Er weiß seine Chancen zu nutzen, mit Trump zieht er durch, er hat sein Leben lang darauf hingearbeitet.

    • @ingrid werner:

      Die Machpela nicht vergessen, die muss auch behalten werden...

  • "Wenn das Thema Palästina den arabischen Premiers, Präsidenten und Königen wirklich so sehr am Herzen liegt"

    Das ist doch seit mindestens 30 Jahren vorbei, spätestens nachdem Arafat mit Saddam kooporiert hat und die Kuwaitis nach dem Krieg ca. 400.000 Palaraber aus dem Land geworfen haben und praktisch niemand in der arabischen Welt oder aus Ägypten etwas dagegen unternommen hat, übrigens auch die unfähige UN wie üblich nicht.

    So eine Initiative wäre zwar sehr wünschenswert, ich seh aber niemanden der die initieren könnte. Kronprinz bin Salman hat diesen ziemlich teuren und verlustreichen Krieg im Jemen angefangen, den er nicht gewinnt. Riad und die VAE kämpfen mit wirtschaftlichen Problemen wegen dem Ölpreis, der Kronprinz musste den Saudis letzte Woche erklären, das die Mehrwertsteuer verdreifacht werden muss. Syrien und der Irak sind Totalausfälle und Ägypten beliefert Haftar in Libyen und kümmert sich ansonsten um sich selbst.

    Aber vielleicht bin ich da inzwischen auch einfach zu zynisch und es passiert ja doch ein Wunder.

    • @Sven Günther:

      Sie sind der Erste bei uns, der sich für die Vierhunderttausend!! interessiert. Unsere deutschen NGO's haben in Ramallah "wichtigeres" zu tun.

    • @Sven Günther:

      Aber wie das Verhalten der arabischen Welt in Wirklichkeit aussieht, konnte man damals sehen.

      "Anzumerken bleibt, dass die Uno im März 1991 doch eine Resolution verabschiedete, die die Deportation von Palästinensern verurteilte. Sie betraf allerdings nicht Kuwait, sondern Israel, das es gewagt hatte, vier palästinensische Terroristen zu deportieren. Was tat Kuwait angesichts dieses empörenden Verbrechens? Das Land, das eben so frei war, 400 000 Palästinenser zu verjagen, schickte eine Delegation ins Krisengebiet und bekundete, wie es stolz verkündete, als erstes arabisches Land seine Solidarität mit den Deportierten."

      www.nzz.ch/interna...aradies-1.18663060

      • @Sven Günther:

        Gut, das Verhalten der arabischen Welt...und unsere deutsch christlichen NGO's??? Von den zahlreichen"Nahostforen" im Netz soll hier gar nicht die Rede sein. Mit ihrerm Ressentiment schreiten sie darüber hinweg und ihre Augen bleiben klar.

      • 8G
        83379 (Profil gelöscht)
        @Sven Günther:

        Es betraf übrigens auch Jeminiten und Sudanesen die galten auch als illoyal und wurden heim-geschickt, und Palästinenser wurden auch aus anderen Golf Staaten vertrieben.

      • @Sven Günther:

        Ja wie jetzt? Der Artikel oben sagt doch: die Araber sind die Guten.

  • Das Angebot der Arab Peace Initiative steht, und es ist vernünftig.

    Jaja, das Rückkehrrecht für Flüchtlinge. Aber wie viele würden das de facto wahrnehmen? Anders als oft verbreitet, sind die meisten Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge in ihren neuen Heimatländern gut integriert, und haben keinen Grund sich für eine ungewisse Zukunft in Israel zu entscheiden.

    • @ulix:

      "palästinensischer Flüchtlinge in ihren neuen Heimatländern gut integriert"

      Außer in Jordanien sind die nirgendwo gut integriert, in einigen Ländern bekommen sie ja nicht mal die Staatsbürgerschaft, wie etwa im Libanon.

      "Vor mehr als 70 Jahren kamen die ersten palästinensischen Flüchtlinge in denLibanon. Inzwischen leben sie hier in dritter oder vierter Generation - und trotzdem gelten sie noch immer als Ausländer. Der Libanon verweigert den Palästinensern die Staatsbürgerschaft, das Wahlrecht und schließt sie von bestimmten Berufen aus - etwa in der Justiz und im Gesundheitswesen. Weil sie außerdem nur in Ausnahmefällen Grundstücke kaufen können, leben die meisten Palästinenser im Libanon bis heute in Flüchtlingslagern, die sich inzwischen zu eigenen Städten beziehungsweise Stadtvierteln entwickelt haben."

      www.spiegel.de/pol...ive-a-1279532.html

  • Auch wenn so was die Deutschen in ihrem Nahost-Friedensplan nicht vorgesehen haben, ist das hier doch eine arabische Initiative:



    www.deutschlandfun...:article_id=476580

  • 9G
    90564 (Profil gelöscht)

    ich will ja nicht mäkeln, aber die hamas, die hezbullah, der PIJ und der iran haben diese friedensinitiative klar abgelehnt, wie soll die "arabische" seite dann israel "frieden" anbieten können? mal ganz abgesehen von der verklausulierten "rückkehr"-forderung?



    und ja, eine annexion wär vermutlich nicht besonders "hilfreich", aber es fehlt nicht nur auf israelischer seite ein "friedenspartner"